Larabicus entwickelt Putzroboter für Schiffsrümpfe

Pressemitteilung der Universität Kassel vom 04.09.2023

Für ihr Projekt „Larabicus“ haben Florian Gerland und Thomas Schomberg von der Universität Kassel mit ihrem Team eine EXIST-Forschungstransfer-Förderung in Höhe von 1,2 Millionen Euro eingeworben. Sie entwickeln einen Putzroboter, der Schiffsrümpfe während der Fahrt von Algen und Muscheln sauber hält.

Handelsschiffe legen riesige Strecken zurück – und tragen dabei bisher stets eine Vielzahl an invasiven Organismen in fremde Ökosysteme. Unter der Wasseroberfläche am Schiffsrumpf bilden sich bereits innerhalb von wenigen Stunden oder Tagen Verschmutzungen und Verkrustungen, bspw. durch Algen oder Muscheln. Eine solche Schleimschicht erhöht den Widerstand im Wasser und verlangsamt dadurch das Schiff. Als Folge wird mehr Treibstoff verbraucht und die CO2-Emissionen steigen.

Benannt nach seinem ökologischen Vorbild – dem Putzer-Lippfisch „Larabicus quadrilineatus“, der größere Fische von Parasiten befreit – setzt das Projekt Larabicus hier an: Kleine Roboter sollen genau diese Aufgabe am Schiffsrumpf übernehmen. Das Ziel ist es, die Schleimschichtbildung soweit es geht zu verhindern und die Oberfläche des Schiffsrumpfs möglichst glatt zu halten. „Wir entwickeln eine Technik, die den Bewuchs langfristig und schonend entfernt, ohne dabei den Lack zu beschädigen“, erklärt Thomas Schomberg. Schiffslacke enthalten aktuell noch Biozide und sind dadurch hochgiftig. „Damit möglichst wenig dieser Lacke im Wasser abgetragen wird, ist eine schonende Reinigung essentiell.“

Mit dieser Innovation trifft das Larabicus-Team genau den Nerv der Zeit. Da nun auch Schiffe Energie-Label erhalten, sind Reedereien immer mehr bereit, in neue, kostensparende Lösungen zu investieren. „GreenTech braucht eben Investitionen“, bekräftigt Dr.-Ing. Florian Gerland. „Selbst wann man den ökologischen Nutzen unserer Putzroboter außen vorlässt – das System bietet vom ersten Einsatztag an auch einen ökonomischen Vorteil.“

Schomberg und Gerland sind als wissenschaftliche Mitarbeiter am Fachgebiet Strömungsmechanik tätig. „Ich freue mich sehr darüber, dieses innovative Projekt unterstützen zu können“, betont Mentor und Fachgebietsleiter Prof. Dr.-Ing. Olaf Wünsch. „Es ist ein perfektes Beispiel dafür, wie Forschung in unserem Bereich zu konkret umsetzbaren, nachhaltigen Lösungen führen kann. Larabicus wird einen wertvollen Beitrag für den Schutz des Klimas und den Erhalt der Biodiversität liefern und macht damit in besonderer Weise die Nachhaltigkeitsstrategie der Universität Kassel sichtbar.“

Die technische Entwicklung der Roboter liegt als Schwerpunkt bei Gerland und Schomberg an der Uni Kassel. Daneben gehören zu Larabicus eine Mitarbeiterin in Kiel, die Reinigungsmethoden vergleicht und optimiert, sowie ein Mitarbeiter in Hamburg, der die Kontakte zu den Netzwerk- und Industriepartnern pflegt und die Markteinführung des Produkts vorbereitet.

Nach ihrem Sieg beim UNIKAT-Ideenwettbewerb 2020 haben die beiden wissenschaftlichen Mitarbeiter nun mit Unterstützung von UniKasselTransfer die Förderung für herausragende forschungsbasierte Gründungsvorhaben eingeworben. UniKasselTransfer ist eine zentrale Einrichtung der Universität Kassel, die unter anderem Gründungsinteressierte bei der Umsetzung ihrer Ideen in ein Geschäftsmodell begleitet und bei der Antragstellung für ein EXIST-Gründungsstipendium oder EXIST-Forschungstransfer unterstützt. Das Förderprogramm EXIST-Forschungstransfer des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz unterstützt in zwei Förderphasen den Transfer und Übergang von vielversprechenden Forschungsergebnissen in eine Unternehmensgründung. Larabicus wird nun ab September 2023 zwei Jahre lang mit einer Summe von insgesamt 1,2 Millionen Euro gefördert. In dieser Zeit steht auch die Unternehmensgründung an.

Externer Link: www.uni-kassel.de

Forscher entwickeln fermionischen Quantenprozessor

Medienmitteilung der Universität Innsbruck vom 23.08.2023

Wissenschaftler aus Österreich und den USA haben einen neuartigen Quantencomputer entwickelt, der fermionische Atome zur Simulation komplexer physikalischer Systeme verwendet. Der Prozessor verwendet neutrale Atome in optischen Pinzetten und ist in der Lage, fermionische Modelle auf effiziente Weise mit fermionischen Gattern zu simulieren. Das Team um Peter Zoller zeigt, wie der neue Quantenprozessor fermionische Modelle aus der Quantenchemie und Teilchenphysik effizient simulieren kann.

Fermionische Atome sind Teilchen, die dem Pauli-Prinzip gehorchen; zwei von ihnen können gleichzeitig nie denselben Quantenzustand einnehmen. Das macht sie ideal für die Simulation von Systemen, in denen fermionische Eigenschaften eine entscheidende Rolle spielen, wie etwa Moleküle, Supraleiter und Quark-Gluon-Plasmen. „In Quantencomputern, die auf Qubits basieren, müssen zusätzliche Ressourcen eingesetzt werden, um diese Eigenschaften zu simulieren, in der Regel in Form von weiteren Qubits oder umfangreicheren Quantenschaltkreisen“, erklärt Daniel Gonzalez Cuadra aus der Forschungsgruppe um Peter Zoller am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und am Institut für Theoretische Physik der Universität Innsbruck.

Quanteninformation in Fermionen speichern und verarbeiten

Ein fermionischer Quantenprozessor besteht aus einem fermionischen Register und einer Abfolge von fermionischen Quantengattern. „Das Register besteht aus einer Reihe von fermionischen Zuständen, die entweder leer oder von einem einzelnen Fermion besetzt sein können, und diese beiden Zustände bilden die lokale Einheit der Quanteninformation“, erläutert Daniel Gonzalez Cuadra. „Der Zustand des Systems, das wir simulieren wollen, z. B. ein aus vielen Elektronen bestehendes Molekül, wird im Allgemeinen eine Überlagerung vieler Besetzungsmuster sein, die direkt in dieses Register kodiert werden können.“ Diese Informationen werden dann in einem fermionischen Quantenschaltkreis verarbeitet, der beispielsweise die zeitliche Entwicklung eines Moleküls simulieren soll. Jede solche Operation kann in eine Folge von nur zwei Arten von fermionischen Gattern zerlegt werden, einem Tunnelgatter und einem Wechselwirkungsgatter.

Die Forscher schlagen vor, fermionische Atome in einer Anordnung optischer Pinzetten einzufangen. Das sind hochfokussierte Laserstrahlen, die Atome mit hoher Präzision halten und bewegen können. „Die benötigten fermionischen Quantengatter können auf dieser Plattform einfach implementiert werden: Tunnelgatter durch die Kontrolle des Tunnelns eines Atoms zwischen zwei optischen Pinzetten, Wechselwirkungsgatter, indem die Atome zunächst zu Rydberg-Zuständen angeregt werden, die ein starkes Dipolmoment haben“, sagt Gonzalez Cuadra.

Anwendungen von der Quantenchemie bis zur Teilchenphysik

Ein fermionischer Quantenprozessor ist besonders nützlich, um die Eigenschaften von Systemen zu simulieren, die aus vielen wechselwirkenden Fermionen bestehen, wie z. B. Elektronen in einem Molekül oder in einem Material oder Quarks in einem Proton, und könnte daher in vielen Bereichen Anwendung finden, von der Quantenchemie bis zur Teilchenphysik. Die Forscher zeigen, wie ihr fermionischer Quantenprozessor fermionische Modelle aus der Quantenchemie und der Gittereichtheorie effizient simulieren kann, zwei wichtige Bereiche der Physik, die mit klassischen Computern nur schwer zu lösen sind. „Da die Quanteninformation direkt in Fermionen verarbeitet wird, sind einige Eigenschaften des simulierten Systems auf Hardware-Ebene schon vorhanden, was bei einem Quantencomputer auf Qubit-Basis zusätzliche Ressourcen erfordern würde“, sagt Daniel Gonzalez Cuadra. „Ich bin sehr gespannt auf die Zukunft dieses Gebiets und möchte weiterhin dazu beitragen, indem ich die vielversprechendsten Anwendungen für die fermionische Quantenverarbeitung identifiziere und maßgeschneiderte Algorithmen entwerfe, die in bald verfügbaren Geräten laufen können.“

Die aktuellen Ergebnisse wurden in den Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) veröffentlicht. Finanziell unterstützt wurde die Forschung unter anderem vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF, der Europäischen Union und der Simons Foundation.

Originalpublikation:
Fermionic quantum processing with programmable neutral atom arrays. D. Gonzalez-Cuadra, D. Bluvstein, M. Kalinowski, R. Kaubruegger, N. Maskara, P. Naldesi, T. V. Zache, A. M. Kaufman, M. D. Lukin, H. Pichler, B. Vermersch, Jun Ye, and P. Zoller. PNAS 2023

Externer Link: www.uibk.ac.at

Proof of Concept erfolgreich: THI testet Quantenschlüsselaustausch im Fahrzeug

Pressemitteilung der TH Ingolstadt vom 10.08.2023

Am CARISSMA-Institut C-ECOS der Technischen Hochschule Ingolstadt (THI) ist gemeinsam mit der Firma Quantum Optics Jena ein Quantenschlüsselaustausch mit einem Fahrzeug gelungen.

Was aussieht wie ein herkömmlicher Tesla an der E-Ladesäule, ist für die Wissenschaftler der Technischen Hochschule Ingolstadt wortwörtlich ein Quantensprung. Die Firma Quantum Optics Jena (QOJ) testete an der THI den Austausch von Quantenschlüsseln. „Wir haben in sehr kurzer Zeit schon tausende von geheimen Schlüsseln generiert“, freute sich Dr. Kevin Füchsel, CEO der Firma QOJ während des Versuchs. Das Jenaer Start-up arbeitet seit zwei Jahren an Lösungen, um die IT-Sicherheit durch den Einsatz von Quantentechnologien zu revolutionieren und auf das Fundament von physikalischen Gesetzen zu stellen. 2022 wurde THI-Vizepräsident Prof. Dr. Hans-Joachim Hof bei einer Fachmesse auf die weltweit einzigartige Lösung des Unternehmens aufmerksam und stellte den Kontakt her.

Am CARISSMA-Institut C-ECOS, Institute of Electric, Connected and Secure Mobility, beschäftigen sich die Forscher mit sicheren und nachhaltigen Lösungen für die zukünftige Mobilität. Optimale Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit waren somit gegeben. Beim ersten Test wurden nun verschränkte Lichtteilchen über ein 50 Kilometer langes Glasfaserkabel zwischen zwei Empfänger-Modulen ausgetauscht. Eines davon wurde in das Versuchsfahrzeug integriert. Die notwendigen kryptografischen Schlüssel, etwa um ein Softwareupdate mit einem zentralem Server sicher durchführen zu können, werden dabei ganz bequem beim Aufladen der Batterie in das Fahrzeug geladen.

In Zeiten des automatisierten Fahrens und der Entwicklung von Quantencomputern wird es immer wichtiger, Fahrzeuge zu bauen, die nicht gehackt werden können. „Die Schlüssel existieren in unserem Aufbau nur zwischen den beiden Empfangsparteien und können während der Übertragung nicht abgehört werden. Dadurch lassen sich symmetrische Schlüssel für die Kommunikation zum Fahrzeug implementieren und letztendlich für eine Vielzahl von Szenarien nutzen“, erklärt Füchsel. Das Team des jungen Unternehmens ist davon überzeugt, dass sich damit die IT-Sicherheit von Fahrzeugen deutlich verbessern lässt. „Gerade für hochautomatisiertes Fahren und immer komplexere Informationssysteme hat der Schutz vor Hackerangriffen und der Einsatz von neuen Technologien eine immense Bedeutung“, erläutert Prof. Hof.

Ausgehend von diesem Erfolg werde nun ein Projektantrag beim Bundesministerium für Bildung und Forschung gestellt, sagt Marco Michl, wissenschaftlicher Mitarbeiter des CARISSMA-Instituts C-ECOS. „Die zentrale Frage ist: Wie kann ich das praktikabel in ein Fahrzeug einbauen und anwenden?“, erklärt Michl. Denn neben dem Einbau und der Qualifizierung der Empfangsmodule in die Fahrzeuge muss auch die Infrastruktur dementsprechend ausgebaut werden. Die Hürden für Netze, die – wie beispielsweise Regierungs- und Gesundheitsnetze – hochsicher sein sollen, sind hoch. „Die THI macht hier ihre ersten Schritte hinsichtlich Quantenschlüsselaustausch und quantensicherer Verschlüsselung“, so Michl.

Externer Link: www.thi.de

Nano-Ringe: Neuartige Bausteine für die Chemie

Presseinformation des KIT (Karlsruher Institut für Technologie) vom 03.08.2023

Neue Verbindungen erweitern das Spektrum der metallorganischen Chemie – Sandwich-Komplexe in Ringform halten durch eigene Energie zusammen

In der metallorganischen Chemie gehören Sandwich-Komplexe, spezielle chemische Verbindungen, zu den grundlegenden Bausteinen. Ihre Struktur war bisher immer geradlinig. Nun haben Forschende des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und der Philipps-Universität Marburg erstmals mehrstöckige Sandwich-Komplexe zu einem nanoskaligen Ring geformt. Was genau diese neuen „Cyclocen“ genannten Strukturen auszeichnet, etwa ihre physikalischen Eigenschaften, werden die Forschenden nun weiter untersuchen. Aktuell berichten sie in der Zeitschrift Nature.

Ihren Namen haben die vor etwa 70 Jahren entwickelten Sandwich-Komplexe aufgrund ihres Aufbaus erhalten, der an eine Stulle erinnert: In der Molekülstruktur umschließen zwei flache aromatische organische Ringe (die „Brotscheiben“) ein einzelnes, zentrales Metallatom (die „Füllung“). Dabei sind beide Ringe – wie die Brotscheiben auch – parallel angeordnet. Durch das Hinzufügen weiterer Schichten von „Füllung“ und „Brot“ lassen sich Tripledecker- oder Mehrfachdecker-Sandwiches zusammenstellen. „Diese Verbindungen gehören zu den wichtigsten Verbindungsklassen der modernen metallorganischen Chemie“, erklärt Professor Peter Roesky vom Institut für Anorganische Chemie am KIT. Dazu zählt zum Beispiel das besonders stabile Ferrocen, dem seine „Väter“, Ernst Otto Fischer und Geoffrey Wilkinson, sogar den Nobelpreis für Chemie im Jahr 1973 verdanken. Es besteht aus einem Eisenion und zwei fünfgliedrigen aromatischen organischen Ringen und wird in zahlreichen Anwendungen der Synthese, Katalyse, Elektrochemie und Polymerchemie genutzt.

Erstmals nanoskalige Ringe

Sandwich-Komplexe zu einem Ring zu formen haben die Forschenden des KIT und der Universität Marburg schon seit einiger Zeit versucht. Das Problem dabei: „Wir konnten zwar Ketten formen, aber eben keine Ringe“, so Roesky, der die Arbeit der drei Teams an den zwei Universitäten koordiniert hat. „Dass es uns nun dank der Wahl des richtigen organischen Zwischendecks, der ‚Brotscheibe‘, gelungen ist, nanoskalige Ringe zu formen, ist eine Weltpremiere“, sagen Professor Manfred Kappes, Leitung der Abteilung Physikalische Chemie II am KIT und Professor Florian Weigend, Leiter der Abteilung für Angewandte Quantenchemie an der Universität Marburg. Der neuartige Nano-Ring besteht aus 18 Bausteinen, hat einen Außendurchmesser von 3,8 Nanometern und zeigt in Abhängigkeit vom verwendeten Metall in der „Füllung“ des Sandwich-Komplexes eine orangefarbige Photolumineszenz. Die Forschenden haben die neue chemische Verbindung „Cyclocen“ getauft.

Der Nano-Ring hält aus eigener Kraft zusammen

Warum die Moleküle sich nun zu einem richtigen Ring formen ließen und nicht mehr nur eine Kette aus aneinandergereihten Sandwich-Komplexen bildeten, klärten die drei Arbeitsgruppen mithilfe aufwendiger quantenchemischer Berechnungen. Diese zeigten, dass der Ringschluss selbst die Energie erzeugt, die den Ring in der Folge auch zusammenhält. „Die Challenge war zunächst, den Ring zu schaffen. Lassen sich andere Ringgrößen erstellen? Hat diese Nanostruktur ungewöhnliche physikalische Eigenschaften? Daran werden wir nun weiter forschen. Sicher ist nur, dass wir jetzt einen neuen Baustein im Werkzeugkasten der metallorganischen Chemie haben. Und das ist schon großartig“, sagt Roesky. (ih)

Originalpublikation:
Luca Münzfeld, Sebastian Gillhuber, Adrian Hauser, Sergei Lebedkin, Pauline Hädinger, Nicolai D. Knöfel, Christina Zovko, Michael T. Gamer, Florian Weigend, Manfred M. Kappes, Peter W. Roesky: Synthesis and properties of cyclic sandwich compounds. Nature, 2023. DOI: 10.1038/s41586-023-06192-4

Externer Link: www.kit.edu

Die Quanten-Lawine

Presseaussendung der TU Wien vom 07.08.2023

An der TU Wien gelang es, ein eigentlich sehr instabiles System aus vielen Quantenteilchen stabil zu halten und dann seine Energie gezielt auf einmal freizusetzen.

Es sind ganz besondere Diamanten, mit denen an der TU Wien gearbeitet wird: Ihr Kristallgitter ist nicht perfekt regelmäßig, es enthält zahlreiche Defekte. An Stellen, an denen sich in einem perfekten Diamanten zwei benachbarte Kohlenstoff-Atome befinden würden, sitzt ein Stickstoffatom, der zweite Platz bleibt frei. Mit Hilfe von Mikrowellen kann man diese Defekte zwischen zwei verschiedenen Zuständen hin und her schalten – einem Zustand höherer Energie und einem Zustand niedrigerer Energie. Das macht sie zu einem interessanten Werkzeug für verschiedene Quantentechnologien, etwa für neuartige Quantensensoren oder Bauteile für Quantencomputer.

Nun gelang es, diese Defekte so präzise zu kontrollieren, dass man damit einen spektakulären Effekt auslösen kann: Alle Defekte werden in den Zustand hoher Energie gebracht, in dem sie einige Zeit lang verharren, bis man dann mit einem winzig kleinen Mikrowellen-Puls die gesamte Energie freisetzt und alle Defekte gleichzeitig in den Zustand niedriger Energie wechseln – ähnlich wie bei einem Schneefeld, auf dem ein winzig kleiner Schneeball eine Lawine auslöst und die gesamte Schneemasse gleichzeitig ins Tal donnert.

Atom-Spins und Mikrowellen

„Die Defekte im Diamant haben einen Spin – einen Drehimpuls, der entweder nach oben oder nach unten zeigt. Das sind die zwei möglichen Zustände, in denen sie sich befinden können“, sagt Wenzel Kersten, Erstautor der aktuellen Publikation, der in der Forschungsgruppe von Prof. Jörg Schmiedmayer (Atominstitut, TU Wien) derzeit an seiner Dissertation arbeitet.

Mit Hilfe eines Magnetfelds kann man erreichen, dass zum Beispiel der Zustand „Spin nach oben“ einer höheren Energie entspricht als „Spin nach unten“. In diesem Fall werden sich die meisten Atome im Zustand „Spin nach unten“ befinden – sie streben normalerweise in den Zustand niedriger Energie, wie eine Kugel in einer Schüssel, die normalerweise nach unten rollt.

Mit ausgeklügelten technischen Tricks kann man aber eine sognannte „Inversion“ erzeugen – man bringt die Defekte dazu, sich alle im Zustand höherer Energie einzufinden. „Man verwendet dafür Mikrowellenstrahlung, durch die man die Spins zunächst in den gewünschten Zustand bringt, dann verändert man das äußere Magnetfeld so, dass die Spins gewissermaßen in diesem Zustand eingefroren werden“, erklärt Prof. Stefan Rotter (Institut für Theoretische Physik, TU Wien), der den theoretischen Teil der Forschungsarbeit leitete.

Eine solche „Inversion“ ist instabil. Die Atome könnten prinzipiell spontan ihren Zustand wechseln – ähnlich als würde man einen Besenstiel balancieren, der prinzipiell spontan in irgendeine Richtung umkippen kann. Aber das Forschungsteam konnte zeigen: Durch die extrem präzise Kontrolle, die durch an der TU Wien entwickelte Chiptechnologie möglich wurde, kann man die Spins der Atome für etwa 20 Millisekunden stabil halten. „Für quantenphysikalische Verhältnisse ist das eine gewaltige Zeitspanne. Das ist ungefähr hunderttausendmal so lange wie es dauert, diesen energiereichen Zustand zu erzeugen oder ihn wieder zu entladen. Das ist, als hätte man einen Handyakku, der in einer Stunde aufgeladen wird und dann zehn Jahre lang seine Energie vollständig hält“, sagt Jörg Schmiedmayer.

Winzige Ursache – großer Effekt

Man kann während dieser Zeit die Zustandsänderung aber gezielt herbeiführen – und zwar durch eine sehr kleine, schwache Ursache, etwa einen Mikrowellenpuls von minimaler Intensität. „Er bringt ein Atom dazu, seinen Spin zu wechseln, woraufhin benachbarte Atome ebenfalls ihren Spin wechseln – so entsteht ein Lawineneffekt. Die gesamte Energie wird freigesetzt, und zwar in Form eines Mikrowellenpulses, der rund hundert Milliarden mal stärker ist als jener, mit dem man den Effekt ursprünglich ausgelöst hat“, erklärt Stefan Rotter. „Das ist im Verhältnis so, als würde eine einzige Schneeflocke ein Schneebrett mit einigen hundert Tonnen Gewicht auslösen.“

Das bietet viele interessante Möglichkeiten: Man kann auf diese Weise etwa schwache elektromagnetische Pulse verstärken, man könnte das für spezielle Sensoren nutzen, man kann damit eine Art „Quanten-Batterie“ herstellen, mit der sich auf Quantenebene eine gewisse Energiemenge aufbewahren und gezielt freisetzen lässt. (Florian Aigner)

Originalpublikation:
W. Kersten et al., Triggered Superradiance and Spin Inversion Storage in a Hybrid Quantum System, Phys. Rev. Lett. 131, 043601

Externer Link: www.tuwien.at