Das Platin-Rätsel

Presseaussendung der TU Wien vom 04.04.2022

An der TU Wien konnte erklärt werden, wie eine chemische Reaktion abläuft, die nach bisheriger Sichtweise bei den beobachteten Temperaturen gar nicht möglich sein sollte.

Was passiert, wenn eine Katze auf eine Sonnenblume klettert? Die Sonnenblume ist nicht stabil, sie wird sich rasch nach unten verbiegen, und die Katze ist wieder auf dem Boden. Wenn die Katze aber nur einen raschen Zwischenschritt benötigt, um von dort aus einen Vogel zu erwischen, dann kann die Sonnenblume als „metastabiler Zwischenschritt“ den entscheidenden Unterschied machen. Genau diesen Mechanismus kann man beobachten, wenn einzelne Atome eines Katalysators Moleküle einfangen, um sie dann chemisch umzuwandeln.

Schon vor Jahren hatte man festgestellt, dass Platin-Katalysatoren, die man zur Oxidation von Kohlenmonoxid verwendet, bei Temperaturen aktiv sind, bei denen sie nach bisher gängiger Sichtweise eigentlich noch gar keinen Effekt zeigen dürften. Ein Forschungsteam der TU Wien konnte mit Hilfe von Mikroskop-Aufnahmen auf atomarer Skala und aufwändigen Computersimulationen nun zeigen: Das lässt sich erklären, wenn man berücksichtigt, dass sowohl der Katalysator selbst als auch das Material, auf dem er verankert ist, für kurze Zeit metastabile Zustände annehmen. Die Ergebnisse wurden nun im Fachjournal „Science Advances“ publiziert.

Einzelne Atome als Katalysatoren

In der Forschungsgruppe von Prof. Gareth Parkinson am Institut für Angewandte Physik der TU Wien untersucht man die kleinsten Katalysatoren, die überhaupt möglich sind: Einzelne Platin-Atome werden auf einer Eisenoxid-Oberfläche platziert. Sie kommen dann in Kontakt mit Gas, das Kohlenmonoxid enthält und wandeln das giftige Kohlenmonoxid in Kohlendioxid um.

„Dieser Vorgang ist technisch sehr wichtig, was dabei aber auf atomarer Ebene genau geschieht, war bisher nicht klar“, sagt Gareth Parkinson. „In unserer Forschungsgruppe untersuchen wir solche Prozesse auf verschiedene Arten: Einerseits erzeugen wir in einem Rastertunnelmikroskop extrem hochauflösende Bilder, auf denen man die Bewegung einzelner Atome studieren kann. Und andererseits analysieren wir den Vorgang mit Computersimulationen.“

Ob die Platin-Atome als Katalysator aktiv sind, hängt von der Temperatur ab. Im Experiment wird der Katalysator langsam und gleichmäßig erwärmt, bis die kritische Temperatur erreicht ist, und Kohlenmonoxid zu Kohlendioxid umgewandelt wird. Diese Schwelle liegt bei ungefähr 550 Kelvin (rund 277°C). „Das passte aber nicht zu unseren ursprünglichen Computersimulationen“, sagt Matthias Meier, der Erstautor der aktuellen Publikation. „Nach der Dichtefunktionaltheorie, die man normalerweise für solche Berechnungen verwendet, sollte der Prozess erst bei 800 Kelvin stattfinden. Wir wussten also: Irgendetwas Wichtiges hatte man hier bisher übersehen.“

Ein Kurzzeit-Zustand: Nicht stabil, aber wichtig

Mehrere Jahre hindurch sammelte das Team in verschiedenen anderen Forschungsprojekten umfangreiche Erfahrung mit ähnlichen Materialien, dadurch ergab sich Schritt für Schritt ein neues Bild: „Mit der Dichtefunktionaltheorie berechnet man normalerweise jenen Zustand des Systems, der die niedrigste Energie hat“, sagt Matthias Meier. „Das ist auch sinnvoll so, denn das ist der Zustand, den das System am häufigsten annimmt. Doch in unserem Fall gibt es einen zweiten Zustand, der eine zentrale Rolle spielt: Einen sogenannten metastabilen Zustand.“

Sowohl die Platin-Atome als auch die Eisenoxid-Oberfläche können zwischen unterschiedlichen Atomanordnungen hin- und her wechseln. Der Grundzustand, mit der niedrigsten Energie, ist stabil. Wenn das System in den metastabilen Zustand wechselt, kehrt es nach kurzer Zeit unweigerlich wieder in den Grundzustand zurück – wie die Katze, die auf einer instabilen Sonnenblume nach oben gelangen will. Doch bei der katalytischen Umwandlung von Kohlenmonoxid genügt es, dass sich das System für kurze Zeit im metastabilen Zustand befindet: So wie der Katze vielleicht ein kurzer Moment in einem wackeligen Kletterzustand genügen, um mit der Pfote einen Vogel zu erwischen, kann der Katalysator im metastabilen Zustand Kohlenmonoxid umwandeln.

Zwei Platin-Atome, die sich auf der Eisenoxid-Oberfläche gemeinsam genau an der richtigen Stelle anlagern, halten je ein Kohlenmonoxid-Molekül fest. Das Eisenoxid kann im metastabilen Zustand genau an dieser Stelle seine atomare Struktur ändern, es gibt ein Sauerstoffatom frei, das sich mit einem der Kohlenmonoxid-Moleküle zu Kohlendioxid verbindet, das dann augenblicklich davonfliegt – der Katalyseprozess ist somit abgeschlossen. „Wenn wir diese bisher nicht berücksichtigen Kurzzeit-Zustände in unsere Computersimulation mit einbauen, dann kommen wir genau auf das Ergebnis, das auch im Experiment gemessen wurde“, sagt Matthias Meier.

„Unser Forschungsergebnis zeigt, dass man in der Oberflächenphysik oft viel Erfahrung braucht“, sagt Gareth Parkinson. „Hätten wir nicht im Lauf der Jahre ganz unterschiedliche chemische Prozesse studiert, hätten wir dieses Rätsel wohl nie gelöst.“ In letzter Zeit wird auch künstliche Intelligenz mit großem Erfolg für die Analyse quantenchemischer Prozesse verwendet – doch in diesem Fall hätte das wohl keinen Erfolg gebracht, ist Parkinson überzeugt. Um auf kreative Lösungen außerhalb des bisher für möglich gehaltenen zu kommen, braucht man wohl doch den Menschen. (Florian Aigner)

Originalpublikation:
Meier et al., CO oxidation by Pt2/Fe3O4: metastable dimer and support configurations facilitate lattice oxygen extraction. Sci. Adv. 8, eabn4580 (2022).

Externer Link: www.tuwien.at

Wasseraufbereitung: Licht hilft beim Abbau von Hormonen

Presseinformation des KIT (Karlsruher Institut für Technologie) vom 13.04.2022

Forschende des KIT setzen mit Titandioxid beschichtete Polymermembranen zur photokatalytischen Reinigung ein – Nature Nanotechnology veröffentlicht Ergebnisse

Bei Mikroverunreinigungen im Wasser handelt es sich häufig um Hormone, die sich in der Umwelt ansammeln und sich negativ auf Menschen und Tiere auswirken können. Forschende am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und am Leibniz-Institut für Oberflächenmodifizierung (IOM) in Leipzig haben ein Verfahren zum photokatalytischen Abbau dieser Verunreinigungen im Durchfluss durch Polymermembranen entwickelt und in der Zeitschrift Nature Nanotechnology vorgestellt. Durch Bestrahlung mit Licht, das eine chemische Reaktion auslöst, werden Steroidhormone auf den mit Titandioxid beschichteten Membranen zersetzt.

Überall wo Menschen leben, gelangen Hormone, wie sie in Arzneimitteln zur Empfängnisverhütung und in der Landwirtschaft eingesetzt werden, in das Abwasser. Steroidhormone wie Sexualhormone und Corticosteroide können sich in der Umwelt ansammeln und sich negativ auf Menschen und Tiere auswirken, indem sie die Verhaltensentwicklung und die Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigen. Sexualhormone können beispielsweise dazu führen, dass männliche Fische weibliche Geschlechtsmerkmale entwickeln. Umso wichtiger ist es, neben anderen Mikroverunreinigungen auch Hormone aus dem Abwasser zu entfernen, bevor diese in den natürlichen Wasserkreislauf zurückgelangen, aus dem wiederum das Trinkwasser kommt. „Die Menschen mit sauberem Trinkwasser zu versorgen, gehört weltweit zu den wichtigsten Herausforderungen der Gegenwart“, sagt Professorin Andrea Iris Schäfer, Leiterin des Institute for Advanced Membrane Technology (IAMT) des KIT. „Spurenschadstoffe sind eine enorme Bedrohung für unsere Zukunft, da sie unsere Fruchtbarkeit und Gehirnfunktion beeinträchtigen.“

Inspiration aus der Solarzellentechnologie

Schäfer befasst sich seit Jahren mit der Wasseraufbereitung über Nanofiltration. Dazu setzt sie Polymermembranen mit nanometerkleinen Poren ein. Allerdings arbeitet die Nanofiltration mit hohem Druck und benötigt daher viel Energie. Außerdem kann es passieren, dass sich Mikroverunreinigungen in den polymeren Membranmaterialien ansammeln und allmählich in das gefilterte Wasser übergehen. Selbst wenn die Entfernung der Verunreinigungen vollständig gelingt, entsteht dabei ein Strom mit konzentrierten Schadstoffen, der weiterbehandelt werden muss.

Inspiriert von der Solarzellentechnologie, mit der sich der ebenfalls am KIT tätige Professor Bryce S. Richards befasst, kam Schäfer auf die Idee, Polymermembranen mit Titandioxid zu beschichten und photokatalytische Membranen zu entwickeln: Photokatalytisch aktive Titandioxid-Nanopartikel werden auf Mikrofiltrationsmembranen aufgebracht, deren Poren etwas größer sind als bei der Nanofiltration. Durch Bestrahlung mit Licht, das eine chemische Reaktion auslöst, werden Steroidhormone auf den Membranen zersetzt. Nun hat Schäfer ihre Idee mit ihrem Team am IAMT des KIT und mit Kolleginnen am Leibniz-Institut für Oberflächenmodifizierung (IOM) in Leipzig verwirklicht und die neue Technologie in der Zeitschrift Nature Nanotechnology vorgestellt.

Katalysator für Wasser

„Wir haben sozusagen einen Katalysator für Wasser entwickelt“, resümiert Schäfer. Mit den photokatalytischen Polymermembranen gelang es, Steroidhormone im kontinuierlichen Durchfluss so weit zu entfernen, dass die analytische Nachweisgrenze von vier Nanogramm pro Liter erreicht wurde – die Werte kamen sogar ziemlich nah an ein Nanogramm pro Liter heran, was der neuen Trinkwasserrichtlinie der WHO entspricht. Die Forschenden arbeiten daran, ihre Technologie weiterzuentwickeln, um den Zeitbedarf und den Energieverbrauch zu senken sowie die Verwendung von natürlichem Licht zu ermöglichen. Vor allem aber zielt die weitere Forschung darauf ab, auch andere Schadstoffe mithilfe der Photokatalyse abzubauen, beispielsweise Industriechemikalien wie per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS) oder Pestizide wie Glyphosat. Eine weitere Herausforderung besteht darin, die Technologie in größerem Maßstab zu verwirklichen. (or)

Originalpublikation:
Shabnam Lotfi, Kristina Fischer, Agnes Schulze and Andrea I. Schäfer: Photocatalytic degradation of steroid hormone micropollutants by TiO2-coated polyethersulfone membranes in a continuous flow-through process. Nature Nanotechnology, 2022. DOI: 10.1038/s41565-022-01074-8

Externer Link: www.kit.edu

Geklebte Verbundbauteile aus Holz und Beton für den Brückenbau

Pressemitteilung der Universität Kassel vom 13.04.2022

Verbundbaueile aus Holz und Beton kombinieren die Vorteile beider Werkstoffe: Leichtigkeit, Biegsamkeit und Nachhaltigkeit von Holz mit Druckfestigkeit und Tragfähigkeit von Beton. Sie großflächig und durchgängig aneinanderzufügen ist in der Praxis jedoch eine Herausforderung. Jetzt haben Forschende des Fachgebiets Bauwerkserhaltung und Holzbau der Uni Kassel die Herstellung von Holz-Beton-Tragwerken für den Brückenbau mithilfe von Klebstoffen vereinfacht und in Belastungstests erprobt.

Holz-Beton-Verbundkonstruktionen werden im Hoch- und Brückenbau als ressourcenschonendes Baumaterial eingesetzt. Die gängigen Herstellungsverfahren nutzen metallische Verbindungen wie Schrauben oder Bolzen, wodurch in jedem Fall der Einsatz von Ortbeton erforderlich ist. Darauf verzichten Forschende des Fachgebiets Bauwerkserhaltung und Holzbau der Uni Kassel. Sie konnten stattdessen beweisen, dass es mit hochgefüllten Epoxidharzklebstoffen oder sogenanntem Polymermörtel möglich ist, großflächig verklebte Bauteile von mehreren Metern Länge herzustellen, die zudem für den Einsatz als Schwerlast-Brücken geeignet sind. „Die Klebetechnik bietet gegenüber herkömmlichen Verbindungsmittelmethoden viele Vorteile hinsichtlich der Tragfähigkeit und der Biegesteifigkeit. Besonders vorteilhaft ist an dieser Konstruktionsart zudem der Einsatz vorgefertigter Stahlbetonfertigteile zu nennen. Diese sind einfach handzuhaben, müssen auf der Baustelle nicht aushärten und sind in der Gesamtbetrachtung damit oftmals günstiger als herkömmliche Baumethoden“, beschreibt Jens Frohnmüller, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Fachgebiets.

Bei den Versuchen zeigte sich auch, dass der neuartige Polymermörtel aufgrund seiner Zähigkeit beim Auftragen auf die Holzbalken besser zu handhaben ist als gängige Epoxidharzklebstoffe und auch Unebenheiten an den Oberflächen der Werkstoffe besser überbrücken kann. Zudem wird der Klebstoff nicht flächig, sondern in Streifen aufgetragen. So kann die Klebefläche an die auftretende Beanspruchung angepasst werden.

In Belastungstest hielten die Verbundbalken mit einer Spannweite von 8m einer Last von bis zu 446 Kilonewton stand. „Umgerechnet sind das etwa 45 Tonnen, also kann eine Brücke aus diesem geklebtem Holz-Beton-Verbund einen voll beladenen Schwerlasttransporter aushalten – oder etwa 30 VW-Golfs gleichzeitig“, erklärt Jens Fronmüller. Der Klebeverbund blieb bis zum endgültigen Versagen des Trägers immer vollständig erhalten. Für das endgültige Versagen war entweder ein Zugversagen des Holzes oder ein Druckversagen des Betons verantwortlich.

Darüber hinaus konnten die Forschenden zwei Berechnungsmodelle validieren. Mit diesen lassen sich alle wichtigen Eigenschaften der Verbundträger, insbesondere die konkrete Tragfähigkeit und das Verformungsverhalten vorhersagen. „Die Ergebnisse der Modelle stimmen mit den Ergebnissen aus den Versuchen sehr gut überein. Sie sind ein zuverlässiges Werkzeug, dass wir Ingenieuren an die Hand geben können, die mit dieser Methode arbeiten wollen. Die so verklebten Bauteile eignen sich gut für den Brückenbau zum Beispiel im Forst, wo sie oft schwere Lasten der Fahrzeuge aushalten müssen“, resümiert Prof. Werner Seim, Leiter des Fachgebiets.

Externer Link: www.uni-kassel.de

Nervenstimulation mithilfe implantierbarer Mini-Solarzellen

Pressemeldung der TU Graz vom 07.04.2022

Ein internationales Forschungsteam entwickelte und testete erfolgreich ein Konzept, bei dem Nerven mit Lichtpulsen stimuliert werden. Die Methode liefert erhebliche Vorteile für die Medizin und eröffnet eine Vielzahl an Anwendungsmöglichkeiten.

Die Technologie ermöglicht vollkommen neue Arten von Implantaten, die zum Anregen von Nervenzellen eingesetzt werden können und wurde in einer Gemeinschaftsleistung von Forschenden der TU Graz, der Med Uni Graz, der Universität Zagreb und dem CEITEC (Central European Institute of Technology) entwickelt. Basis dafür sind Farbpigmente aus der Lebensmittelindustrie, wie sie beispielsweise auch in organischen Solarzellen verwendet werden. Die Pigmente werden zu einer nur wenige Nanometer dünnen Schicht aufgedampft und wandeln dort – gleich wie in organischen Solarzellen – Licht in elektrische Ladung. Nervenzellen, die an der Folie anhaften (sie werden zunächst auf die Folie pipettiert und „wandern“ darauf, Anm.), reagieren auf diese Aufladung und feuern ihrerseits elektrische Impulse, mit denen sie andere Nervenzellen anregen.

In zellbiologischen Experimenten konnten die Forschenden diesen Prozess nun erstmals nachweisen. Gezüchtete Nervenzellen, die direkt auf der Folie wuchsen, wurden durch mehrere jeweils wenige Millisekunden kurze Lichtblitze mit einer Wellenlänge von 660 Nanometern (rotes Licht) angeregt und reagierten wie erhofft: Sie erzeugten sogenannte Aktionspotenziale, die wesentlich sind für die Kommunikation zwischen Nervenzellen. Die Ergebnisse ihrer elektrophysiologischen Messungen und Computersimulationen haben die Forschenden im Fachjournal „Advanced Materials Technologies“ veröffentlicht.

Paradigmenwechsel von Metallelektroden hin zu flexiblen Folien

Korrespondierende Autorin Theresa Rienmüller vom Institut für Health Care Engineering der TU Graz spricht von einem Paradigmenwechsel: „Im Gegensatz zur derzeit gängigen Elektrostimulation mittels Metallelektroden stellen unsere Pigmentfolien eine vollkommen neue Möglichkeit dar, Nervenzellen anzuregen.“ Die Folien sind so dünn, dass sie leicht implantiert werden können. Während der Behandlung würde die Nervenzellen dann mit rotem Licht bestrahlt werden, das ohne Schaden tief in den Körper dringen kann. „Wir denken, dass kurzfristige Behandlungen zu therapeutischen Langzeiteffekten führen können. Diese Experimente werden jetzt gerade erforscht“, gibt Rainer Schindl, Elektrophysiologe am Lehrstuhl für Biophysik der Med Uni Graz und Supervisor im Projekt einen Ausblick.

Zukünftig bräuchte es also keine aufwendige Verkabelung mehr, was nach invasiven Eingriffen wiederum die Infektionsgefahr reduziert, weil keine Schläuche oder Kabel mehr aus dem Körper nach außen führen müssen. Dank ihrer organischen Beschaffenheit sind die Pigmentfolien ausgesprochen gut verträglich, sowohl für menschliche als auch für tierische Zellen.

Vielfältige Einsatzgebiete

Anwendungsmöglichkeiten sehen die Forschenden bei schweren Hirnverletzungen. Hier kann die Stimulation von Nervenzellen den Heilungsprozess beschleunigen und Komplikationen vorbeugen, indem sie „ein Absterben der Nervenzellen verhindert“, so Erstautor Tony Schmidt vom Lehrstuhl für Biophysik der Med Uni Graz. Potenzial sehen die Forschenden auch bei anderen neurologischen Verletzungen oder in der Schmerztherapie. Außerdem könne die Technologie eingesetzt werden, um neuartige Netzhaut-Implantate zu erzeugen.

Bis die Pigmentfolie den Weg in die klinische Anwendung findet, ist noch weitere Forschung nötig. Diese erfolgt unter anderem im Rahmen eines derzeit laufenden und vom FWF geförderten Zukunftskollegs (Titel: LOGOS-TBI: Light-controlled OrGanic semicOnductor implantS for improved regeneration after Traumatic Brain Injury). Rienmüller, Schindl und Schmidt geben sich zuversichtlich, dass „schon in den nächsten beiden Jahren erste Pigmentfolien implantiert werden könnten.“ (Christoph Pelzl)

Originalpublikation:
Schmidt, T., Jakešová, M., Đerek, V., Kornmueller, K., Tiapko, O., Bischof, H., Burgstaller, S., Waldherr, L., Nowakowska, M., Baumgartner, C., M. Üçal, , Leitinger, G., Scheruebel, S., Patz, S., Malli, R., Głowacki, E. D., Rienmüller, T., Schindl, R., Light Stimulation of Neurons on Organic Photocapacitors Induces Action Potentials with Millisecond Precision. Adv. Mater. Technol. 2022, 2101159.

Externer Link: www.tugraz.at

Fehlender Baustein für Quantenoptimierung entwickelt

Medieninformation der Universität Innsbruck vom 25.03.2022

Optimierungsaufgaben in Logistik oder Finanzwesen gelten als erste mögliche Anwendungen von Quantenrechnern. Innsbrucker Physiker haben nun ein Verfahren entwickelt, mit dem Optimierungsprobleme auf heute bereits existierender Quanten-Hardware untersucht werden können. Sie haben dazu ein spezielles Quantengatter entwickelt.

Weltweit wird die Entwicklung von Quantencomputern vorangetrieben, und es gibt unterschiedliche Konzepte, wie das Rechnen mit den Möglichkeiten der Quantenwelt umgesetzt werden kann. Viele davon sind experimentell schon in Bereiche vorgestoßen, die auf klassischen Computern nicht mehr nachgeahmt werden können. Doch noch sind die Technologien nicht so weit, dass größere Rechenprobleme damit gelöst werden können. Die Wissenschaft sucht deshalb aktuell nach Anwendungen, die auf bereits existierenden Plattformen umgesetzt werden können. „Wir suchen nach Aufgaben, die wir auf der vorhandenen Hardware rechnen können”, sagt Rick van Bijnen vom Institut für Quantenoptik und Quanteninformation der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Innsbruck. Ein Team um Rick van Bijnen und Wolfgang Lechner schlägt nun ein Verfahren vor, mit dem Optimierungsaufgaben mit Hilfe von neutralen Atomen gelöst werden können.

Software-Lösung

Um in naher Zukunft wissenschaftlich und industriell relevante Anwendung für existierende Quanten-Hardware zu entwickeln, suchen Wissenschaftler nach speziellen Algorithmen, die strukturell mit den Stärken einer Quantenplattform übereinstimmen. „Durch dieses Co-Design von Algorithmen und experimentellen Plattformen funktionieren diese Systeme auch ohne die heute noch schwierige Fehlerkorrektur“, erläutert Wolfgang Lechner vom Institut für Theoretische Physik der Universität Innsbruck. Die Physiker setzen ihren Optimierungsalgorithmus auf neutralen Atomen um, die in optischen Pinzetten gefangen und angeordnet sind. Über die Wechselwirkung hoch angeregter Rydberg-Zustände können diese programmiert werden. Um die Grenzen bisheriger Ansätze zu vermeiden, implementieren die Physiker den Algorithmus nicht direkt, sondern verwenden die sogenannte Parity-Architektur, einen skalierbaren und problemunabhängigen Hardware-Entwurf für kombinatorische Optimierungsprobleme, den Wolfgang Lechner gemeinsam mit Philipp Hauke und Peter Zoller in Innsbruck entwickelt hat. Auf diese Weise sind für den Optimierungsalgorithmus nur problemabhängige Rechenoperationen auf einzelnen Quantenbits sowie problemunabhängige Operationen auf mehreren Quantenbits notwendig. Für diese Vier-Qubit-Operationen eine direkte und einfache Umsetzung zu finden, war die größte Herausforderung für die Innsbrucker Forscher. Sie haben dafür ein spezielles Quantengatter entwickelt. „Wir haben den Algorithmus direkt in der Sprache des Experiments umgesetzt”, erklärt Erstautor Clemens Dlaska. „So kann der Algorithmus auf aktueller Quanten-Hardware realisiert werden, indem einfach die Dauer von Laserpulsen in einer Rückkopplungsschleife optimiert wird“.

Beliebig erweiterbar

Mit dem vorgeschlagenen Konzept kann die Leistungsfähigkeit bestehender Quantenhardware bei der Lösung relevanter Optimierungsprobleme für Problemgrößen untersucht werden, die derzeit auf klassischen Supercomputern nicht simuliert werden können. Dass sowohl die Hardware-Plattform als auch die Software-Lösung ohne Modifikationen weitgehend beliebig erweitert werden kann, ist ein wichtiger Vorteil des neuen Verfahrens.

Das Innsbrucker Team hat sein neues Konzept nun in der Fachzeitschrift Physical Review Letters vorgestellt. Finanziert wurde die Forschung vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF, der Europäischen Union im Rahmen des PASQuanS-Projekts und der Hauser-Raspe-Stiftung.

Originalpublikation:
Quantum optimization via four-body Rydberg gates. Clemens Dlaska, Kilian Ender, Glen Bigan Mbeng, Andreas Kruckenhauser, Wolfgang Lechner, Rick van Bijnen. Phys. Rev. Lett. 128, 120503 – Published 24 March 2022

Externer Link: www.uibk.ac.at