Smarte Muskeln und Nerven aus leichtem Kunststoff machen Roboter der Zukunft gefühlvoll

Pressemitteilung der Universität des Saarlandes vom 21.06.2021

Chirurgische Instrumente, die sich wie feine Oktopus-Arme in alle Richtungen schlängeln oder große, kraftvolle, aber leichte Roboter-Tentakel, die gefahrlos mit Menschen Hand in Hand arbeiten oder ihnen unter die Arme greifen: Mit starken Muskeln und sensiblen Nerven aus intelligentem Kunststoff entsteht eine neue Generation von Roboterarmen. Das Team um die Experten für smarte Materialsysteme Professor Stefan Seelecke und Juniorprofessor Gianluca Rizzello schafft hierfür die Grundlagen.

Als wäre der Roboterkollege aus Fleisch und Blut arbeiten in der Fabrik der Zukunft Mensch und Maschine Seite an Seite – einträchtig, im Team und spontan: Das ist die Vision der Arbeitswelt von morgen. Zwar haben „Cobots“, die kollaborativen Roboter, schon begonnen, die Industriehallen zu erobern. Aber noch ist es nicht so weit her mit dem Hand in Hand-Teamwork. Es gibt eine Schwachstelle: die körperliche Nähe des Menschen, der keinem festen Programm, sondern plötzlicher, mitunter unlogischer Eingebung folgt oder schlicht abgelenkt ist. Nicht ohne Grund stecken Roboterarme in Fertigungsstraßen oft in Käfigen. Wer hier reinläuft, für den wird es gefährlich. Die schweren Metallmaschinen sind kraftvoll, geschickt und flink, sie schweißen, montieren, lackieren, stapeln und hieven. Aber – programmiert ist programmiert – sie folgen strikt ihrem Bewegungsablauf. Und ist ein Mensch im Weg – dann ist er im Weg.

An einer neuen, smarten Art von Roboterarmen arbeitet das Team um Professor Stefan Seelecke und Juniorprofessor Gianluca Rizzello an der Universität des Saarlandes und am Saarbrücker Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik (Zema). „Unsere Technologie der intelligenten Polymersysteme ermöglicht neuartige, weiche Roboterwerkzeuge, die leichter, wendiger und flexibler sind als die heutigen starren technischen Bauteile“, erklärt Stefan Seelecke. Ein ungeplanter Schubs eines solchen Roboterarms der Zukunft ist dann eher wie der eines menschlichen Kollegen.

Der Stoff aus dem diese neuen, weichen Roboterarme gebaut sind, heißt „dielektrisches Elastomer“, eine Unterart der Polymere. Aus diesem Verbundwerkstoff erschaffen die Saarbrücker Forscherinnen und Forscher künstliche Muskeln und Nerven. Die besonderen Eigenschaften des Werkstoffs machen es möglich, nach dem Vorbild der Natur zu arbeiten: Elastomere lassen sich stauchen und nehmen ihre ursprüngliche Form wieder ein, strecken sich also wieder. „Wir bedrucken das Elastomer beidseitig mit Elektroden. Legen wir eine elektrische Spannung an, ziehen sich die Elektroden an und stauchen das Elastomer, das dabei gleichzeitig seine Fläche ausdehnt“, erklärt der Juniorprofessor für Adaptive polymerbasierte Systeme, Dr. Gianluca Rizzello. Der gebürtige Italiener arbeitet seit 2016 mit Seelecke in dessen Team. Das Elastomer kann sich also zusammenziehen und strecken wie ein Muskel. „Diese Eigenschaft nutzen wir als Aktor, also als Antrieb“, erklärt Rizzello. Indem sie das elektrische Feld ändern, lassen die Ingenieure das Elastomer hochfrequent vibrieren, stufenlos kraftvolle Hub-Bewegungen vollführen oder auch in jeder gewünschten Stellung verharren.

Aus vielen dieser kleinen Muskeln setzen die Forscher nun flexible Roboterarme zusammen. In einem Roboter-Tentakel aneinandergereiht, bewirkt ihr Zusammenspiel, dass dieser sich wie der Fangarm eines Kraken in alle Richtungen biegen und schlängeln kann: Anders als bei den schweren und starren Robotergelenken heute üblicher Roboter, die wie beim Menschen Bewegungen nur in bestimmte Richtung zulassen, sind der Freiheit dieses Tentakels keine Grenzen gesetzt. Für ihre Arbeit am Prototyp dieser Elastomer-Muskel-Tentakel, hat Gianluca Rizzello zusammen mit seinem Doktoranden Johannes Prechtl jüngst den Best Paper Award auf der RoboSoft2021-Konferenz erhalten – eine von vielen Auszeichnungen der Arbeitsgruppe um Stefan Seelecke. Ein Tentakel-Prototyp soll in etwa einem Jahr vorliegen.

Gianluca Rizzello ist Spezialist, wenn es darum geht, dem Kunststoff Intelligenz einzuhauchen. Er gibt dem Roboter-Gehirn, also der Steuerungseinheit, den nötigen Input, damit sie den Arm intelligent bewegen kann – ein überaus anspruchsvolles Unterfangen. „Diese Systeme sind komplexer als die heutiger Roboterarme. Polymerbasierte Komponenten mit künstlicher Intelligenz zu steuern, ist weit schwieriger als bei herkömmlichen mechatronischen Systemen“, erklärt Rizzello. Die Elastomer-Muskeln fungieren dabei zugleich als Nerven des Systems: Sie haben selbst Sensor-Eigenschaften. Daher kommt dieser Roboterarm ohne weitere Sensorik aus. „Jede Verformung des Elastomers, jede Änderung seiner Geometrie, bewirkt eine Änderung der elektrischen Kapazität und lässt sich präzisen Messwerten zuordnen. Messen wir die elektrische Kapazität, wissen wir, wie das Elastomer gerade verformt ist und können hieraus sensorische Daten ablesen“, erläutert der Ingenieur.

Mit diesen Werten lassen sich die Bewegungsabläufe präzise modellieren und programmieren: Hierfür intelligente Algorithmen zu entwickeln, um den neuartigen Roboter-Tentakeln ihr gewünschtes Verhalten anzutrainieren, steht im Mittelpunkt von Gianluca Rizzellos Forschung. „Wir arbeiten daran zu verstehen, welche physikalischen Eigenschaften dem Verhalten der Polymere zugrunde liegen. Je mehr wir darüber wissen, umso passgenauere Algorithmen können wir zu ihrer Steuerung entwerfen“, sagt der Juniorprofessor.

Die Technologie wird skalierbar sein: Sie kann in feinen Tentakeln etwa für medizinische Instrumente zum Einsatz kommen, aber auch bei großen Industrierobotern. Anders als die heutigen Roboterarme, die schon mit ihrem beachtlichen Gewicht gegen die Schwerkraft ankämpfen müssen, werden diese Roboterarme leicht sein. „Sie kommen ohne Motoren, Hydraulik oder Druckluft aus und funktionieren nur mit elektrischem Strom. Die Bauform der Elastomer-Muskeln kann dem jeweiligen Bedarf angepasst werden. Auch brauchen sie nur wenig Energie. Je nach Kapazität sind dies nur Ströme im Mikroampere-Bereich. Das macht diese Robotertechnologie, für die wir derzeit die Grundlagen erforschen, energieeffizient und kostengünstig“, erklärt Stefan Seelecke.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert diese Forschung im Rahmen des DFG-Schwerpunktprogramms SPP2100 „Soft Material Robotic Systems“.

Externer Link: www.uni-saarland.de

Elektronische Nase unterscheidet Minzdüfte

Presseinformation des KIT (Karlsruher Institut für Technologie) vom 05.05.2021

Interdisziplinäre Forschungsgruppe des KIT entwickelt und erprobt künstliche Geruchserfassung durch Sensoren auf Basis neuartiger Materialkombinationen

In der Natur locken pflanzliche Duftstoffe beispielsweise Insekten an. Aber auch in der Industrie werden sie genutzt, etwa beim Herstellen von Parfums und Aromen. Um speziell die Duftstoffe der Minze zuverlässig, schnell und objektiv zu unterscheiden, haben Forschende des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) in einer interdisziplinären Zusammenarbeit eine elektronische Nase mit einem künstlichen Geruchssinn entwickelt: Mit hoher Präzision kann sie unterschiedliche Minzarten erkennen – damit eignet sie sich für Anwendungen von der pharmazeutischen Qualitätskontrolle bis hin zur Beobachtung von Minzöl als umweltfreundlichem Bioherbizid.

„Bislang kennt die Forschung schätzungsweise 100 000 unterschiedliche biologische Verbindungen, über die benachbarte Pflanzen miteinander interagieren oder andere Organismen wie Insekten steuern“, sagt Professor Peter Nick vom Botanischen Institut des KIT. „Diese Verbindungen sind bei Pflanzen der gleichen Gattung sehr ähnlich.“ Ein klassisches Beispiel in der Pflanzenwelt sei die Minze, bei der die verschiedenen Sorten mit sehr artspezifischen Duftstoffen ausgestattet seien. Insbesondere die industrielle Überwachung von Minzöl unterliege zum Vermeiden von Fälschungen einer strengen gesetzlichen Regelung, sei zeitaufwendig und erfordere viel Geschick, so der Wissenschaftler. Unterstützen soll dabei eine neue elektronische Nase auf Basis von Sensoren mit kombinierten Materialien, die Forschende vom Botanischen Institut, vom Institut für Funktionale Grenzflächen (IFG), vom Institut für Mikrostrukturtechnik (IMT) und vom Lichttechnischen Institut (LTI) des KIT gemeinsam entwickelt und bereits mit sechs unterschiedlichen Minzarten erprobt haben.

Elektronische Nase nach biologischem Vorbild

Bei der Entwicklung der elektronischen Nase orientiert sich das gesamte Forschungsteam so weit wie möglich am biologischen Vorbild: Die Geruchszellen, die beim Menschen Informationen über elektrische Impulse ans Gehirn geben, ersetzen sie durch insgesamt zwölf spezielle Sensoren (Quartz Crystal Microbalance-, kurz QCM-Sensoren). Diese bestehen aus zwei Elektroden mit einem Quarzkristall. Solche Bauteile sind beispielsweise auch in Mobiltelefonen verbaut, da sie kostengünstig eine hohe Genauigkeit der Mobilfunkfrequenzen garantieren. „Die Duftstoffe der Minze lagern sich auf der Oberfläche der Sensoren ab. Dadurch ändert sich deren Resonanzfrequenz, und wir erhalten eine Reaktion auf den jeweiligen Duft“, erläutert Professor Christof Wöll vom IFG. Duftstoffe bestehen aus organischen Molekülen in unterschiedlicher Zusammensetzung. Damit die neuen Sensoren diese aufnehmen können, haben die Forschenden vom IFG zwölf spezielle Sensormaterialien, unter anderem die am IFG entwickelten Metall-Organischen Gerüststrukturen (engl. Metal-Organic Frameworks, kurz MOFs), verwendet. „Diese Materialien sind hochporös und für Sensor-Anwendungen besonders gut geeignet, weil sie wie ein Schwamm viele Moleküle aufnehmen können“, so Wöll. „Durch die Kombination der Sensoren mit den unterschiedlichen Materialien verschalten wir quasi ein neuronales Netzwerk.“

Training mit sechs Minzarten durch Maschinelles Lernen

Die elektronische Nase haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit sechs verschiedenen Minzarten getestet – darunter klassische Pfefferminze, Pferdeminze und Katzenminze. „Mit unterschiedlichen Methoden des Maschinellen Lernens trainieren wir die Sensoren so, dass sie aus den gesammelten Daten den Fingerabdruck des jeweiligen Dufts erstellen und so die Düfte voneinander unterscheiden können“, erläutert Wöll. Nach jeder Duftstoff-Probe werde die Nase etwa eine halbe Stunde lang mit Kohlendioxid (CO2) durchgespült, damit die Sensoren regenerieren.

Die Ergebnisse des interdisziplinären Forschungsteams haben gezeigt, dass die elektronische Nase mit QCM-Sensoren Minzdüfte mit hoher Spezifität einer Art zuordnen kann. Zusätzlich sei sie eine benutzerfreundliche, zuverlässige und kostengünstige Alternative zu herkömmlichen Methoden wie Massenspektrometrie, sagt der Wissenschaftler. Für die Weiterentwicklung stehen Sensoren im Fokus, die schneller regenerieren und dann erneut Gerüche aufnehmen können. Weiterhin konzentrieren sich die Forschenden vom IFG auf MOF-Materialien, um diese für andere Anwendungsbereiche wie beispielsweise für die künstliche Geruchserfassung in der medizinischen Diagnostik auszugestalten. (ase)

Originalpublikation:
Salih Okur, Mohammed Sarheed, Robert Huber, Zejun Zhang, Lars Heinke, Adnan Kanbar, Christof Wöll, Peter Nick, Ulrich Lemmer: Identification of Mint Scents Using a QCM Based E-Nose. Chemosensors.

Externer Link: www.kit.edu

Autonomer Wasserroboter rettet Ertrinkende

Presseinformation (Forschung Kompakt) der Fraunhofer-Gesellschaft vom 01.03.2021

In deutschen Schwimmbädern fehlen ausgebildete Bademeister. Vielerorts führt der Fachkräftemangel sogar zu Schließungen. Abhilfe könnte ein schwimmender Rettungsroboter schaffen, der das Personal künftig bei Notfällen unterstützen soll. Ein Forscherteam des Fraunhofer-Instituts für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB in Ilmenau hat das Unterwasserfahrzeug mithilfe des Wasserrettungsdienstes Halle e.V. entwickelt.

Fast 420 Menschen sind nach Angaben der Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft DLRG im Jahr 2019 ertrunken. Die meisten davon verloren ihr Leben in Binnengewässern. Aber auch in Schwimmbädern kam es zu Unfällen mit tödlichem Ausgang. Ein Grund dafür sind die fehlenden ausgebildeten Bademeister, die die Bäder sichern – und das in ganz Deutschland. Auch dem DLRG mangelt es an Nachwuchs bei Rettungsschwimmern. Abhilfe schaffen will ein Forscherteam des Institutsteils für Angewandte Systemtechnik AST des Fraunhofer IOSB. Ein weltweit einzigartiger Wasserroboter soll Bademeistern und Rettungsschwimmern zur Seite stehen und Schwimmende in Not retten. Bei der Entwicklung des autonomen Systems nutzen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre jahrelange Expertise im Bereich der Unterwasserrobotik. Mit DEDAVE haben sie bereits ein mehrfach prämiertes autonomes Unterwasserfahrzeug entwickelt.

»Es gibt typische Körperpositionen, an denen man erkennt, dass sich jemand in Gefahr befindet«, erklärt Informatiker Helge Renkewitz, der das abgeschlossene Projekt in enger Zusammenarbeit mit dem Wasserrettungsdienst Halle e.V. geleitet hat. Das Vorhaben wurde vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie BMWi gefördert. An der Hallendecke angebrachte Überwachungskameras registrieren die Bewegungsmuster und Position des Ertrinkenden im Becken und senden die Koordinaten an den Roboter. Dieser befindet sich, vor fremden Augen geschützt, in einer Dockingstation am Boden des Schwimmbeckens, die sich im Notfall öffnet. Hat das Fahrzeug sein Ziel erreicht, ortet es mithilfe von Kameras die gefährdete Person und befördert diese an die Wasseroberfläche. Eine Fixier- und Fangvorrichtung verhindert, dass leblose Körper beim Auftauchen herunterrutschen. Diese Vorrichtung lässt sich auch auf andere Unterwasserfahrzeuge montieren.

Tests im Freigewässer erfolgreich abgeschlossen

An Badeseen übernehmen Flugdrohnen und Zeppelinsysteme die Aufgabe der Überwachungskameras. »Diese Drohnen und Werbeballons lassen sich problemlos mit Kameras ausstatten«, sagt Renkewitz. Für die Rettung im Badesee, wo das Wasser trübe ist, muss das Unterwasserfahrzeug anstelle von optischen mit akustischen Sensoren ausgestattet sein. Mithilfe des Echos der Schallwellen lassen sich Lage und Ausrichtung von Personen so exakt bestimmen, dass der Roboter die Zielperson autonom ansteuern und aufnehmen kann.

Dass dies in der Praxis einwandfrei funktioniert, konnten die Forscher in Freiwasser-Tests im Hufeisensee bei Halle (Saale) eindrucksvoll demonstrieren: Ein in drei Metern Tiefe abgelassener, 80 Kilo schwerer Dummy wurde von dem Rettungsroboter aufgenommen, fixiert, innerhalb einer Sekunde an die Wasseroberfläche befördert und auf dem kürzesten Weg eine Strecke von 40 Metern zurück zum Ufer gebracht, wo bereits die Rettungskräfte warteten. Ein Signal alarmiert diese sofort, wenn der Roboter über einen Notfall informiert wird. »Die komplette Rettungsaktion dauerte gut zwei Minuten. Verunglückte müssen innerhalb von fünf Minuten reanimiert werden, um dauerhafte Schäden auszuschließen. Diese kritische Zeitspanne konnten wir problemlos einhalten«, sagt Renkewitz.

Futuristische Optik

Das aktuelle System, das mit Batterien, Antrieb, Kameras, optischen und Navigationssensoren ausgestattet ist, misst 90 Zentimeter in der Länge, 50 Zentimeter in der Höhe und 50 Zentimeter in der Breite. Ziel von Renkewitz‘ Team ist es, das Rettungssystem weiter zu miniaturisieren und in verschiedenen Versionen für den Einsatz in Schwimmbädern und im Binnengewässer zu bauen. Es soll kleiner, leichter und kostengünstiger ausfallen als der bisherige Prototyp, der auf einem bereits existierenden Unterwasserfahrzeug basiert. Der künftige Roboter soll stattdessen das stromlinienförmige Design eines Rochen haben.

Der Wasserroboter ist bereits zum Patent angemeldet. In modifizierten Versionen kann er weitere Aufgaben übernehmen – etwa bei Offshore- und Staumauerinspektionen oder in Fischfarmen, um die Gesundheit der Fische zu überwachen. »Der Anwendungsbereich ist breit gestreut, unsere Unterwasserfahrzeuge eignen sich beispielsweise auch für das Aufspüren und die Prüfung von archäologischen Funden am Boden von Gewässern«, so der Forscher.

Externer Link: www.fraunhofer.de

Hartmagnetische Schichten für die hochpräzise Mikroskopie

Presseinformation (Forschung Kompakt) der Fraunhofer-Gesellschaft vom 04.01.2021

Im Kampf gegen das Coronavirus kommt der Mikroskopie ein besonderer Stellenwert zu: Spezial-Mikroskope sind ein unverzichtbares Hilfsmittel bei der Darstellung kleinster Zellstrukturen. Sie helfen, die Entwicklung von Impfstoffen und Therapien voranzutreiben. Dabei sind die Anforderungen an die optische Auflösung der Mikroskope und die Präzision der Mikroskoptische enorm. Hartmagnetische Schichten des Fraunhofer-Instituts für Schicht- und Oberflächentechnik IST tragen dazu bei, kleinste Zellstrukturen sehr schnell und genau zu erfassen.

Mikroskop- und Labortechnik sind ein unverzichtbares Hilfsmittel im Kampf gegen Viren und Bakterien. Sie unterstützen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei der Suche nach Impfstoffen und Therapien, etwa gegen SARS-CoV-2. Am Fraunhofer IST in Braunschweig entwickeln Forscherinnen und Forscher hartmagnetische CoSm-Schichten (kurz für Kobalt-Samarium) für magnetische Maßstäbe. Diese Bänder werden in den Mikroskoptischen der Dr. ITK Kassen GmbH eingesetzt. Im Zusammenspiel mit Sensoren und einem Auswertealgorithmus erhöhen sie die Positioniergenauigkeit des Mikroskoptischs, auf dem die Probe zur Beobachtung abgelegt wird. »Biologisches Material wie Zellen können sich bewegen, daher muss ich Positionen bis auf den Mikrometer präzise anfahren können«, sagt Dr. Ralf Bandorf, Wissenschaftler am Fraunhofer IST. Die Mikroskoptische, die mit der magnetischen Positionierung arbeiten, lassen sich sehr kompakt bauen – sie werden in Mikroskopen von namhaften Herstellern wie Leica oder Zeiss eingesetzt. Die CoSm-Schichten wurden in enger Zusammenarbeit mit dem Industriepartner entwickelt.

Positionsauflösung im Nanometerbereich

Das Team rund um Dr. Bandorf bringt die CoSm-Schichten auf unmagnetische Metallbänder auf, sprich diese erhalten eine definierte magnetische Struktur bzw. Funktionsschicht, die sich mit einem Signalmuster codieren und per Sensor auslesen lässt, um eine Positionsbestimmung vornehmen zu können. »Im Zusammenspiel mit den integrierten Sensoren, die die Signale auslesen, ermöglichen unsere Schichten das Anfahren von Positionen bis auf fünf Nanometer genau«, so der Ingenieur. Die Tische ermöglichen durch das integrierte Messsystem eine Absolutbestimmung der Position, ohne Referenzierung. Wiederholgenauigkeiten von plus/minus 100 Nanometer sind erreichbar. Dies ist besonders bei der Untersuchung von lebenden Objekten wichtig, wo die Untersuchungszeit oftmals knapp und ein schnelles Positionieren daher essentiell ist.

Die Schichten ersetzen galvanische Kobaltschichten, für die umweltschädliche Chemikalien benötigt werden. Sie zeichnen sich durch ihre Robustheit und Langlebigkeit sowie durch besonders gute magnetische Eigenschaften aus: Sie ermöglichen ein stärkeres magnetisches Signal und berührungsloses Messen. Auch kann man in geschlossenen Bauteilen wie etwa Hydraulikzylindern messen, an die optische Systeme nicht gelangen.

Anders als reine Kobaltschichten sind die CoSm-Schichten nicht so leicht ummagnetisierbar und unempfindlich gegenüber Störfeldern. Außerdem lassen sich sehr feine Schichtdicken erzielen. Darüber hinaus erlauben sie auch das Messen in verschmutzten Bereichen. Aber auch Winkelpositionen und Radialbewegungen lassen sich messen. Dies ist in Robotikanwendungen relevant – etwa in der Automobilbranche. »Bringt man eine kompakte CoSm-Schicht direkt auf das Bauteil wie ein Kugellager auf, kann man zusätzliche Informationen erhalten«, erklärt Bandorf. Auch im Bereich der Elektromobilität steigt die Nachfrage nach hochgenauen magnetischen Messsystemen.

Umweltfreundliches Beschichtungsverfahren

Die CoSm-Schichten werden mit einer am IST entwickelten Technologie, dem Hohlkathoden-Gasfluss-Sputtern, einem Vakuumbeschichtungsverfahren hergestellt. Anders als bei galvanischen Verfahren kommen hier keine Schadstoffe zum Einsatz.

Externer Link: www.fraunhofer.de

Krebserkrankungen über die Atemluft erkennen

Presseinformation (Forschung Kompakt) der Fraunhofer-Gesellschaft vom 01.12.2020

Unsere Atemluft enthält Informationen, die sich für die Diagnostik von Krankheiten nutzen lassen. Forscherinnen und Forscher am Fraunhofer-Projektzentrum für Mikroelektronische und Optische Systeme für die Biomedizin MEOS entwickeln Lösungen, die künftig die Analyse der Atemluft ermöglichen. Bei ihren Forschungsarbeiten fokussieren sie sich auf das frühzeitige Erkennen von Krebserkrankungen. Aber auch die Unterscheidung zwischen COVID-19 und anderen Atemwegsinfektionen ist denkbar.

Manche Krankheiten kann man riechen. Ein leicht süßlich-fruchtiger Acetongeruch etwa deutet auf Diabetes hin. Bereits im antiken Griechenland berichteten Ärzte, Krankheiten im ausgeatmeten Atem zu erkennen. Die charakteristischen Gerüche entstehen durch spezifische flüchtige organische Verbindungen (VOC). Diese werden durch die erkrankten Gewebe oder die Krankheitserreger selbst freigesetzt, noch bevor Symptome auftreten.

Die Ausatemluft – Fingerabdruck des menschlichen Stoffwechsels

»Bei einer Vielzahl von Erkrankungen verändert sich die Zusammensetzung der flüchtigen organischen Spurengase in der Atemluft, die als Biomarker verwendet werden können. Oftmals sind es Kombinationen aus mehreren Spurengasen in einer deutlich erhöhten oder deutlich erniedrigten Konzentration, die charakteristisch für eine bestimme Krankheit sind. Man spricht hier auch von einem VOC-Fingerprint oder einem Muster an VOCs«, erläutert Dr. Jessy Schönfelder, Wissenschaftlerin am Fraunhofer MEOS. Am Projektzentrum in Erfurt arbeiten die Fraunhofer-Institute für Zelltherapie und Immunologie IZI, für Photonische Mikrosysteme IPMS und für Angewandte Optik und Feinmechanik IOF interdisziplinär zusammen.

Solche Marker-Kombinationen gibt es für sehr viel mehr Krankheiten als bisher bekannt. Sie müssen Stück für Stück entschlüsselt werden. Darin bestehe auch die Herausforderung für die Chemikerin und ihr Team. Sie entwickeln ein spezielles Ionenmobilitätspektrometer (IMS), um solche Muster an VOCs zu erkennen. Keine leichte Aufgabe, bedenkt man, dass jeder Mensch etwa 200 VOCs in der Atemluft hat. Im Mittelpunkt der Forschung stehen Krebsleiden, insbesondere Lungenkrebs.

Ziel des Forscherteams am Fraunhofer MEOS ist es, mit der neuen Technologie eine große Bandbreite an Biomarkern zu detektieren. Künftig wollen die Forscher das Messsystem auch zum Unterscheiden von COVID-19 und anderen Atemwegsinfektionen nutzen. Es kommt auch im Fraunhofer Clusterprojekt M3Infekt zum Einsatz, das die Entwicklung eines modularen, multimodalen und mobilen Monitoringsystems zum schnellen Eingreifen bei plötzlichen Zustandsverschlechterungen von COVID-19 Patienten zum Inhalt hat. Des weiteren soll die Atemanalytik künftig erste Hinweise auf neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer liefern – und zwar früher und angenehmer als bisherige Methoden wie die Blutabnahme – schließlich muss der Patient nur in ein Röhrchen pusten.

»Das Potenzial der Atemluftsensorik ist groß. Die nicht invasive IMS-Technologie ist sensitiv und selektiv, schnell, kostengünstig und zudem klein und mobil, sodass sie problemlos in Arztpraxen und Krankenhäusern eingesetzt werden kann. Das fertige System wird die Größe eines Schuhkartons haben«, sagt Schönfelder.

FAIMS-Chip mit alternierender Spannung

Herzstück des neuartigen Ionenmobilitätsspektrometers ist ein miniaturisierter FAIMS-Chip (High Field Asymmetric Ion Mobility Spectrometry). Das MEMS-Bauelement umfasst einen Ionenfilter und einen Detektor. Eine UV-Lampe komplettiert das Gerät. Zunächst werden die VOCs in einem Trägergasstrom in das Spektrometer gepumpt, wo sie im nächsten Schritt mit Hilfe des UV-Lichts ionisiert werden. Das heißt, sie werden zu geladenen Molekülen. »Diese leiten wir an den FAIMS-Chip weiter, der am Fraunhofer IPMS entwickelt wurde. Anschließend legen wir an die Filterelektroden eine alternierende Spannung an. Durch das Einstellen der Spannung am Filter kann man auswählen, welche VOCs zum Detektor gelangen. Auf diese Weise erhalten wir unser VOC-Fingerprint, anhand dessen wir die Erkrankung erkennen können«, erklärt Schönfelder das Verfahren.

Derzeit arbeitet das Forscherteam an einer optimierten elektronischen Steuerung und einer verbesserten Probenentnahme und -Probenführung. Referenzmessungen an Zellkulturen wurden erfolgreich durchgeführt, weitere Untersuchungen mit humanen Proben aus der Klinik sind geplant. Am Fraunhofer IZI konnten in einem abgeschlossenen Projekt bereits sieben verschiedene Bakterienstämme mit einer ähnlichen Technologie unterschieden werden.

Darüber hinaus sollen eigens entwickelte KI-Algorithmen die Auswertung der VOC-Fingerprints erleichtern. »Pro Messung erhalten wir eine halbe Million Messwerte. Diese hohe Datenmenge wollen wir per Machine Learning auswerten«, so die Forscherin. Der Algorithmus wird mit Proben von gesunden Probanden und Krebspatienten trainiert. Das Messergebnis liegt innerhalb weniger Minuten vor. »Wir können uns auch vorstellen, dass unser Ionenmobilitätspektrometer in Zukunft zum Screening von Fluggästen eingesetzt wird, um zu prüfen, ob sie mit dem Coronavirus infiziert sind«, so die Chemikerin.

Externer Link: www.fraunhofer.de