Weiterentwicklung: Vollautonome Drohne kann vermisste Menschen in Wäldern finden

Pressemeldung der JKU Linz vom 24.06.2021

Eine Drohne, die Menschen auch unter einem Blätterdach finden kann gibt es seit 2020. Nun schafft sie diese Aufgabe aber auch vollautonom.

Sie sorgte im Vorjahr für Aufsehen: Eine Drohne, die mithilfe einer Zentrale am Boden vermisste Menschen auch in dichten Wäldern finden konnte. Nun hat das Institute für Computer Grafik der Johannes Kepler Universität Linz noch eines draufgesetzt – die Drohne kann diese Aufgabe nun auch vollständig autonom erfüllen.

Das bisherige System ist eine Kombination einer neuen Bildverarbeitungstechnik zum Wegrechnen von Verdeckungen (Airborne Optical Sectioning, AOS) – z.B. des Blätterdachs eines Waldes – und einer Methode, die mittels Machine Learning Wärmesignaturen auswerten und so Menschen erkennen kann. Das Verfahren erreicht zwar über 90% Trefferquote, allerdings muss die Drohne vorgegebene Bahnen abfliegen und die Daten werden später am Boden ausgewertet und berechnet.

Das Problem: Die Ergebnisse liegen erst verspätet vor und die Drohne benötigt zudem vorab Informationen über den festgelegten Flugweg. Beides kann bei Rettungseinsätzen problematisch sein.

Nun ist es JKU Wissenschaftler*innen unter Leitung von Institutsvorstand Prof. Oliver Bimber gelungen, den gesamten Berechnungsprozess in Echtzeit auf der Drohne selbst durchzuführen – und das während des Flugs. Das wiederum erlaubt eine vollautonome Suche nach Personen. D.h. die Drohne entscheidet nun anhand der aufgezeichneten Messdaten völlig eigenständig, welche Route sie fliegt, um Personen in kürzester Zeit und mit der höchsten Trefferquote aufzufinden. Die Flugroute wird also nicht mehr vorgegeben, und die Ergebnisse dieses vollautonomen Ansatzes übertreffen die des bisherigen manuellen Verfahrens bei Weitem – sowohl in der Trefferquote also auch in der benötigten Suchzeit.

Diese neue Methode wurde soeben im renommierten Wissenschaftsjournal Science Robotics veröffentlicht.

Einsatz bei Umweltschutz und Rettungsmissionen

Die Anwendungsmöglichkeiten dieser Technologie sind vielfältig und reichen von Such- und Rettungseinsätzen oder Wildtierzählungen bis hin zur Waldbranderkundungen. Nun soll in den kommenden Jahren die an der JKU entwickelte Technologie mit einem professionellen Drohnensystem, das eine mehrstündige Flugzeit ermöglicht, kombiniert und weiterentwickelt werden. (Christian Savoy)

Externer Link: www.jku.at

Smarte Muskeln und Nerven aus leichtem Kunststoff machen Roboter der Zukunft gefühlvoll

Pressemitteilung der Universität des Saarlandes vom 21.06.2021

Chirurgische Instrumente, die sich wie feine Oktopus-Arme in alle Richtungen schlängeln oder große, kraftvolle, aber leichte Roboter-Tentakel, die gefahrlos mit Menschen Hand in Hand arbeiten oder ihnen unter die Arme greifen: Mit starken Muskeln und sensiblen Nerven aus intelligentem Kunststoff entsteht eine neue Generation von Roboterarmen. Das Team um die Experten für smarte Materialsysteme Professor Stefan Seelecke und Juniorprofessor Gianluca Rizzello schafft hierfür die Grundlagen.

Als wäre der Roboterkollege aus Fleisch und Blut arbeiten in der Fabrik der Zukunft Mensch und Maschine Seite an Seite – einträchtig, im Team und spontan: Das ist die Vision der Arbeitswelt von morgen. Zwar haben „Cobots“, die kollaborativen Roboter, schon begonnen, die Industriehallen zu erobern. Aber noch ist es nicht so weit her mit dem Hand in Hand-Teamwork. Es gibt eine Schwachstelle: die körperliche Nähe des Menschen, der keinem festen Programm, sondern plötzlicher, mitunter unlogischer Eingebung folgt oder schlicht abgelenkt ist. Nicht ohne Grund stecken Roboterarme in Fertigungsstraßen oft in Käfigen. Wer hier reinläuft, für den wird es gefährlich. Die schweren Metallmaschinen sind kraftvoll, geschickt und flink, sie schweißen, montieren, lackieren, stapeln und hieven. Aber – programmiert ist programmiert – sie folgen strikt ihrem Bewegungsablauf. Und ist ein Mensch im Weg – dann ist er im Weg.

An einer neuen, smarten Art von Roboterarmen arbeitet das Team um Professor Stefan Seelecke und Juniorprofessor Gianluca Rizzello an der Universität des Saarlandes und am Saarbrücker Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik (Zema). „Unsere Technologie der intelligenten Polymersysteme ermöglicht neuartige, weiche Roboterwerkzeuge, die leichter, wendiger und flexibler sind als die heutigen starren technischen Bauteile“, erklärt Stefan Seelecke. Ein ungeplanter Schubs eines solchen Roboterarms der Zukunft ist dann eher wie der eines menschlichen Kollegen.

Der Stoff aus dem diese neuen, weichen Roboterarme gebaut sind, heißt „dielektrisches Elastomer“, eine Unterart der Polymere. Aus diesem Verbundwerkstoff erschaffen die Saarbrücker Forscherinnen und Forscher künstliche Muskeln und Nerven. Die besonderen Eigenschaften des Werkstoffs machen es möglich, nach dem Vorbild der Natur zu arbeiten: Elastomere lassen sich stauchen und nehmen ihre ursprüngliche Form wieder ein, strecken sich also wieder. „Wir bedrucken das Elastomer beidseitig mit Elektroden. Legen wir eine elektrische Spannung an, ziehen sich die Elektroden an und stauchen das Elastomer, das dabei gleichzeitig seine Fläche ausdehnt“, erklärt der Juniorprofessor für Adaptive polymerbasierte Systeme, Dr. Gianluca Rizzello. Der gebürtige Italiener arbeitet seit 2016 mit Seelecke in dessen Team. Das Elastomer kann sich also zusammenziehen und strecken wie ein Muskel. „Diese Eigenschaft nutzen wir als Aktor, also als Antrieb“, erklärt Rizzello. Indem sie das elektrische Feld ändern, lassen die Ingenieure das Elastomer hochfrequent vibrieren, stufenlos kraftvolle Hub-Bewegungen vollführen oder auch in jeder gewünschten Stellung verharren.

Aus vielen dieser kleinen Muskeln setzen die Forscher nun flexible Roboterarme zusammen. In einem Roboter-Tentakel aneinandergereiht, bewirkt ihr Zusammenspiel, dass dieser sich wie der Fangarm eines Kraken in alle Richtungen biegen und schlängeln kann: Anders als bei den schweren und starren Robotergelenken heute üblicher Roboter, die wie beim Menschen Bewegungen nur in bestimmte Richtung zulassen, sind der Freiheit dieses Tentakels keine Grenzen gesetzt. Für ihre Arbeit am Prototyp dieser Elastomer-Muskel-Tentakel, hat Gianluca Rizzello zusammen mit seinem Doktoranden Johannes Prechtl jüngst den Best Paper Award auf der RoboSoft2021-Konferenz erhalten – eine von vielen Auszeichnungen der Arbeitsgruppe um Stefan Seelecke. Ein Tentakel-Prototyp soll in etwa einem Jahr vorliegen.

Gianluca Rizzello ist Spezialist, wenn es darum geht, dem Kunststoff Intelligenz einzuhauchen. Er gibt dem Roboter-Gehirn, also der Steuerungseinheit, den nötigen Input, damit sie den Arm intelligent bewegen kann – ein überaus anspruchsvolles Unterfangen. „Diese Systeme sind komplexer als die heutiger Roboterarme. Polymerbasierte Komponenten mit künstlicher Intelligenz zu steuern, ist weit schwieriger als bei herkömmlichen mechatronischen Systemen“, erklärt Rizzello. Die Elastomer-Muskeln fungieren dabei zugleich als Nerven des Systems: Sie haben selbst Sensor-Eigenschaften. Daher kommt dieser Roboterarm ohne weitere Sensorik aus. „Jede Verformung des Elastomers, jede Änderung seiner Geometrie, bewirkt eine Änderung der elektrischen Kapazität und lässt sich präzisen Messwerten zuordnen. Messen wir die elektrische Kapazität, wissen wir, wie das Elastomer gerade verformt ist und können hieraus sensorische Daten ablesen“, erläutert der Ingenieur.

Mit diesen Werten lassen sich die Bewegungsabläufe präzise modellieren und programmieren: Hierfür intelligente Algorithmen zu entwickeln, um den neuartigen Roboter-Tentakeln ihr gewünschtes Verhalten anzutrainieren, steht im Mittelpunkt von Gianluca Rizzellos Forschung. „Wir arbeiten daran zu verstehen, welche physikalischen Eigenschaften dem Verhalten der Polymere zugrunde liegen. Je mehr wir darüber wissen, umso passgenauere Algorithmen können wir zu ihrer Steuerung entwerfen“, sagt der Juniorprofessor.

Die Technologie wird skalierbar sein: Sie kann in feinen Tentakeln etwa für medizinische Instrumente zum Einsatz kommen, aber auch bei großen Industrierobotern. Anders als die heutigen Roboterarme, die schon mit ihrem beachtlichen Gewicht gegen die Schwerkraft ankämpfen müssen, werden diese Roboterarme leicht sein. „Sie kommen ohne Motoren, Hydraulik oder Druckluft aus und funktionieren nur mit elektrischem Strom. Die Bauform der Elastomer-Muskeln kann dem jeweiligen Bedarf angepasst werden. Auch brauchen sie nur wenig Energie. Je nach Kapazität sind dies nur Ströme im Mikroampere-Bereich. Das macht diese Robotertechnologie, für die wir derzeit die Grundlagen erforschen, energieeffizient und kostengünstig“, erklärt Stefan Seelecke.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert diese Forschung im Rahmen des DFG-Schwerpunktprogramms SPP2100 „Soft Material Robotic Systems“.

Externer Link: www.uni-saarland.de

Isolatoren: Sicher unter Höchstbelastung

Presseaussendung der TU Graz vom 10.06.2021

Isolatorketten verbinden das stromführende Leiterseil mit dem Freileitungsmast. Forscher der TU Graz simulierten erstmals, wann und unter welchen Bedingungen unterschiedliche Belastungen auf diese Ketten wirken. Freileitungen werden damit noch sicherer.

Sie sind klein und unscheinbar, spielen bei der Betriebssicherheit von Hochspannungsleitungen aber im wahrsten Sinne des Wortes eine „tragende Rolle“: Isolatorketten. Sie verbinden das stromführende Leiterseil mit dem Strommast. Durch ihre geringe Leitfähigkeit verhindern sie, dass der Stromkreis über den Mast geschlossen und ein Kurzschluss verursacht wird. Zudem tragen sie das gesamte Gewicht der Leiterseile mitsamt der durch Wind oder Eis verursachten Zusatzlasten. Die Last, die dabei von einer Isolatorkette auf den Mast bzw. auf dessen Ausleger wirkt, kann mehr als 40 Tonnen (>400kN) betragen. Bricht ein Strang einer Mehrfachkette (sogenannter Primärbruch), müssen die übrigen Stränge den hochdynamischen Stoß abfangen, um einen Komplettbruch zu vermeiden. Nur so wird gewährleistet, dass der notwendige Sicherheitsabstand zum Boden beibehalten werden kann und das Leiterseil weiter sicher am Mast hängt. Denn fällt ein 380kV-Freileitungsseil auf den benachbarten Ausleger oder auf den Boden, stellt das ein immenses Risiko dar.

Erstmalige Simulation komplexer Lastumlagerungen

Christian Landschützer, Forscher am Institut für Technische Logistik der TU Graz, hat gemeinsam mit seinem Team solche hochdynamischen Lastumlagerungsprozesse simuliert – also den Vorgang angefangen vom Primärbruch einer Isolatorkette, über die daraus resultierenden Schwingungen bis zum Zeitpunkt, an dem sich alle Leiterseile wieder in Ruhelage befinden. Untersucht wurden Dreifachabspannketten (das sind drei parallele Isolatorstränge) der Weizer Firma Mosdorfer. In diesen Ketten hat Mosdorfer ein selbst entwickeltes und patentiertes Dämpferelement als Schutzvorrichtung verbaut. Bricht ein Isolatorstrang, soll das Dämpferelement die stoßartige Belastung auf ein beherrschbares Niveau reduzieren, dass die verbleibenden Isolatorenstränge nicht auch brechen und das Herabfallen des Leiterseils aufgrund dieses Sekundärbruches somit verhindern.

Es waren die weltweit ersten Untersuchungen dieser Art. Bisher wurden solche Simulationen nur sehr vereinfacht durchgeführt. Plastische Verformungen wurden vernachlässigt oder gar nicht abgebildet, da alle Bauteile bisher relativ steif waren. „Aufgrund des dritten Isolatorenstranges und des Dämpferelements mussten wir uns erstmals in den dreidimensionalen Bereich begeben und zwei Simulationsmethoden miteinander koppeln; ein Detailniveau, das softwareseitig und aufgrund der notwendigen Rechnerleistung erst seit wenigen Jahren überhaupt möglich ist“, erklärt Landschützer und schildert die weiteren Herausforderungen: „Um die Lastumlagerung vollständig abbilden zu können, mussten wir ein Mehrkörpersimulationsmodell sowie Modelle nach der Finite-Element-Methode (numerisches Verfahren zur Berechnung des Strukturverhaltens einzelner Objektbereiche, Anm.)  erstellen und diese dann miteinander koppeln, damit sie zeitsynchron den hochdynamischen Vorgang (dieser dauert nur ca. 0,2 Sekunden) berechnen können.“ Einerseits wurden die Seildynamik und das Bewegungsverhalten der Isolatorenstränge modelliert. Andererseits wurde die plastische Verformung des Dämpferelements abgebildet. Und das Team des Instituts für Technische Logistik hat zu jeder einzelnen Kette den Bruch aller drei Isolatorstränge, sowohl auf der Mast- als auch auf der Seilseite simuliert.

Geringerer Testaufwand und Kostenersparnisse

In den Simulationen konnten die Forscher des Instituts für Technische Logistik ganz genau zeigen, wann und unter welchen Bedingungen unterschiedliche Belastungen auf die Isolatorstränge wirken. Dadurch können diese nun höher ausgelastet bzw. schlanker dimensioniert werden, da die Belastungen durch die Simulation besser bekannt sind. Landschützer: „Unterm Strich bedeutet das einen effizienten Materialeinsatz und eine Kostenoptimierung in der Produktion.“

Kosten werden auch auf anderer Ebene eingespart: Bislang wurden die Isolatorketten in einer Versuchsanlage getestet, die es in Europa in dieser Form nur einmal gibt. Die Versuche werden dort im Maßstab eins zu eins durchgeführt und verursachen zusätzliche (Material-)Kosten, bei einer gleichzeitig stark limitierten Anzahl an Versuchsvarianten. „Unsere Ergebnisse beweisen, dass die Simulationsmethode aufwendige Versuche ersetzen kann – bei gleichbleibender Qualität, mehr Flexibilität und höherem Erkenntnisgewinn“, freut sich Landschützer. Der Technologe geht davon aus, dass die Methode zukünftig auch in anderen Anwendungsbereichen zum Einsatz kommt. Er lädt interessierte Unternehmen zur Kontaktaufnahme mit dem Institut für Technische Logistik der TU Graz ein. (Christoph Pelzl)

Externer Link: www.tugraz.at

Zuckerhirse: Süßes Versprechen für die Umwelt

Presseinformation des KIT (Karlsruher Institut für Technologie) vom 10.06.2021

Am KIT entwickelte neue Sorghumsorte akkumuliert besonders viel Zucker und lässt sich energetisch und stofflich nutzen – Forschende berichten in Industrial Crops & Products

Zuckerhirse lässt sich zur Herstellung von Biogas, Biokraftstoffen und neuen Polymeren nutzen. Zudem kann sie dazu beitragen, Phosphatdünger zu ersetzen. Eine am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) entwickelte neue Zuckerhirsesorte akkumuliert besonders viel Zucker und gedeiht unter heimischen Bedingungen. Wie die Forschenden in der Zeitschrift Industrial Crops & Products berichten, hängen der Zuckertransport und die Zuckerakkumulation mit dem Bau der Leitungsbahnen der Pflanzen zusammen. Dies ergab ein Vergleich zwischen Zucker- und Körnerhirse. (DOI: 10.1016/j.indcrop.2021.113550)

Mit der Weltbevölkerung wächst der Bedarf an Nahrungsmitteln, Rohstoffen und Energie. Dadurch nehmen die Belastungen für die Umwelt und das Klima zu. Eine Strategie, den Treibhausgasausstoß zu verringern, besteht darin, sogenannte C4-Pflanzen anzubauen. Diese betreiben besonders effizient Photosynthese, binden daher Kohlendioxid (CO2) besser und bauen mehr Biomasse auf als andere Pflanzen. Gewöhnlich sind sie an sonnige und warme Standorte gebunden. Zu den C4-Pflanzen gehört die Sorghumhirse, auch Mohrenhirse genannt, eine Hirseart aus der Gattung Sorghum in der Familie der Süßgräser. Die besonders zuckerhaltigen Sorten heißen Zuckerhirse. Zu den weiteren Sorten gehört die als Futtermittel eingesetzte Körnerhirse. Sorghumhirse lässt sich auf schwer zu bewirtschaftenden sogenannten Grenzertragsflächen anbauen, sodass sie nicht mit sonstigen Nahrungs- oder Futterpflanzen in Konkurrenz tritt.

Eine neue Zuckerhirsesorte namens KIT1 hat Dr. Adnan Kanbar in der Arbeitsgruppe Molekulare Zellbiologie unter Leitung von Professor Peter Nick am Botanischen Institut des KIT entwickelt. KIT1 akkumuliert besonders viel Zucker und gedeiht besonders gut unter gemäßigten Klimabedingungen. Sie lässt sich sowohl energetisch zur Herstellung von Biogas und Biokraftstoffen als auch stofflich zur Produktion neuer Polymere nutzen. Der geschätzte Zuckerertrag je Hektar liegt bei über 4,4 Tonnen, was knapp 3 000 Litern Bioethanol entspräche. Darüber hinaus lassen sich die bei der Biogasherstellung anfallenden Gärreste als Dünger nutzen, der den knapp werdenden Phosphatdünger ersetzen kann.

Auf die Anatomie des Pflanzenstängels kommt es an

Forschende im Nick-Labor am Institut für Angewandte Biowissenschaften und am Institut für Technische Chemie des KIT sowie bei der ARCUS Greencycling Technology in Ludwigsburg haben nun die Zuckerhirsesorte KIT1 und die Körnerhirsesorte Razinieh miteinander verglichen, um die unterschiedliche Zuckerakkumulation im Pflanzenstängel zu untersuchen. Für die in der Zeitschrift Industrial Crops & Products publizierte Studie betrachtete das Team die Stängelanatomie. Dazu zählen die verdickten Bereiche oder Knoten (Nodien) und die schmalen Bereiche oder Abstände zwischen den Knoten (Internodien), aber auch Transkripte wichtiger Saccharose-Transporter-Gene sowie Stressreaktionen der Pflanzen bei hoher Salzkonzentration im Boden. Sowohl bei KIT1 als auch bei Razinieh war die Zuckerakkumulation in den mittleren Internodien am höchsten. Allerdings zeigte sich ein Zusammenhang zwischen der Zuckerakkumulation und dem Bau der Leitungsbahnen, die dem Transport von Wasser, gelösten Stoffen und organischen Substanzen dienen. Die Leitungsbahnen sind zu Leitbündeln gruppiert. Diese bestehen aus dem Phloem (Bastteil) und dem Xylem (Holzteil). Im Phloem werden vor allem Zucker und Aminosäuren, im Xylem vor allem Wasser und anorganische Salze transportiert; zudem übernimmt das Xylem eine stützende Funktion. Die Untersuchung ergab, dass bei KIT1 und fünf weiteren Zuckerhirsesorten im Stängel die Phloem-Querschnittsfläche wesentlich größer als die Xylem-Querschnittsfläche ist – der Unterschied ist viel ausgeprägter als bei der Körnerhirsesorte Razinieh. „Untere Studie ist die erste, die sich mit dem Zusammenhang zwischen dem Bau der Leitbündel und der Zuckerakkumulation im Stängel befasst“, sagt Nick.

Zuckerhirse wird mit Salzstress besser fertig

Wie die Studie weiter ergab, führte Salzstress zu höherer Zuckerakkumulation in KIT1 als in Razinieh. Die Expression von Saccharose-Transporter-Genen ist in den Blättern von KIT1 unter normalen Bedingungen höher und steigt unter Salzstress deutlich an. „Neben den anatomischen Faktoren könnten auch molekulare Faktoren die Zuckerakkumulation im Stängel regulieren“, erläutert Kanbar. „Auf jeden Fall kommt KIT1 mit Salzstress besser zurecht.“ (or)

Originalpublikation:
Adnan Kanbar, Ehsan Shakeri, Dema Alhajturki, Michael Riemann, Mirko Bunzel, Marco Tomasi Morgano, Dieter Stapf, Peter Nick: Sweet versus grain sorghum: Differential sugar transport and accumulation are linked with vascular bundle architecture. Industrial Crops & Products, 2021. DOI: 10.1016/j.indcrop.2021.113550

Externer Link: www.kit.edu

Isolatoren bringen Quantenbits zum Schwitzen

Presseaussendung der Universität Innsbruck vom 14.06.2021

Schwachleitende oder nichtleitende Materialien haben Innsbrucker Physiker um Tracy Northup als wichtige Quelle für Störungen in Ionenfallen-Quantencomputern identifiziert. Sie haben eine neue Methode entwickelt, mit der diese Fehlerquelle erstmals quantifiziert werden kann. Um Quantencomputer mit sehr vielen Quantenbits betreiben zu können, müssen solche Störquellen schon in der Entwicklung möglichst vermieden werden.

Quantentechnologien basieren auf den quantenmechanischen Eigenschaften von Licht, Elektronen und Atomen. In den vergangenen Jahrzehnten hat die Wissenschaft gelernt, diese Phänomene zu beherrschen und in Anwendungen auszunutzen. So rückt auch der Bau eines Quantencomputers für kommerzielle Anwendungen in greifbare Nähe. Eine der Technologien, die derzeit sehr erfolgreich vorantrieben wird, sind Ionenfallen-Quantencomputer. Hier werden geladene Teilchen mit elektromagnetischen Feldern in einer Vakuumkammer gefangen und so präpariert, dass sie als Träger für Information dienen und mit ihnen gerechnet werden kann. Die quantenmechanischen Eigenschaften, die man sich dabei zunutze macht, sind allerdings sehr störungsanfällig. Schon kleinste Unzulänglichkeiten können die stark gekühlten Teilchen aufheizen und so zu Fehlern bei der Verarbeitung der Quanteninformation führen. Eine mögliche Quelle für solche Störungen sind schwach- oder nichtleitende Materialien, die zum Beispiel als Isolatoren in den metallischen Ionenfallen zum Einsatz kommen, oder etwa Optiken, die für die Kopplung mit Laserlicht notwendig sind. „Selbst bei Ionenfallen, die ausschließlich aus Metall bestehen, würden Oxidschichten auf den Metallen solche Störungen verursachen“, erläutert Tracy Northup vom Institut für Experimentalphysik der Universität Innsbruck. Northups Team hat zusammen mit Kooperationspartnern in Innsbruck und in den USA einen Weg gefunden, wie der Einfluss dielektrischer Materialien auf die geladenen Teilchen in Ionenfallen bestimmt werden kann.

Experimentell bestätigt

Gelungen ist den Innsbrucker Quantenphysikern dies, weil sie über eine Ionenfalle verfügen, in der sie den Abstand zwischen den Ionen und dielektrischen Optiken genau einstellen können. Basierend auf einem früheren Vorschlag der Arbeitsgruppe um Rainer Blatt haben die Physiker den Umfang des durch das dielektrische Material verursachten Rauschens für diese Ionenfalle rechnerisch ermittelt und mit Daten aus dem Experiment verglichen. „Theorie und Experiment stimmen sehr gut überein und bestätigen, dass diese Methode gut dafür geeignet ist, den Einfluss von dielektrischen Materialien auf die Ionen zu bestimmen“, erklärt Markus Teller aus dem Innsbrucker Team. Bei der Berechnung des Rauschens kam das sogenannte Fluktuations-Dissipations-Theorem aus der Statistischen Physik zur Anwendung, das die Reaktion eines Systems im thermischen Gleichgewicht auf eine kleine äußere Störung mathematisch beschreibt.

„In Quantencomputern gibt es viele mögliche Quellen für Störungen, und es ist sehr schwierig die genauen Ursachen auseinander zu halten“, sagt Tracy Northup. „Mit unserer Methode gelingt es erstmals, den Einfluss dielektrischer Materialien auf die in Ionenfallen gefangenen Teilchen zu quantifizieren. Die Entwickler von Ionenfallen-Quantencomputern werden in Zukunft diesen Einfluss viel besser einschätzen können und ihre Geräte so konstruieren, dass diese Störungen minimiert werden.“ Nachdem die Innsbrucker Physiker die Methode an ihrer eigenen Ionenfallen erprobt haben, wollen sie nun deren Einsatz an Ionenfallen befreundeter Forschungsgruppen in den USA und der Schweiz erproben.

Finanziell unterstützt wurden die Forschungen unter anderem vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF und der Europäischen Union. Veröffentlicht wurde die neue Methode in der Fachzeitschrift Physical Review Letters.

Originalpublikation:
Heating of a trapped ion induced by dielectric materials. Markus Teller, Dario A. Fioretto, Philip C. Holz, Philipp Schindler, Viktor Messerer, Klemens Schüppert, Yueyang Zou, Rainer Blatt, John Chiaverini, Jeremy Sage, and Tracy E. Northup. Phys. Rev. Lett. 126, 230505

Externer Link: www.uibk.ac.at