Tennis-Training im Wohnzimmer

Presseaussendung der TU Wien vom 14.03.2022

TU Wien und VR Motion Learning entwickeln gemeinsam einen virtuellen Tennistrainer. Dieser soll zukünftig nicht nur Bewegungsabläufe analysieren, sondern den Spielenden auch Feedback geben können.

Bislang fanden Trainingseinheiten im Tennis vorwiegend auf dem Tennisplatz statt. Mit der Entwicklung eines virtuellen Tennistrainers soll es künftig möglich sein, Zuhause zu trainieren. Bereits seit März 2020 arbeiten die Partner, TU Wien und VR Motion Learning, an der Entwicklung ihres virtuellen Tennistrainers. Während bislang vor allem die Erkennung und Bewertung von Bewegungsabläufen analysiert und automatisiert wurde, konzentriert sich das Team nun auf die didaktische Komponente, um den Nutzer_innen hilfreiche Rückmeldung zu geben. Gefördert wird dieses Vorhaben durch die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft FFG, welche die Projektverlängerung Ende Jänner bekannt gab.

Training der KI

Mit dem entwickelten „Tennis-Simulator“ (Tennis Esports) können Nutzer_innen virtuelles Tennis erleben und physikalisch richtige Schläge durchführen. Der darauf aufbauende Tennistrainer richtet sich an Personen, die neu in den Sport einsteigen oder ihre Technik verbessern möchten. Denn richtig ausgeführt bringt Tennis nicht nur mehr Spaß, es lassen sich auch Verletzungen verhindern. Damit die angehenden Tennisspieler_innen von einem virtuellen Trainer lernen können, muss dieser zunächst mit entsprechenden Fähigkeiten ausgestattet werden. Um zu analysieren, wie verschiedene Schläge wie Vorhand-Topspin, Rückhand-Slice oder Aufschlag korrekt ausgeführt werden, lud das Team zunächst erfahrene Tennisspieler_innen ein, um ihre Bewegungsabläufe – ebenso wie die Führung des Schlägers – mit Kameras aufzuzeichnen. Die so entstandene Datenbank an verschiedensten Schlägen konnte anschließend genauestens mit einer eigens entwickelten Künstlichen Intelligenz analysiert und verglichen werden.

„Am Ende der ersten Projektphase konnte der virtuelle Tennistrainer, basierend auf den als korrekt aufgezeichneten Schlägen, neue Bewegungsabläufe der Spieler_innen vollautomatisiert erfassen und bewerten“, sagt Hannes Kaufmann, Leiter der Gruppe Virtual und Augmented Reality und Professor für Virtual- und Augmented Reality an der TU Wien. „Die Herausforderung, vor der wir jetzt stehen, ist die Implementierung einer Feedbackfunktion. Schließlich soll der Simulator auch zu einer verbesserten Spielleistung beitragen“. Die Feedbackfunktion gilt es nicht nur technisch umzusetzen, es sind auch Überlegungen notwendig, wie Lern- und Trainingseffekte am größten ausfallen. „Ein Vorteil, den uns die virtuelle Umgebung dabei bietet, ist, dass dieselbe Situation mehrfach durchlebt werden kann. Das Feedback zu einem Schlag kann folglich direkt umgesetzt werden“, erklärt Peter Kán vom Forschungsbereich Computer Graphics der TU Wien. Wird virtuell trainiert, stehen die Spielenden auf einem (virtuellen) Tennisplatz, auf dem sie sich frei bewegen können.

Auf dem Tennisplatz oder Zuhause?

Das Programm kann als Erweiterung zum klassischen Training auf dem Tennisplatz gesehen werden. Die Idee ist, menschlichen Trainer_innen ein Werkzeug an die Hand zu geben, um den Spielenden das Trainieren abseits vom Platz, alleine oder auch zu zweit, an verschiedenen Orten zu ermöglichen. „Damit zukünftig aber auch Zuhause trainiert werden kann, entwickeln wir in der kommenden Projektphase eine Version, die die Schlaganalyse ausschließlich anhand von vorhandenen VR Sensordaten vornimmt. Ein zusätzliches Kamerasysteme zur Bewegungserkennung ist dann nicht notwendig“, berichtet Peter Kán. Die Spielenden würden dann nur noch ein VR-Headset sowie einen Tennisschläger benötigen – die zuvor benötigte Tiefenkamera würde überflüssig. Trainiert werden kann bereits auf einer Fläche von 2×2 Metern, die sich auf bis zu 10×10 Meter erweitern lässt.

Mit Entwicklung einer Version für Zuhause reagiert das Team auf Hemmnisse wie das Fehlen eines_einer Trainingspartner_in oder mangelnder zeitlicher Flexibilität. Wichtig ist dem Entwicklungsteam dabei, eine Anwendung für Personen zu schaffen, die sich für den Sport Tennis interessieren, nicht primär für E-Sports. Der virtuelle Tennistrainer soll bereits Ende des Jahres für die Oculus Quest verfügbar sein. (Sarah Link)

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Warum manche Blasen mehr Tempo machen

Pressemeldung der TU Graz vom 03.03.2022

Warum bewegen sich große Gasblasen in viskoelastischen Flüssigkeiten (etwa Polymer- und Proteinlösungen) so viel schneller als erwartet? Eine offene Frage mit großer Relevanz für industrielle Produktionsprozesse. Forschende der TU Graz und der TU Darmstadt haben nun eine Erklärung gefunden.

Es ist ein unter Fachleuten lange bekanntes Rätsel, das in vielen industriellen Produktionsprozessen sehr relevant ist: die sprunghaft unterschiedlichen Aufstiegsgeschwindigkeiten von Gasblasen in sogenannten viskoelastischen Flüssigkeiten. Viskoelastische Flüssigkeiten sind Stoffe, die Merkmale flüssiger und elastischer Stoffe in sich vereinen. Ein Beispiel dafür sind viele Haarshampoos: Stellt man eine durchsichtige, fast ganz gefüllte Flasche davon auf den Kopf, so sieht man die eingeschlossene Luft als Blase in ungewöhnlicher Form aufsteigen. In vielen Industrieprozessen treten solche Flüssigkeiten als Lösungen von Polymeren auf, die häufig durch Begasung mit Sauerstoff angereichert werden müssen. „Wir wissen seit etwa 60 Jahren, dass die Aufstiegsgeschwindigkeit von Gasblasen in viskoelastischen Flüssigkeiten bei einem kritischen Blasendurchmesser sprunghaft zunimmt. Die Blasen steigen dann plötzlich bis zu zehnmal schneller auf. Das spielt für die kontrollierte Begasung dieser Flüssigkeiten eine fundamentale Rolle. Gleichzeitig war unklar, was diesen sprunghaften Geschwindigkeitsanstieg verursacht“, erläutert Günter Brenn vom Institut für Strömungslehre und Wärmeübertragung der TU Graz.

Mit einer Kombination aus Simulation, Experiment und theoretischen Analysen haben die Teams von Günter Brenn an der TU Graz und Dieter Bothe an der TU Darmstadt das Rätsel nun gemeinsam gelöst. Sie haben herausgefunden, dass die Wechselwirkung der Polymermoleküle mit der Strömung rund um die Gasblasen zu dem merkwürdigen Geschwindigkeitsverhalten der Blasen führt. Mit diesem Wissen kann nun der Sauerstoffeintrag in diese Lösungen genauer vorausberechnet werden, womit Apparaturen etwa in der Biotechnologie, in der Verfahrenstechnik und in der pharmazeutischen Industrie besser ausgelegt werden können. Ihre Erkenntnisse erläutern die Forscher aktuell im Fachjournal Journal of Non-Newtonian Fluid Mechanics.

„Entspannter“ Zustand bevorzugt

Polymere bestehen aus oft riesengroßen Molekülen, die in komplexer Weise mit der Flüssigkeit, in der sie gelöst sind, interagieren. Diese Wechselwirkung macht eine Flüssigkeit viskoelastisch. Was bedingt nun den sprungartigen Geschwindigkeitsanstieg, den Gasblasen in diesen Flüssigkeiten ab dem kritischen Durchmesser an den Tag legen? Günter Brenn erläutert die jüngsten Erkenntnisse: „Die Strömung rund um die Blase führt dazu, dass sich dort die gelösten Polymermoleküle verformen. Diesen Zustand mögen die Moleküle nicht besonders. Sie wollen so schnell wie möglich zum entspannten, unverformten Zustand zurückkehren.“ Wenn diese Rückkehr zum entspannten Zustand schneller geht als der Transport der Moleküle bis zum Äquator der Blase, dann bleibt die Blase langsam. Dauert die Rückkehr zur Entspannung hingegen länger als die Reise zum Blasenäquator, dann wird in der Flüssigkeit eine Spannung frei, die die Blase „anschiebt“. Das führt zu einer Selbstverstärkung, da nachfolgende Polymermoleküle nun erst recht bis unterhalb des Äquators kommen, sich dort entspannen und wiederum eine „Schubkraft“ freisetzen.

Neben der hohen Praxisrelevanz dieser Erkenntnis, insbesondere für die oben genannten Anwendungsbereiche, ergeben sich auch Konsequenzen in der Grundlagenforschung. „Es hat sich herausgestellt, dass eine weitere überraschende Eigenschaft des Strömungsfeldes dieser Lösungen diesem von uns gezeigten molekularen Mechanismus zugeordnet werden kann: nämlich der sogenannte ,negative Nachlauf‘ der Gasblase“, so Dieter Bothe von der Arbeitsgruppe Analysis des Fachbereichs Mathematik der TU Darmstadt. Das ist ein Bereich im Strömungsfeld unter der Blase, in dem normalerweise die Flüssigkeit mit kleiner Geschwindigkeit der Blase „hinterherläuft“. Bei den polymeren Flüssigkeiten ist es aber umgekehrt: dort ist die Flüssigkeitsbewegung entgegen der Blasenbewegung orientiert. Diese Flüssigkeitsbewegung kommt durch dieselbe Spannung zustande, die auch die Blase „anschiebt“. Aus diesem Verständnis können sich Möglichkeiten zur Steuerung von Strömungsvorgängen ergeben. (Susanne Filzwieser)

Originalpublikation:
On the molecular mechanism behind the bubble rise velocity jump discontinuity in viscoelastic liquids.
Dieter Bothe, Matthias Niethammer, Christian Pilz, Günter Brenn. J. Non-Newtonian Fluid Mech. vol. 302 (2022), 104748

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Quanteninformation: Licht aus Seltenerdmolekülen

Presseinformation des KIT (Karlsruher Institut für Technologie) vom 10.03.2022

Neuartiges Material mit vielversprechenden Eigenschaften für Quantencomputer und -netzwerke entdeckt – Forschende des KIT berichten in Nature

Mit Licht lässt sich Quanteninformation schnell, effizient und abhörsicher verteilen. Forschende des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), der Universität Straßburg, der Chimie ParisTech und der nationalen französischen Forschungsorganisation CNRS haben nun die Entwicklung von Materialien zur Verarbeitung von Quanteninformation mit Licht wesentlich vorangebracht: In der Zeitschrift Nature präsentieren sie ein zu den Metallen der Seltenen Erden gehörendes kernspinhaltiges Europium-Molekül, mit dem sich eine effektive Photon-Spin-Schnittstelle verwirklichen lässt.

Quanteninformation wird nicht nur die Forschung und die Industrie, sondern letztlich auch unser Alltagsleben revolutionieren: Sie verspricht unter anderem enorme Fortschritte bei der Simulation von Materialien und Prozessen, was beispielsweise die Entwicklung neuer Arzneimittel, die Verbesserung von Batterien, die Verkehrsplanung sowie sichere Information und Kommunikation voranbringen kann. Ein Quantenbit (Qubit) kann sich gleichzeitig in vielen verschiedenen Zuständen zwischen 0 und 1 befinden. Diese sogenannte Quantensuperposition ermöglicht, Daten massiv parallel zu verarbeiten. Dadurch steigt die Rechenleistung von Quantencomputern gegenüber digitalen Computern exponentiell. Um Rechenoperationen durchführen zu können, müssen die Überlagerungszustände eines Qubit allerdings eine gewisse Zeit lang bestehen. Die Quantenforschung spricht von Kohärenzlebensdauer. Kernspins, das heißt Drehimpulse der Atomkerne, in Molekülen ermöglichen Überlagerungszustände mit langen Kohärenzlebensdauern. Denn die Kernspins sind gut von der Umgebung abgeschirmt, sodass sie die Qubits vor störenden äußeren Einflüssen schützen.

Effektive Licht-Kernspin-Schnittstelle

„Um praktische Anwendungen zu ermöglichen, müssen wir Quantenzustände speichern, verarbeiten und verteilen können“, erklärt Professor Mario Ruben, Leiter der Forschungsgruppe Molecular Quantum Materials am Institut für Quantenmaterialien und -technologien (IQMT) des KIT sowie des European Center for Quantum Sciences – CESQ an der Universität Straßburg. „Dazu haben wir nun ein vielversprechendes neuartiges Material identifiziert: ein kernspinhaltiges Europium-Molekül, das zu den Metallen der Seltenen Erden gehört.“ In einer in der Zeitschrift Nature erschienenen Publikation stellen Forschende um die Professoren Mario Ruben und David Hunger vom IQMT des KIT sowie Dr. Philippe Goldner von der École nationale supérieure de Chimie de Paris (Chimie ParisTech – PSL University; Centre national de la recherche scientifique, CNRS) das innovative Material vor.

Das Molekül ist so aufgebaut, dass es bei Laseranregung Lumineszenz zeigt, das heißt Lichtteilchen aussendet, welche die Kernspininformation tragen. Durch gezielte Laserexperimente lässt sich damit eine effektive Licht-Kernspin-Schnittstelle schaffen. Die vorliegende Arbeit zeigt die Adressierung von Kernspinniveaus mithilfe von Photonen, die kohärente Speicherung von Photonen sowie die Ausführung erster Quantenoperationen.

Hohe Dichte an Qubits

Um nützliche Quantenoperationen durchzuführen, bedarf es vieler Qubits, die miteinander quantenmechanisch verbunden werden. Für diese Verschränkung müssen die Qubits miteinander wechselwirken können. Die Forschenden aus Karlsruhe, Straßburg und Paris weisen in ihrer Arbeit nach, dass sich die Europium-Ionen in den Molekülen über elektrische Streufelder so miteinander koppeln können, dass künftig Verschränkung und damit Quanteninformationsverarbeitung möglich wird. Da die Moleküle atomgenau aufgebaut sind und sich in exakten Kristallen anordnen, lässt sich eine hohe Qubit-Dichte erreichen.

Ein weiterer für praktische Anwendungen entscheidender Aspekt ist die Adressierbarkeit der einzelnen Qubits. Mit optischer Adressierung lässt sich die Auslesegeschwindigkeit steigern, lassen sich störende elektrische Zuführungen vermeiden, und durch Frequenzseparation lässt sich eine Vielzahl von Molekülen individuell adressieren. Die vorliegende Arbeit erreicht gegenüber früheren Arbeiten eine rund tausendfach verbesserte optische Kohärenz in einem molekularen Material. Damit lassen sich Kernspinzustände gezielt optisch manipulieren.

Ein Schritt hin zum Quanteninternet

Licht eignet sich auch dazu, Quanteninformation über größere Distanzen zu verteilen, um beispielsweise Quantenrechner miteinander zu verknüpfen oder Informationen abhörsicher zu übertragen. Durch Integration des neuartigen Europium-Moleküls in photonische Strukturen zur Verstärkung der Übergänge könnte auch dies in Zukunft möglich sein. „Unsere Arbeit bildet einen wichtigen Schritt hin zu Quantenkommunikationsarchitekturen mit seltenerdbasierten Molekülen als Grundlage für ein Quanteninternet“, sagt Professor David Hunger vom IQMT des KIT. (or)

Originalpublikation:
Diana Serrano, Kuppusamy Senthil Kumar, Benoît Heinrich, Olaf Fuhr, David Hunger, Mario Ruben, Philippe Goldner: Rare-Earth Molecular Crystals with Ultra-narrow Optical Linewidths for Photonic Quantum Technologies. Nature, 2022. DOI: 10.1038/s41586-021-04316-2.

Externer Link: www.kit.edu

Therapie für Muskelschwäche: Neues Start-up gegründet

Medienmitteilung der Universität Basel vom 28.02.2022

Prof. Dr. Markus Rüegg und Dr. Judith Reinhard vom Biozentrum der Universität Basel haben gemeinsam mit Dr. Thomas Meier, früherer CEO von Santhera Pharmaceuticals, das Start-up SEAL Therapeutics AG gegründet. Ihr Ziel ist es, mittels Gentherapie angeborene Muskelschwäche zu behandeln und ihre Forschungsergebnisse vom Labor zum Patienten zu bringen. Die tödlich verlaufende Erbkrankheit ist derzeit noch unheilbar.

Die angeborene Muskelschwäche ist eine seltene Erbkrankheit, für die es bis heute noch keine Therapie gibt. Es sind mehr als dreissig verschiedene Formen von Muskeldystrophien bekannt, die sich in der Art des genetischen Defektes und der Schwere des Verlaufs voneinander unterscheiden.

Prof. Markus Rüeggs Team am Biozentrum der Universität Basel beschäftigt sich seit mehr als einem Jahrzehnt mit der LAMA2-defizienten kongenitalen Muskeldystrophie (LAMA2 MD oder MDC1A). Diese schwere Form von Muskelschwäche manifestiert sich bereits nach der Geburt oder im Säuglingsalter. Die Muskeln der betroffenen Kinder verlieren zunehmend an Kraft und bilden sich immer weiter zurück. Häufig sterben die Kinder noch bevor sie erwachsen sind.

Start-up: Gentherapie in die Klinik bringen

Die Forschenden um Rüegg haben auf ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse aufbauend einen gentherapeutischen Ansatz zur Behandlung der LAMA2 MD-Muskelschwäche entwickelt und diese in einem von der Innosuisse geförderten Projekt die Forschung in Richtung klinischer Anwendung vorangetrieben.

Die Gründung des Start-ups SEAL Therapeutics AG ist ein wichtiger Schritt, um Kooperationspartner aus der Pharmaindustrie ins Boot zu holen und in klinischen Studien die Wirksamkeit der neuartigen Gentherapie am Patienten zu prüfen.

Lebensbedrohliche Muskelschwäche

Kinder mit der Muskelschwäche LAMA2 MD leiden an fehlender Muskelspannung und -kraft von Geburt an, sie werden deshalb auch als «floppy infants» bezeichnet. Die meisten Betroffenen lernen nie selbstständig zu laufen. Auch die Atemmuskulatur ist schwach und baut sich stetig weiter ab, bis das Organ versagt.

Die Ursache für die Muskelschwäche ist ein fehlerhaftes Gen. Der Körper kann infolge dessen kein Laminin-a2 bilden, ein Protein, welches die Muskelfasern gegen die stete mechanische Belastung stabilisiert. Rüeggs Team hat im Labor passende Verbindungsstücke (Linker-Proteine) entwickelt, die in den Muskelfasern das fehlende Laminin-a2 ersetzen können.

«Die präklinischen Resultate im Mausmodell für LAMA2 MD sehen sehr vielversprechend aus», freut sich Rüegg. «Im Innosuisse-Projekt konnten wir zeigen, dass unsere Gentherapie funktioniert. Wir haben die Linker-Proteine in gebräuchliche Transportvehikel verpackt und den Mäusen appliziert. Durch diese Behandlung stabilisieren sich die Muskeln, die Krankheit verläuft weniger schwer und die Tiere werden älter. Das ist eine enorme Verbesserung und wir hoffen jetzt, diese Technologie in den Patienten zu bringen.»

Den Versuch wagen: Das Leben Betroffener verbessern

Gentherapien sind bei erblichen neuromuskulären Erkrankungen sehr wahrscheinlich die Zukunft, denn mit traditionellen Therapien lassen sich die strukturellen Defekte am Muskel bisher nicht beheben. In dem Spin-off bringen die drei Gründer die wissenschaftliche Expertise zu Muskeldystrophien, das notwendige Netzwerk, um Spitäler für die klinischen Studien zu gewinnen, sowie Businesserfahrung zusammen.

«Die Gründung von SEAL Therapeutics AG ist der Grundstein, um die Gentherapie nun in die klinische Entwicklung zu bringen», erklärt Judith Reinhard. «Die Zeit ist reif, um herauszufinden, ob die Behandlung auch den Patienten helfen kann. Auf Kongressen sehen wir nicht nur ein grosses Interesse von Seiten der Ärzte, auch betroffene Eltern setzen grosse Hoffnungen in die von uns entwickelte Technologie. Das motiviert enorm.»

Unterstützung erhalten die Firmengründer von der universitären Technologietransfer-Organisation Unitectra und auch der Direktor des Biozentrums, Prof. Alex Schier, steht hinter dem Gründungsvorhaben.

Externer Link: www.unibas.ch

Photokatalysatoren: Die besten Löcher der Welt

Presseaussendung der TU Wien vom 15.02.2022

Mit einer schwammartigen Lochstruktur auf Nanometer-Skala, die kleinen Molekülen Durchlass gewährt, konnte eine rekordverdächtige chemische Reaktivität erzielt werden.

Katalysatoren sind oft feste Materialien, deren Oberfläche in Kontakt mit Gasen oder Flüssigkeiten kommt und dadurch bestimmte chemische Reaktionen ermöglicht. Das bedeutet allerdings: Alle Atome des Katalysators, die sich nicht an der Oberfläche befinden, erfüllen keinen echten Zweck. Daher versucht man, extrem poröse Materialien herzustellen, mit einer möglichst großen Oberfläche pro Gramm Katalysatormaterial.

An der TU Wien wurde nun in Zusammenarbeit mit anderen Forschungsgruppen eine neue Methode entwickelt, um hochaktive schwammartige Strukturen mit einer Porosität auf Nanometer-Skala herzustellen. Der entscheidende Durchbruch gelang durch ein zweistufiges Verfahren: Man verwendet metallorganische Gerüstverbindungen, die bereits viele winzige Löcher enthalten, und erzeugt in diesen Materialien dann zusätzlich noch eine weitere Sorte von Löchern, die dann als Hochgeschwindigkeits-Verbindungen für Moleküle dienen. Dadurch gelang es, bisherige Aktivitäts-Rekorde bei der Aufspaltung von Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zu brechen. Die Ergebnisse wurden nun im Fachjournal „Nature Communications“ publiziert.

Ein Netz auf Nanometer-Skala

„Metallorganische Gerüstverbindungen sind eine sehr spannende Klasse multifunktionaler Materialien“, sagt Shaghayegh Naghdi, die Erstautorin des neuen Papers. „Sie bestehen aus kleinen Metalloxid-Clustern, die durch kleine organische Moleküle miteinander verbunden sind, und somit extrem poröse Netzwerke ergeben.“ Auf den ersten Blick sieht die Verbindung aus wie ein festes Material, erst auf der Nanoskala zeigt sich die offene Struktur.

Solche metallorganischen Gerüstverbindungen (Metal-organic frameworks, MOFs) weisen mit bis zu 7000 m² pro Gramm die größte bekannte spezifische Oberfläche auf. Das macht sie zu optimalen Materialien für die Trennung und Aufbewahrung von Gasen, für die Reinigung von Wasser oder auch für den Transport von Medikamenten im Körper. Außerdem sind sie äußerst vielversprechende Kandidaten für Photo- und Elektrokatalyse – wie etwa die Aufspaltung von Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff unter dem Einfluss von Licht.

Eine neue Sorte Löcher

„Das große Problem war bisher, dass die Poren dieser Materialien einfach zu klein sind, um eine effiziente Katalyse zu ermöglichen“, sagt Prof. Dominik Eder, der an der TU Wien die Forschungsgruppe für molekulare Materialchemie leitet. „Wir sprechen hier von extrem dünnen Poren, mit einem Durchmesser von weniger als einem Nanometer. Das ist ungefähr die Größe eines kleinen Moleküls. Es dauert zu lange, bis die Moleküle durch diese Poren die aktiven Stellen des Katalysators erreichen, und das bremst den katalytischen Prozess insgesamt deutlich ab.“

Daher machte sich die Forschungsgruppe die Tatsache zunutze, dass MOFs strukturell sehr flexibel sind: Sie können aus unterschiedlichen Molekülen zusammengesetzt werden. „Wir verwendeten zwei ähnliche aber chemisch unterschiedliche organische Verbindungsmoleküle und stellten somit eine Hybrid-Struktur her“, sagt Alexey Cherevan. „Die beiden organischen Moleküle reagieren unterschiedlich empfindlich auf Hitze. Daher ist es möglich, einen der beiden Liganden selektiv zu entfernen“, erklärt Shaghayegh Naghdi. So können zusätzliche Arten von Poren mit Durchmessern von bis zu 10 Nanometern in die poröse Struktur eingebaut werden: Zu den von Anfang an vorhandenen Poren, die man sich wie Löcher in Schweizer Käse vorstellen kann, kommen nun rissartige Verbindungen hinzu, die als Schnellverbindungen für Moleküle dienen.

Sechsmal so gut wie bisher

Gemeinsam mit Teams der Universität Wien und des Technion in Israel wurde das neue Material im Detail charakterisiert. Dabei zeigte sich, dass es bisherige Katalysatoren tatsächlich bei weitem übertrifft: Die katalytische Aktivität bei der photokatalytischen Produktion von Wasserstoff, also der Wasser-Aufspaltung unter Lichteinfluss, ist sechsmal so hoch wie bei bisherigen metallorganischen Gerüstverbindungen. Somit gehört das neue Material zu den effektivsten Photokatalysatoren für Wasserstoffproduktion, die es überhaupt gibt.

Dieser Erfolg ist allerdings bloß der erste Schritt: Ideen für mögliche Anwendungen gibt es viele. Größere Poren in solchen Materialien könnten sich ideal für die Adsorption, Speicherung oder auch Umwandlung von größeren Molekülen eignen, etwa im Bereich der Medizin oder der Abwasserreinigung. In Anwendungen aus Photo- und Elektrochemie könnten sich ganz neue Möglichkeiten eröffnen: „Wenn man selektiv bestimmte Liganden entfernt, bleiben unsaturierte Metalle zurück, die dann den chemischen Reaktionsmechanismus stark beeinflussen können“, erklärt Dominik Eder. „Wir erwarten, dadurch selektivere Katalysatoren für komplexere Prozesse herstellen zu können.“

Diese Hypothese wird derzeit getestet. Unter anderem versucht man, auf diese Weise CO2 in synthetische Treibstoffe umzuwandeln. Aus der chemischen Industrie gibt es auch großes Interesse daran, durch solche Katalysatoren Prozesse, die heute mit viel Energieaufwand bei hohen Temperaturen durchgeführt werden, auf umweltfreundlichere Weise bei niedrigeren Temperaturen ablaufen zu lassen. (Florian Aigner)

Originalpublikation:
S. Naghdi et al., Selective ligand removal to improve accessibility of active sites in hierarchical MOFs for heterogeneous photocatalysis, Nature Communications volume 13, 282 (2022).

Externer Link: www.tuwien.at