Solidarität statt Panik: mit Computermodellen gegen COVID19

Presseaussendung der TU Wien vom 11.03.2020

COVID-19 breitet sich weiter aus, die Lage in Italien ist kritisch. Die TU Wien und ihre Forschungspartner berechnen mit Computermodellen, welche Strategien nun nötig sind.

Große Teile Italiens stehen unter Quarantäne. Über hundert COVID19-Todesopfer wurden am Sonntag (8.3.) in Italien gezählt. Dass die Lage so dramatisch ist, liegt nicht nur an der hohen Zahl der Infizierten, sondern wohl auch daran, dass das Gesundheitssystem überfordert ist: Wenn Plätze auf der Intensivstation fehlen oder zu wenige Beatmungsgeräte zur Verfügung stehen, dann sterben auch Menschen, die eigentlich geheilt werden könnten.

An der TU Wien wird seit über zehn Jahren an Computermodellen geforscht, mit denen man nun das Gesundheitssystem bei der Planung von Maßnahmen unterstützt. Im Rahmen der als FFG COMET-Projekt gestarteten Forschungsplattform „DEXHELPP“ arbeiteten die TU Wien, das Modellierungs- und Simulations-Unternehmen dwh (ein Spin-off der TU Wien) und mehrere weitere Partnerorganisationen aus dem IT- und Gesundheitsbereich zusammen, um Simulationen über die Ausbreitung von Erkrankungen zu entwickeln. Daher steht nun auch ein verlässliches, gut validiertes, Österreich-spezifisches Computermodell zur Verfügung, mit dem man unterschiedliche Strategien auf ihre Wirksamkeit testen kann.

Grund zur Panik besteht nicht, betont das Forschungsteam. Österreichs Gesundheitssystem ist resilienter als das Gesundheitssystem in Italien. Trotzdem ist Vorsicht geboten: Die Computermodelle zeigen klar, dass die empfohlenen Schutzmaßnahmen die Anzahl der COVID19-Todesfälle deutlich reduzieren können.

Ziel: Flacher Anstieg, niedrige Spitze

„Wie viele Menschen an COVID19 erkranken werden, ist nicht vorauszusagen“, sagt Dr. Niki Popper (Institut für Information Systems Engineering, TU Wien). „Wichtig ist aber, den Verlauf der Epidemie zu verlangsamen, damit nicht zu viele Menschen gleichzeitig intensive Betreuung brauchen. Das Ziel ist ein möglichst flacher Verlauf mit einem möglichst niedrigen Spitzenwert, bevor die Zahlen dann wieder zurückgehen. Bei einer milderen Epidemie, die länger dauert, sterben meist deutlich weniger Menschen als bei einem heftigen Ausbruch, der rascher wieder vorbei ist.“

Genau deshalb ist es wichtig, auf Hygiene zu achten und auf unnötige Kontakte zu verzichten, besonders wenn man zur Risikogruppe gehört. „Schon mit sehr einfachen Rechenmodellen können wir zeigen: Wenn man die Anzahl der Kontakte nur um 25 % reduziert, sinkt die Höhe des Peaks auf 58 % ab, würde man sie um 50 % reduzieren sinkt der Peak auf unter 30 %“, berichtet Martin Bicher, der das Modell mit aufgebaut hat.

Allerdings ist Kontakt nicht gleich Kontakt: Das Computermodell kann auch für unterschiedliche Menschen unterschiedliche Kontaktnetzwerke berechnen. Wenn man etwa Hochrisikopatient_innen und Einsatzkräfte besonders gut schützt, nützt das besonders viel. Die aktuellen Simulationsergebnisse zeigen, dass sich der Peak der Krankheit dadurch sogar noch stärker reduzieren lässt.

Gerade Menschen, die Kontakt zu Hochrisikopersonen haben, etwa pflegende Angehörige, sollten so weit wie möglich aus dem System genommen werden und auf risikoreiche Kontakte verzichten. Inwieweit Veranstaltungen abgesagt werden, ist momentan noch schwer zu sagen. „Daran rechnen wir derzeit, Ergebnisse erwarten wir im Lauf der Woche. Risikopersonen sollten Großveranstaltungen eher meiden“, sagt Niki Popper.

Solidarität rettet Leben

„Was wir jetzt in erster Linie brauchen ist Solidarität, sowohl regional als auch zwischen verschiedenen Ländern“, betont Niki Popper. „Egoismus bringt niemandem etwas. Wir hören von Krankenhäusern, in denen Mundschutzmasken gestohlen werden. Genau das ist das Verhalten, das Menschenleben gefährdet.“

Die Computermodelle, mit denen nun verschiedene COVID19-Ausbreitungsszenarien berechnet werden, sind agentenbasiert – in der Simulation werden also einzelne virtuelle Personen abgebildet, die sich nach bestimmten Mustern verhalten und Kontakte haben. Dazu werden Daten der Statistik Austria verwendet. Regionale Bevölkerungsdaten aus ganz Österreich fließen in die Simulation ein. Topographische Faktoren (wie etwa die Seehöhe) spielen eine Rolle, die von Region zu Region unterschiedliche Mobilität wird im Modell ebenso berücksichtigt. Wichtig ist auch, die Gesundheitsinfrastruktur korrekt abzubilden: Wo gibt es welche Krankenhauskapazitäten? Wie viele Quarantäne-Betten können wo zur Verfügung gestellt werden?

Zusätzlich wird das Modell laufend mit neuen Erkenntnissen über COVID-19 gefüttert: Von Tag zu Tag lassen sich Parameter wie Ansteckungswahrscheinlichkeit oder Inkubationszeit besser einschätzen. „Wenn das medizinische Wissen zuverlässiger wird, werden damit auch unsere Prognosen aussagekräftiger“, sagt Niki Popper. „Es ist wie Fahren auf Sicht auf einer nebeligen Straße: Mit unseren Modellen können wir ein Stück in die Zukunft sehen und verstehen welche Maßnahmen welche Auswirkungen haben würden – aber natürlich nicht beliebig weit.“

Das soll bei schwierigen politischen Entscheidungen helfen, zum Beispiel wenn entschieden werden muss, welche Veranstaltungen abgesagt werden sollen oder welche Schulen geschlossen werden sollen. „Man muss immer eine vernünftige Balance finden zwischen dem Nutzen, den man generiert, und den Nachteilen, die das mit sich bringt“, sagt Popper. „Und genau dabei helfen unsere Simulationsmodelle.“ (Florian Aigner)

Externer Link: www.tuwien.ac.at

Sichere Vernetzung von Datenbanken: IT-Startup entwickelt neuartige Software auf Blockchain-Basis

Pressemitteilung der Universität des Saarlandes vom 02.03.2020

Wenn Arztpraxen Patientendaten austauschen wollen oder Firmen mit vielen Zulieferbetrieben zusammenarbeiten, stehen sie vor der gleichen Herausforderung: Wie können Datensätze aus unterschiedlichen Datenbanken schnell und sicher gemeinsam verarbeitet werden? Informatiker der Universität des Saarlandes haben dafür jetzt eine Software entwickelt, mit der Managementsysteme für Datenbanken vernetzt und von mehreren Unternehmen parallel und dennoch fälschungssicher bearbeitet werden können.

Um diese Software namens „ChainifyDB“ zur Marktreife zu bringen, unterstützt das Bundesministerium für Bildung und Forschung das in Gründung befindliche Startup der Saarbrücker Forscher mit 840.000 Euro.

„Unsere Software gleicht einer Schlüsselloch-OP. Durch einen kaum bemerkbaren Eingriff erweitern wir bereits vorhandene Datenbank-Infrastrukturen um Sicherheitsfunktionen auf Blockchain-Basis. Unsere Software integriert sich nahtlos in die verbreitetsten Managementsysteme für Datenbanken, wodurch wir die Einstiegshürde für sichere digitale Transaktionen drastisch senken“, erklärt Jens Dittrich, Informatik-Professor an der Universität des Saarlandes. Das System bietet vielfältige Mechanismen für einen vertrauensvollen Datenaustausch zwischen mehreren Parteien. Wie es genau funktioniert, zeigt folgendes Beispiel:

Angenommen, einige Ärzte behandeln denselben Patienten und wollen dessen Patientenakte gemeinsam pflegen. Dafür müssten die Ärzte die Software der Saarbrücker Forscher auf ihren bereits vorhandenen Datenbank-Management-Systemen installieren. Nun könnten sie gemeinsam ein Daten-Netzwerk erstellen. In diesem Netzwerk setzen die Ärzte eine zusammenhängende Tabelle auf, in der sie die Patientenakte des gemeinsamen Patienten einpflegen. „Ändert ein Arzt etwas an seiner Tabelle, wirkt sich dies auf alle anderen Tabellen im Netzwerk aus. Nachträgliche Änderungen an älteren Tabellenzuständen sind nur dann möglich, wenn alle Ärzte im Netzwerk zustimmen“, erläutert Jens Dittrich. Eine weitere Besonderheit: Wird an der Tabelle etwas ergänzt, steht nicht die Änderung im Vordergrund, sondern ihr Ergebnis. Ist das Ergebnis auf allen Tabellen im Netzwerk identisch, kann der Vorgang übernommen werden. Falls nicht, beginnt der Abstimmungsprozess erneut. „Dadurch ist das System fälschungssicher und alle Netzwerkteilnehmer bleiben garantiert immer auf demselben Stand. Zudem sind nur die freigegebenen Daten auf den verknüpften Tabellen für andere Netzwerkteilnehmer sichtbar, alle anderen Inhalte der heimischen Datenbank bleiben privat“, betont Dr. Felix Martin Schuhknecht, Principal Investigator des Projektes. Er forscht zusammen mit Ankur Sharma in der Big Data Analytics Group der Saar-Uni an der Software.

Besonders für sicherheitskritische Situationen wie Hacker-Angriffe oder wenn Geschäftspartner einander nicht vollkommen vertrauen können, bietet die neuartige Software Vorteile. Bösartige Teilnehmer können aus einem Netzwerk ausgeschlossen werden, ohne dessen Funktion zu beeinträchtigen. Soll ein ehemaliger Teilnehmer wieder aufgenommen werden, müssen sich die übrigen Netzwerk-Teilnehmer dazu nur auf einen „korrekten“ Tabellenzustand einigen. Der zuvor suspendierte Partner kann dann auf diesen Stand gesetzt werden. „Diese Funktion bietet nach unserer Kenntnis bisher keine vergleichbare Software an“, ergänzt Dittrich.

„ChainifyDB“ ist ein Projekt der Universität des Saarlandes, angesiedelt am Saarland Informatics Campus. Finanziert wird es aus Mitteln der „StartUpSecure“-Initiative innerhalb des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, die Ideen von Startups der IT-Sicherheit schnell in die Anwendung bringen will. Unterstützt wurden die Saarbrücker Forscher durch den Gründungsinkubator des Cispa – Helmholtz-Zentrums für Informationssicherheit. Das Projekt schafft acht wissenschaftliche Arbeitsplätze.

Externer Link: www.uni-saarland.de

Genetische Signatur steigert Proteinherstellung während der Zellteilung

Medienmitteilung der Universität Basel vom 27.02.2020

Forschende am Biozentrum der Universität Basel haben eine genetische Signatur entdeckt, die es Zellen erlaubt, die Herstellung von Proteinen ihrem jeweiligen Zustand anzupassen. Dieser neu entdeckte Mechanismus, so berichten die Forscher in «Genome Biology», trägt dazu bei, die Herstellung von Proteinen während der Zellteilung zu steuern.

Für Zellen ist die Herstellung von Proteinen sehr energieaufwändig. Um die zellulären Ressourcen effizient zu nutzen, muss dieser Prozess besonders streng reguliert werden. Forscher um Prof. Mihaela Zavolan vom Biozentrum der Universität Basel haben nun herausgefunden, wie mithilfe des genetischen Codes die Produktion von Proteinen während des Wachstums und der Vermehrung von Zellen gesteuert wird. Dieser Mechanismus spielt möglicherweise auch bei der unkontrollierten Zellteilung eine Rolle.

Mehrere Codons für eine Aminosäure

Der genetische Code ist wie eine eigene Sprache, mit Wörtern aus nur drei Buchstaben. Jedes Wort, auch als Codon bezeichnet, steht für eine Aminosäure, die Grundbausteine der Proteine. Da 64 Codons für 20 Aminosäuren zur Verfügung stehen, gibt es für jede Aminosäure mehr als nur ein Codon.

Die verschiedenen Codons, die für ein und dieselbe Aminosäure stehen, kommen jedoch nicht gleich häufig im Genom vor. Einige findet man häufig, andere nur sehr selten. «Bisher hat man angenommen, dass seltene Codons die Proteinproduktion generell bremsen», sagt Zavolan. «Unsere Ergebnisse zeigen jedoch ein differenzierteres Bild. So kurbeln seltene Codons während der Zellteilung die Herstellung spezifischer Proteine sogar an.»

Seltene Codons regeln Proteinherstellung

Um ein Protein herzustellen, muss zunächst das Gen für dieses Protein kopiert werden. Diese Kopie, die sogenannte Boten-RNA, wird anschliessend in den Proteinfabriken der Zelle durch spezifische Moleküle in eine Abfolge von Aminosäuren übersetzt. Die Boten-RNAs, die bei der Vermehrung von Zellen eine Rolle spielen, werden in der Regel von seltenen Codons kodiert. Während der Ruhephase stellt die Zelle nur wenige dieser Proteine her. Denn die Übersetzungsmoleküle für die seltenen Codons kommen in der Zelle auch nur selten vor, daher dauert es länger sie abzulesen.

«Die Situation ändert sich, wenn die Zelle auf Vermehrung umschaltet. In diesem Fall stehen mehr Übersetzer für die raren Codons zur Verfügung», erklärt Joao Guimaraes, Erstautor der Studie. «Die zellteilungsspezifischen Boten-RNAs, die häufig solche seltenen Codons aufweisen, können nun effizienter abgelesen werden. Die Herstellung dieser Proteine erfährt dadurch einen Schub.» Mithilfe der seltene Codons lässt sich die Produktion bestimmter Proteine gezielt steuern, je nach Bedarf der Zelle.

Genetische Signatur für Zellvermehrung

«Unsere Arbeit stellt die derzeitige Vorstellung in Frage, dass seltene Codons sich nachteilig auf die Herstellung von Proteinen auswirken», sagt Guimaraes. «Wir konnten zeigen, dass seltene Codons ganz spezifisch die Produktion solcher Proteine ankurbeln, die für die Zellteilung notwendig sind.» Das Wissen über die genetischen Signatur hilft auch die fehlgesteuerte Proteinherstellung während der Krebsentstehung besser zu verstehen. Krebs ist eine Erkrankung, bei der normale Zellen entarten und sich deshalb unkontrolliert vermehren.

Originalbeitrag:
Joao Guimaraes, Nitish Mittal, Alexandra Gnann, Dominik Jedlinski, Andrea Riba, Katarzyna Buczak, Alexander Schmidt and Mihaela Zavolan
A rare codon-based translational program of cell proliferation
Genome Biology (2020), doi: 10.1186/s13059-020-1943-5

Externer Link: www.unibas.ch

Haben ein Auge für Farben: druckbare Lichtsensoren

Presseinformation des KIT (Karlsruher Institut für Technologie) vom 19.02.2020

Team des KIT entwickelt druckbare organische Fotodioden, die Wellenlängen unterscheiden und damit Datenübertragung via Licht ermöglichen können.

Kameras, Lichtschranken und Bewegungsmelder verbindet eines: Sie arbeiten mit Lichtsensoren, die schon jetzt bei vielen Anwendungen nicht mehr wegzudenken sind. Zukünftig könnten diese Sensoren auch bei der Telekommunikation eine wichtige Rolle spielen, indem sie die Datenübertragung mittels Licht ermöglichen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) am InnovationLab in Heidelberg ist hier ein entscheidender Entwicklungsschritt gelungen: druckbare Lichtsensoren, die Farben sehen können. Die Ergebnisse veröffentlichten sie jetzt in der Zeitschrift Advanced Materials (DOI: 10.1002/adma.201908258).

Neue Technologien werden die Nachfrage nach optischen Sensoren für eine Vielzahl von Anwendungen erhöhen, darunter auch die Kommunikation mithilfe von sichtbarem Licht (engl. Visible Light Communication, VLC). VLC nutzt die Innenbeleuchtung in Gebäuden für die optische Kommunikation. Diese Technologie bietet in Bezug auf Sicherheit, Geschwindigkeit und Zugänglichkeit eine Reihe von Vorteilen im Vergleich zu aktuellen Übertragungsverfahren wie WLAN oder Bluetooth. „Unsere Forschung trägt zu dieser Technologie bei, indem wir die Vorteile einer speziellen Art von Materialien, nämlich organische Halbleiter, und deren Herstellung mit Drucktechniken verbinden“, so Dr. Gerardo Hernandez-Sosa vom Lichttechnischen Institut des KIT, einer der Autoren der Publikation.

Halbleiter sind die Basis von Computern, Smartphones, Solarzellen und von vielen anderen Technologien. Einige der Halbleitermaterialien reagieren auf Licht, indem sich ihre Leitfähigkeit ändert und die Lichtintensität als elektrischer Strom gemessen werden kann. Innerhalb dieser Klasse von Materialien gibt es zudem einige, die wie Druckertinte mit einem Drucker auf ein Trägermaterial aufgebracht werden können. Diese Materialien reagieren auf unterschiedliche Wellenlängen, können also Farben unterscheiden. Dem Team um Hernandez-Sosa ist es nun gelungen, eine Materialzusammensetzung zu finden, die sich für den Einsatz als wellenlängensensibler Lichtdetektor eignet und sich zudem auf flexible Träger aufdrucken lässt. Dabei können Flächen von sehr klein bis sehr groß bedruckt werden. Das Layout lässt sich mithilfe eines Computers einfach gestalten. „Diese Fotosensoren können in großen Stückzahlen in jedem Design auf flexiblen, leichten Materialien hergestellt werden. Daher sind sie besonders für mobile Geräte geeignet”, so Erstautor Noah Strobel.

Der Druck von Halbleiterbauelementen ist eine relativ junge Entwicklung, aber ihr Potenzial für zukünftige Anwendungen ist sehr hoch. Schon jetzt investiert die Industrie in großem Umfang in die Herstellung von gedruckten OLED-Displays für Fernseher und Smartphones. Auch gedruckte flexible Solarzellen oder Drucksensoren sind bereits im Handel. Die Herstellung von gedruckten Lichtdetektoren hat gleichfalls bereits das industrielle Niveau erreicht. Daher sind die Chancen hoch, dass diese Elemente in Zukunft in vielen Anwendungen eingesetzt werden, insbesondere angesichts der steigenden Nachfrage nach Sensoren im Internet der Dinge, in Smart Cities und in der Industrie 4.0. (rl)

Originalpublikation:
Noah Strobel, Nikolaos Droseros, Wolfgang Köntges, Mervin  Seiberlich, Manuel  Pietsch, Stefan Schlisske, Felix Lindheimer, Rasmus R. Schröder, Uli Lemmer, Martin Pfannmöller, Natalie Banerji, Gerardo Hernandez-Sosa: „Color-selective Printed Organic Photodiodes for Filterless Multichannel Visible Light Communication“. Advanced Materials, 2020. DOI: 10.1002/adma.201908258.

Externer Link: www.kit.edu

Quanten-Effekt erstmals bewiesen: Die Spin-Rotations-Kopplung

Presseaussendung der TU Wien vom 17.02.2020

Vor über 30 Jahren wurde er vorausgesagt, nun konnte der Effekt von einem Team der TU Wien erstmals nachgewiesen werden: Der Spin von Neutronen zeigt eine bestimmte Art von Trägheit.

Stellen wir uns vor, wir tanzen über die Wiese und drehen uns dabei rasch um die eigene Achse. Und irgendwann hopsen wir dabei auf ein rotierendes Karussell. Die Drehung des Karussells beeinflusst augenblicklich unsere eigene Rotation, ein Drehimpuls wird übertragen – je nachdem, wie gut unser Gleichgewichtssinn trainiert ist, endet das möglicherweise schmerzhaft. Kann man ähnliche Effekte auch bei Quantenteilchen beobachten?

Nach jahrelanger Vorarbeit gelang es nun einem Team der TU Wien, den Eigendrehimpuls von Neutronen zu untersuchen, die von einem nichtrotierenden in ein rotierendes Bezugssystem überwechseln. Dazu musste eine neuartige Magnetspule entwickelt werden, die den Neutronenstrahl einem rotierenden Magnetfeld aussetzt. Dabei wurde nachgewiesen: Ähnlich wie klassische Objekte zeigt der Spin des Neutrons eine gewisse Trägheit, obwohl der Neutronen-Spin selbst keine Masse besitzt und grundsätzlich nur mit den Gesetzen der Quantenphysik verstanden werden kann. Die Ergebnisse des Experiments wurden nun im Fachjournal „Nature Partner Journal Quantum Information“ veröffentlicht.

Was sich dreht, will sich weiterdrehen

„Trägheit ist ein Grundprinzip, mit dem wir ständig zu tun haben“, sagt Stephan Sponar vom Atominstitut der TU Wien. „Wenn wir in einem Zug sitzen, der sich völlig gleichförmig dahinbewegt, dann fühlt sich das genauso an, als würden wir unbewegt zu Hause auf einem Sessel sitzen. Doch wenn wir das Bezugssystem wechseln, etwa wenn wir aus dem Zug auf die Wiese springen, dann werden wir unsanft abgebremst, wir spüren Kräfte aufgrund der Trägheit unserer Masse.“

Bei Drehungen ist die Sache ähnlich: Auch ein drehendes Objekt behält seinen Drehimpuls bei, solange kein äußeres Drehmoment auf das Objekt einwirkt. Doch hier wird die Sache kompliziert, wenn man den Blick auf Quantenteilchen richtet: „Teilchen wie Neutronen oder Elektronen besitzen nämlich eine ganz besondere Art des Drehimpulses – den Spin“, erklärt Armin Danner, Erstautor der aktuellen Publikation.

Der Spin ist der Eigendrehimpuls des Teilchens. Oft wird er mit der Eigendrehung eines Planeten um seine eigene Achse verglichen, aber der Vergleich trifft die Sache nicht besonders gut: Der Spin ist nämlich auch bei Quantenteilchen zu beobachten, die punktförmig sind, die also im klassischen Sinn gar nicht um eine Achse rotieren können. „Den Spin kann man sich vorstellen als Eigendrehung, zusammengezogen auf einen unendlich kleinen Punkt“, sagt Armin Danner. Der Spin lässt sich nur mit dem Formalismus der Quantentheorie vollständig erklären, zu unserer Alltagserfahrung passt er nicht so richtig. Das Konzept der Trägheit, das wir aus dem Alltag kennen, bleibt aber hier trotzdem noch gültig.

Kopplung zwischen Spin und Magnetfeld

„Schon 1988 wurde postuliert, wie sich ein Neutron verhalten soll, wenn es von einem nichtrotierenden in ein rotierendes Bezugssystem wechselt, und wieder zurück“, erzählt Prof. Yuji Hasegawa, Leiter der Arbeitsgruppe Neutroneninterferometrie des Atominstituts. „So wurde vorhergesagt, dass es eine Kopplung zwischen dem Neutronenspin und einem rotierenden Magnetfeld geben muss. Doch bisher ist es niemandem gelungen, diesen Effekt direkt in seiner quantenmechanischen Natur nachzuweisen. Auch wir haben einige Jahre und mehrere Anläufe dafür gebraucht, aber nun konnten wir den Kopplungseffekt eindeutig demonstrieren.“

Ähnlich wie ein Tänzer, der einen Eigendrehimpuls hat und sich dann plötzlich über ein rotierendes Karussell bewegt, wird das Neutron mit seinem Spin durch einen Bereich mit rotierendem Magnetfeld geschickt. Dadurch wird der Spin des Neutrons beeinflusst – allerdings so, dass es beim Verlassen des rotierenden Magnetfelds wieder genau dieselbe Orientierung hat wie am Anfang. Das heißt, die Drehachse des Eigendrehimpulses ist die gleiche. Beim Übertritt vom nicht rotierenden Bereich in den rotierenden Bereich und wieder zurück treten allerdings Trägheitsphänomene auf, die quantenmechanisch detektiert werden können.

Dazu muss man den Neutronenstrahl in zwei Pfade aufspalten: Einer wird durch das rotierende Magnetfeld gelenkt, der andere nicht. Am Ende werden beide Pfade miteinander vereint. Nach den Regeln der Quantenphysik legt jedes einzelne Neutron beide Pfade gleichzeitig zurück. Die Trägheitskräfte führen dazu, dass sich die Wellenlänge entlang des einen Weges lokal ändert – und das bestimmt, wie sich die beiden Teilchen-Wellen der beiden Pfade nach der Vereinigung gegenseitig verstärken oder auslöschen.

Die größte Herausforderung dabei war das Design einer speziellen Spule, mit der man ein rotierendes magnetisches Feld erzeugen kann. In die Spule muss ein kleines Fenster eingebaut werden, durch das der Neutronenstrahl gelangt – und gleichzeitig muss das Magnetfeld im Inneren der Spule exakt die richtige Form haben. Eine passende Geometrie wurde mittels Computer-Simulationen gefunden. Entwickelt und getestet wurde das System an der Neutronenquelle der TU Wien, die endgültigen Messungen wurden dann am ILL in Grenoble durchgeführt.

„Das Faszinierende daran ist, dass es sich hier um einen reinen Quanteneffekt handelt, den man zunächst auf klassische Weise nicht verstehen kann“, sagt Armin Danner. „Unser Alltagsverständnis von Drehimpuls und Rotation hilft uns hier scheinbar nicht weiter. Aber wir haben gezeigt, dass das klassische Konzept der Trägheit auch in den extremen Spezialfällen unserer Untersuchungen sinnvoll bleibt.“ (Florian Aigner)

Originalpublikation:
A. Danner et al., Spin-rotation coupling observed in neutron interferometry, npj Quantum Information 6, 23 (2020).

Externer Link: www.tuwien.ac.at