Umweltfreundlicher Strom mit Rotorblättern aus Metall

Presseinformation (Forschung Kompakt) der Fraunhofer-Gesellschaft vom 04.05.2015

Windräder liefern umweltfreundlichen Strom. Die bei sehr großen Rotorblättern oft verwendeten, faserverstärkten Kunststoffe lassen sich kaum wiederverwerten. Anders bei Blättern aus Stahl: Ihre Recyclingquote liegt werkstoffbedingt bei über 90 Prozent. Zudem sind sie deutlich kostengünstiger als ihre Gegenstücke aus Kunststoff.

Windkraftanlagen speisen umweltfreundlichen Strom in die Netze. Der überwiegende Teil großer Rotorblätter besteht gewichtsbedingt aus faserverstärkten Kunststoffen. Diese Materialien lassen sich derzeit noch kaum recyceln, die Wiederverwertung ist sehr aufwändig. Forscher des Fraunhofer-Instituts für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU in Chemnitz setzen daher auf Metall als Flügelmaterial, insbesondere auf Stahl für kleinere Anlagen. Das höhere Gewicht von Stahlflügeln ist hier noch nicht relevant und kann bei wachsenden Anlagengrößen durch den Einsatz von Leichtmetallen kompensiert werden. Im Projekt »HyBlade« entwickeln sie gemeinsam mit ihren Kollegen der Freien Universität Brüssel die entsprechende Aerodynamik sowie die Prozessketten für die Fertigung. Flügel aus Stahl herzustellen, bietet zahlreiche Vorteile: »Zum einen werden die Windräder deutlich ökologischer, denn Stahl kann zu über 90 Prozent recycelt werden. Mit Metallrotorblättern wird Windkraft daher wirklich umweltfreundlich«, konkretisiert Marco Pröhl, Wissenschaftler am IWU. »Außerdem sinkt der Preis für die Rotorblätter in der Serienfertigung um bis zu 90 Prozent, verglichen mit solchen aus faserverstärktem Kunststoff. Und die Flügel lassen sich genauer fertigen.«

Ein weiterer Nutzen: Sie sind schneller produziert: Parallelisiert man den Prozess – wird also sofort ein neues Blech in die Fertigungslinie eingeschoben, wenn ein Flügel den ersten Fertigungsschritt hinter sich hat – fällt etwa alle 30 Sekunden ein fertiges Rotorblatt vom Band. Bei faserverstärkten Kunststoffen dauert dieser Vorgang dagegen meist mehrere Stunden.

Massentaugliche und automatisierbare Produktionsprozesse

Der Grund für diese Unterschiede liegt in den Fertigungsprozessen. Bei Flügeln aus faserverstärkten Kunststoffen ist oftmals viel Handarbeit notwendig: Zunächst muss eine passende Form für die Flügel hergestellt werden. Je nach Fertigungsvariante legen die Arbeiter Fasermatten in diese Form, injizieren Harz und härten das Teil für mehrere Stunden im Ofen aus. Sie erhalten so zwei Halbschalen, deren Ränder sie zunächst beschneiden und die sie anschließend aufeinander kleben. Diese Schritte lassen sich zwar auch wie in der Blechteilfertigung zeitgleich durchführen – das ändert jedoch nichts an ihrem hohen Zeitbedarf. Man bräuchte Dutzende gleichzeitig laufende Anlagen, wollte man die Flügel ebenso schnell fertigen wie jene aus Metall.

Die Herstellung von Metallrotoren hingegen lässt sich gut automatisieren, denn die Prozesse entsprechen denen der Automobilindustrie. Sie eignet sich daher für die Serienfertigung. Ausgangsmaterial ist ein flaches Stahlblech. Dieses kanten die Forscher mit einem Biegestempel ab, sodass es bereits die typische Flügelform erhält. Die Ränder verschweißen sie mit einem Laser – ein geschlossenes Profil entsteht. Diese Vorform legen die Wissenschaftler in ein Werkzeug mit der späteren Endform, pumpen ein wiederverwendbares Wasser-Öl-Gemisch ins Innere des Flügels und setzen ihn unter einen Druck von bis zu mehreren Tausend bar. Das entspricht dem Druck in vielen Tausend Metern Wassertiefe. Der Flügel wird quasi aufgeblasen und erhält so seine endgültige Form. »Da wir die Flügel von innen nach außen umformen, können wir alle Ungenauigkeiten aus vorherigen Schritten ausgleichen«, erläutert Pröhl. »Die Geometrie ist beim ersten Produktionsschritt perfekt. Die Flügel geben das ins Werkzeug gefräste Strömungsprofil auf 0,1 Millimeter genau wieder.«

Einen Flügel mit 15 Zentimetern Breite und 30 Zentimetern Länge haben die Forscher bereits hergestellt. An ihm optimierten sie die einzelnen Herstellungsschritte. In einem weiteren Schritt produzieren sie nun einen kompletten Rotor für eine Vertikalachs-Windkraftanlage mit 2,8 Metern Flügellänge und zwei Metern Durchmesser. An der belgischen Küste soll dieser dann zeigen, was er kann: auf einem Testfeld für kleine Windkraftanlagen.

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Zuverlässig Strom tanken

Presseinformation (Forschung Kompakt) der Fraunhofer-Gesellschaft vom 01.04.2015

Für den Erfolg der Elektromobilität sind wirtschaftliche Fahrzeuge erforderlich – und leistungsfähige Stromnetze. Die aktuellen Leitungen sind für die kommenden Lasten nicht ausgelegt. Fraunhofer-Forscher haben den Prototyp einer Software entwickelt, die Netzbetreibern künftig anzeigen soll, wie viele E-Mobile sich an ihr Ortsnetz anschließen lassen.

Die zunehmende Zahl an Elektrofahrzeugen bringt Netzbetreiber in Bedrängnis: Die Niederspannungsnetze der Haushalte sind nicht für Lasten ausgelegt, die entstehen, wenn E-Mobile zuhause mit Strom aufgeladen werden. »Ein Fahrzeug benötigt bis zu 22 Kilowatt (KW). Falls mehrere Autos gleichzeitig laden, erreichen aktuelle Netze schnell die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit«, sagt Dr. Michael Agsten vom Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB, Institutsteil Angewandte Systemtechnik AST in Ilmenau. Der Wissenschaftler hat zusammen mit seinem Team eine Software entwickelt, die Netzbetreibern anzeigt, wie viel Ladelast ihr Niederspannungsnetz verträgt. Das lässt Rückschlüsse darauf zu, wie viele Elektrofahrzeuge angeschlossen werden können, ohne dass Grenzwerte verletzt werden. Netzbetreiber können vorausschauend planen und finden Antworten auf Fragen wie: Wie ändert ein weiteres Fahrzeug die Lastverteilung? Ab welchem Zeitpunkt muss ich in die Netze investieren, um die nötige Netzkapazität bereit zu stellen? Soll ich Geld lieber in neue Kupferleitungen oder besser in intelligente Ladestationen stecken? Ein Prototyp ist während des Projekts »Gesteuertes Laden 3.0« entstanden, das vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) gefördert wird. »Die IT-Plattform funktioniert mit Testdaten im Labor bereits sehr gut. Im nächsten Schritt wollen wir reale Verteilernetze analysieren«, so Agsten.

Schnelle Stichprobenanalyse

Die Software bildet nach, wie viele Ladevorgänge sich realisieren lassen, ohne dass die vorgeschriebenen normativen oder betrieblichen Grenzwerte verletzt werden. Üblicherweise werden 150 und mehr Haushalte von einer Ortsnetzstation versorgt. Unter der Annahme, dass ein Teil der Haushalte zukünftig ein E-Mobil besitzen wird und dieses zu einer beliebigen Zeit lädt, entsteht eine unvorstellbar hohe Zahl an Ladeszenarien. Der Grund: Es ist schlicht nicht vorsehbar, welcher Haushalt zu welchem Zeitpunkt ein Elektrofahrzeug laden wird. »Es ist unmöglich, das in adäquater Zeit auszurechnen«, so Agsten. Die Forscher simulierten ihr Modell deshalb mit der »Monte-Carlo-Methode«, einem Verfahren aus der Stochastik. Dabei wird versucht, eine möglichst heterogene Gruppe von Kombinationen zu erzeugen. Deren Anzahl ist wesentlich kleiner, als die Gesamtzahl aller möglichen Kombinationen. »1000 bis 10 000 Fälle lassen sich schneller analysieren und ergeben trotzdem einen sehr guten Näherungswert«, sagt Agsten. Innerhalb weniger Sekunden zeigt die Software an, wie hoch das Überlastungsrisiko ist und wie viel E-Mobile in einem Ortsnetz gleichzeitig geladen werden können.

Mit den Grenzwerten schützen die Verteilnetzbetreiber ihre elektrischen Netze vor langfristigen Schäden und akuten Ausfällen. In Deutschland gibt es etwa 560.000 Ortsnetze, die auf circa 800 Verteilernetzbetreiber aufgeteilt sind. Jeder Betreiber ist für den zuverlässigen und stabilen Betrieb seines Verteiler- und Ortsnetzes verantwortlich und muss im Bedarfsfall durch Maßnahmen wie den Ausbau und intelligente Steuerung die notwendigen Kapazitäten bereitstellen. Um manuell auszurechnen, wie viel E-Mobile jedes einzelne Netz verträgt, haben die Unternehmen nicht genug Personal. Das wäre darüber hinaus auch mit einem hohen wirtschaftlichen Aufwand verbunden. Wie oft und wie viele Haushaltsgeräte wie Waschmaschinen, Herde, Fernseher oder Computer gleichzeitig angeschaltet sein dürfen, war schnell berechnet. Nur in Ausnahmefällen wurden die üblichen Obergrenzen – je Hausanschluss bis zu 44 KW/63A – erreicht. Das Laden der Elektrofahrzeuge war jedoch bisher nicht eingeplant. »Das führt zu signifikant höheren Lasten bei den betreffenden Haushalten und das Problem verschärft sich, wenn mehrere E-Mobile zu unterschiedlichen Zeiten zuhause geladen werden«, so Agsten. Die Kennwerte Spannungshaltung, thermische Belastung der Betriebsmittel und Unsymmetrie der Spannung verändern sich in Abhängigkeit der zeitlich und räumlich verteilten, volatilen Last durch Elektrofahrzeuge. Mit jedem weiteren Elektrofahrzeug vergrößert sich die Anzahl möglicher Kombinationen zeitlich und räumlich verteilter gleichzeitiger Ladesituationen. Die aktuellen Abläufe der Prüfung und Installation können nicht alle Randbedingungen vor Ort berücksichtigen. »Bei einem stetigen Wachstum ist es für die Netzbetreiber zukünftig wichtig, frühzeitig zu wissen, wie viel Spielraum noch zur Verfügung steht. Andernfalls werden sie es nur dann erfahren, wenn sich ihre Kunden bei Problemen direkt melden«, sagt Agsten.

Die Plattform des IOSB setzt am Niederspannungsnetz an, der untersten Ebene des elektrischen Übertragungs- und Verteilernetzes. Es verbindet die Steckdosen der Haushalte über mehrere Netzstufen mit den Hoch- und Höchstspannungsnetzen, in welchen ein weiter steigender Anteil an fluktuierenden Erneuerbaren Energien zu erwarten ist. E-Mobile könnten diese Schwankungen ausgleichen, denn sie lassen sich auch als Stromspeicher nutzen. »Aber nur, wenn das Stromnetz ihren Anschluss zulässt«, so Agsten.

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Nervengewebe bei Darmoperationen schonen

Presseinformation (Forschung Kompakt) der Fraunhofer-Gesellschaft vom 02.03.2015

Mehr als die Hälfte der Patienten leidet nach einer Darm-OP an den Folgen von irreparablen Nervenverletzungen. Wissenschaftler haben ein Assistenzsystem entwickelt, das die Operateure während des Eingriffs im kleinen Becken vor Verletzungsrisiken warnt. Derzeit arbeiten die Experten an einer Lösung für die minimalinvasive Chirurgie.

Darmoperationen zählen nach Angaben des Statistischen Bundesamts zu den häufigsten chirurgischen Eingriffen in Deutschland. Dabei kommt es oft zu Komplikationen: Über die Hälfte der Patienten hat nach einem Eingriff im kleinen Becken mit Inkontinenz oder sexuellen Funktionsstörungen zu kämpfen, weil Nervengewebe verletzt wurde. Die Nerven, welche Blasen-, Darmausgangs- und Geschlechtsfunktionen steuern, liegen wie ein hauchdünnes Netz um den Darm herum. »Dieses Nervengeflecht lässt sich von seiner Farbe und Struktur äußerst schwer von anderem Gewebe und kleineren Blutgefäßen unterscheiden. Aus diesem Grund kommt es oft zu Verletzungen«, erklärt Prof. Klaus-Peter Hoffmann vom Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik IBMT in St. Ingbert. Das Tückische: Oftmals kann es der Chirurg während der OP nicht bemerken. Die Probleme machen sich meist erst einige Wochen nach dem Eingriff bemerkbar.

Chirurgen werden gewarnt, bevor sie Nerven während der OP verletzen

Wissenschaftler des IBMT entwickelten im, von ihnen koordinierten, Projekt IKONA (kurz für: Kontinuierliches intraoperatives Nervenmonitoring als mikrotechnologisches Navigationsinstrument) mit mehreren Partnern ein Assistenzsystem zum interoperativen Neuromonitoring: Hauchdünne, flexible Elektroden werden direkt an Nervenfasern angelegt und diese mit elektrischen Impulsen stimuliert. Die Software des Partners inomed wertet aus, ob das autonome Nervengeflecht durch den chirurgischen Eingriff beeinflusst wird. Kommt der Chirurg einem Nerv zu nahe, bzw. drückt oder dehnt er ihn, beeinflusst dies die Funktionalität des Nervs. Droht Verletzungsgefahr, wird der Arzt optisch und akustisch gewarnt. Das System befindet sich bereits in der klinischen Testphase.

Derzeit arbeiten Hoffmann und sein Team im Nachfolgeprojekt autoPIN (kurz für: Assistenzsystem zur Stimulation autonomer pelviner Nerven zum Intraoperativen Neuromonitoring in der Laparoskopie) mit ihren Partnern daran, ein solches operationsbegleitendes Neuromonitoring auch für minimalinvasive Eingriffe zu ermöglichen. Anders als bei konventionellen Operationen müssen die Elektroden dabei außen am Körper platziert werden. Der Haken an der Sache: Zwischen Elektroden und dem Nervengeflecht befindet sich das Kreuzbein – dieses behindert das elektrische Feld. »Die Herausforderung besteht darin, die Elektroden so zu setzen, dass sie trotzdem das Nervengeflecht stimulieren können«, erläutert Hoffmann. Dazu platzieren die Wissenschaftler der Mainzer Universitätsklinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie am Körper ein Elektroden-Array, das ein rasterförmiges Feld erzeugt. »Wir sprechen dann die einzelnen Elektroden an. Dadurch identifizieren wir diejenigen, mit denen die Geometrie des elektrischen Feldes so optimiert werden kann, dass eine Neuromodulation – eine spezielle Form der Nervenstimulation – möglich wird«, schildert Hoffmann die Forschungsarbeiten der IBMT-Wissenschaftler. inomed hat einen intelligenten Algorithmus entwickelt, der die Rohsignale aus der Neuromodulation auswertet und so aufbereitet, dass der Arzt auf einen Blick erkennt, ob Verletzungsgefahr besteht. »Unser Ziel ist es, ein qualitätsgesichertes nervenerhaltendes Operieren an den Beckenorganen zu etablieren. Im Zentrum steht dabei die Erhaltung der postoperativen Lebensqualität«, sagt der zuständige Oberarzt im Team, Prof. Dr. Werner Kneist.

Da chirurgische Eingriffe im kleinen Becken oft mehrere Stunden dauern können, kommen bei dem Assistenzsystem die am IBMT während IKONA entwickelten, trockenen Elektroden auf Silikonbasis zum Einsatz, bei denen Nanopartikel im Silikon für die nötige Leitfähigkeit sorgen. Im Vergleich zu konventionellen Elektroden ermöglichen diese Silikonelektroden über einen längeren Zeitraum eine stabile und zuverlässige Schnittstelle. Das neue Assistenzsystem für minimalinvasive Eingriffe wird derzeit in der präklinischen Phase getestet.

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Künstlicher Mini-Organismus statt Tierversuche

Presseinformation (Forschung Kompakt) der Fraunhofer-Gesellschaft vom 02.02.2015

Tierversuche sind in der medizinischen Forschung bislang ein notwendiges Übel. Fraunhofer-Forscher haben eine viel versprechende Alternative entwickelt: In einem Chip bauen sie einen Miniorganismus auf. Damit lassen sich die komplexen Stoffwechselvorgänge im menschlichen Körper realitätsnah analysieren.

Niemand möchte auf die Segnungen moderner Medizin verzichten, die vielen Erkrankungen ihren Schrecken genommen hat. Die Kehrseite der Medaille: Damit wirksame und sichere Medikamente zur Verfügung stehen, sind Versuche an Tieren in Forschungslaboren unumgänglich. Weltweit arbeiten Forscher an Alternativen zu Tierexperimenten. Doch Ersatz zu finden, ist schwierig. Denn um die Wirkung einer Substanz zu verstehen, genügt es nicht, die Stoffe an einzelnen Gewebeproben oder Zellen zu testen. »Die meisten Medikamente wirken systemisch, also auf den gesamten Organismus. Dabei entstehen oftmals erst durch Stoffwechselvorgänge toxische Substanzen, die wiederum nur bestimmte Organe schädigen«, erklärt Dr. Frank Sonntag vom Fraunhofer-Institut für Werkstoff und Strahltechnik IWS.

Chip simuliert menschlichen Blutkreislauf

Forscher des Dresdener Instituts haben gemeinsam mit dem Institut für Biotechnologie der TU Berlin eine neuartige Lösung entwickelt, die Tierversuche in der medizinischen Forschung oder in der Kosmetikindustrie überflüssig machen könnte: Einen Multiorgan-Chip, der die komplexen Stoffwechselvorgänge im menschlichen Körper verblüffend genau nachstellt. »Unser System ist ein Miniorganismus im Maßstab 1:100 000 zum Menschen«, so Sonntag. In dem Chip lassen sich an mehreren Positionen menschliche Zellen aus verschiedenen Organen aufbringen. Die Zellen haben die Forscher aus Blutspenden gewonnen, die für Forschungszwecke zur Verfügung stehen. Diese »Mini-Organe« sind durch winzige Kanäle miteinander verbunden. »Damit simulieren wir den menschlichen Blutkreislauf«, erklärt Sonntag. Eine Mikropumpe befördert – ähnlich wie das menschliche Herz – kontinuierlich flüssiges Zellkulturmedium durch feine Mikrokanäle. Den genauen Aufbau des Chips, also die Anzahl der Mini-Organe und die Verbindung mit den Mikrokanälen, können die IWS-Forscher spezifisch an unterschiedliche Fragestellungen und Anwendungen anpassen. Mit dem Chip lassen sich sowohl Wirkstoffe von neuen Medikamenten testen als auch Kosmetika auf ihre Hautverträglichkeit untersuchen.

Die Idee, verschiedene Zellproben mit Fluidkanälen zu verbinden, gibt es schon länger. Das neue System hat jedoch gegenüber bisherigen Ansätzen zwei entscheidende Vorteile: Dank der Expertise der IWS-Ingenieure ist das Mikrofluidiksystem extrem miniaturisiert. Die Pumpe ist in der Lage, winzigste Fördermengen von unter 0,5 Mikroliter pro Sekunde (µl/s) durch die Kanäle zu schleusen. »Dadurch ist das Verhältnis zwischen Zellprobe und flüssigem Medium realitätsgetreu«, erläutert Sonntag. Stimmt dieses Verhältnis nicht, führt das zu ungenauen Ergebnissen. Zweitens sorgt das Mikrofluidiksystem für eine Strömung – wie das menschliche Blut fließt das Medium kontinuierlich durch den gesamten Kreislauf auf dem Chip. Das ist wichtig, da manche Zelltypen sich nur dann »authentisch« verhalten, wenn sie durch eine Strömung angeregt werden.

Um die Wirkung einer Substanz zu testen, bestücken die Wissenschaftler zunächst den Chip mit verschiedenen Zellproben. Der zu testende Wirkstoff wird dann über das Medium der Zellprobe desjenigen Organs zugeführt, an dem der Stoff im menschlichen Körper in den Blutkreislauf eintreten würde. Das sind zum Beispiel Zellen aus der Darmwand. Auf dem Chip laufen dann die gleichen Stoffwechselreaktionen wie im menschlichen Organismus ab. »Wir verwenden Zellproben unterschiedlicher Geschlechter und Ethnien. Variationen von Körpergröße und -Gewicht können wir im Maßstab von 1:100 000 beliebig nachstellen«, so Sonntag. Die Forscher sehen genau, welche Stoffwechselprodukte sich in bestimmten Zellproben bilden und ob und welche Auswirkungen dies auf andere Zellen hat. Die Ergebnisse sind letztlich sogar aussagekräftiger als Tierexperimente: Denn die Wirkungen auf den Körper einer Maus oder Ratte lassen sich nicht eins zu eins auf den Menschen übertragen.

Bei einigen Unternehmen, etwa in der Kosmetikindustrie, ist der künstliche Organismus bereits im Einsatz. Neben der Wirkstoffforschung gibt es aber noch weiteres Anwendungspotenzial: »Man weiß heute, dass bestimmte Nierenzellen, so genannte Endothelzellen, bei fast allen Nierenerkrankungen eine Schlüsselrolle spielen. Bisher gab es bei In-vitro-Tests das Problem, dass Endothelzellen nur unter Strömung funktionieren. Hier könnte unser Multiorgan-Chip eine Testumgebung bieten, in der sich beobachten lässt, wie sich Zellen nach einer Schädigung regenerieren«, so Sonntag.

Als Alternative zu Tierversuchen wurde der künstliche Mini-Organismus kürzlich mit dem Tierschutz-Forschungspreis 2014 ausgezeichnet.

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Ultraschall-Technologie nach Maß

Presseinformation (Forschung Kompakt) der Fraunhofer-Gesellschaft vom 05.01.2015

Das Einsatzspektrum von Ultraschall ist riesig – dementsprechend unterscheiden sich die eingesetzten Technologien. Mit einem neuen modularen System decken Forscher nun eine große Anwendungsbandbreite ab: Vom Sonarsystem über medizinische Ultraschallverfahren bis hin zum Hochfrequenzbereich, etwa für die Werkstoffprüfung.

Ultraschall-Verfahren machen sichtbar, was unserem bloßen Auge verborgen bleibt: Ärzte untersuchen mithilfe von Sonographie Gewebsveränderungen in unserem Körper, U-Boote orientieren sich mit Sonarsystemen in der Dunkelheit der Tiefsee und in der Werkstoff- und Bauteileprüfung bietet Ultraschall eine zerstörungsfreie Alternative zu teuren, nicht echtzeitfähigen Verfahren. Je nach Anwendung kommen dabei unterschiedliche Technologien zum Einsatz. »Meist werden anhand der Kundenanforderungen komplette Spezialsysteme entwickelt. Vor dem Hintergrund, dass sich diese nur für einen sehr eingeschränkten Bereich nutzen lassen, ist der Entwicklungsaufwand jedoch recht hoch«, erklärt Steffen Tretbar vom Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik IBMT in St. Ingbert.

Tretbar und sein Team gehen deshalb einen neuen Weg: Die Wissenschaftler haben eine mehrkanalige Ultraschallplattform mit modularem Aufbau entwickelt, die sich an ganz unterschiedliche Anwendungen wie z. B. die Echtzeit-Therapiekontrolle anpassen lässt. »Damit können wir auf Kundenanfragen für verschiedenste Anwendungen nicht nur schnell reagieren, sondern auch kostensparende Lösungen anbieten«, sagt Tretbar. Das System nutzt Basiskomponenten wie Main Board, Spannungsversorgung sowie Steuerungssoftware, die immer gleich bleiben. »Die anwendungsspezifischen Komponenten, die Front-End Boards, setzen wir dann in dieses Main Board ein – wie bei einem Baukastensystem«, erläutert Tretbar.

Um ein System an eine Anwendung anzupassen, ist der Frequenzbereich der Ultraschallwellen eine zentrale Stellschraube: Sonarsysteme bewegen sich typischerweise im niederfrequenten Bereich (vom Kilohertz-Bereich bis etwa 2 MHz). Damit erhält man zwar keine hohe Ortsauflösung der Bilder, kann jedoch bis zu mehrere hundert Meter weit »sehen«. Anders beim Einsatz in der Medizin: Hier benötigt der Arzt möglichst hochaufgelöste Aufnahmen. Die Schallwellen müssen dazu jedoch keine weiten Strecken zurücklegen, sondern nur ein paar Zentimeter in den Körper eindringen. Daher bewegt sich medizinischer Ultraschall meist in einem Frequenzbereich zwischen 2 bis 20 MHz. Sehr hohe Frequenzen bis in den 100 MHz-Bereich ermöglichen Auflösungen im µm-Bereich, z. B. für die Werkstoffprüfung oder die Bildgebung von Kleintieren, die bei der Entwicklung von neuen Verfahren erforderlich ist. Für alle drei Bereiche haben die Forscher entsprechende Front-End Boards entwickelt.

Schnelle Schnittstellen zum Rechner

Um das System feinzujustieren, muss dann lediglich noch die Software entsprechend konfiguriert werden. »Wir haben sehr schnelle Schnittstellen zum PC realisiert. Damit können wir die Systeme in Echtzeit steuern, eine sehr rasche Signalverarbeitung mit Wiederholraten im kHz-Bereich ermöglichen und einfach neue für unterschiedliche Applikationen angepasste Softwarealgorithmen implementieren«, erläutert Tretbar. Ein weiterer Vorteil der Ultraschallplattform: Die Wissenschaftler können nicht nur auf klassische Bilddaten zurückgreifen, sondern auf die unverarbeiteten Rohsignale jedes Elements eines Ultraschallarrays. Damit lassen sich völlig neue Verfahren entwickeln.

Die verschiedenen Module sind einsatzreif – vor allem Unternehmen aus dem medizinischen Bereich haben Interesse an den Entwicklungen signalisiert. Um die Technologie in konkrete Produkte zu implementieren, bieten die Experten vom IBMT zwei Vorgehensweisen an: Entweder stellen sie zu den Ultraschallsystemen Software-Schnittstellen zur Verfügung, die direkt in das System des Kunden integriert werden. Die zweite Möglichkeit ist, die Anwendung des Kunden in die Software des Ultraschallsystems einzubinden und dann eine Software für die Gesamtapplikation zu realisieren. Im Rahmen der Forschungsplattform deckt die Entwicklungskompetenz des IBMT sämtliche Technologiekomponenten ab – vom Ultraschallwandler über neue Ultraschallverfahren bis hin zu Komplettsystemen und deren Zertifizierung bzw. Zulassung als Medizinprodukt.

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