Mit biologischen Abfällen zu nachhaltigen Batterien

Presseinformation des KIT (Karlsruher Institut für Technologie) vom 20.01.2016

Forscher entwickeln neuartige, kostengünstige und leistungsstarke Aktivmaterialien für Natrium-basierte Energiespeicher / Veröffentlichung in Advanced Energy Materials und ChemElectroChem

Ein kohlenstoffbasiertes Aktivmaterial, das aus Apfelresten gewonnen wird, und ein Material aus Schichtoxiden könnten helfen die Kosten für zukünftige Energiespeicher zu senken. Beide zeigen exzellente elektrochemische Eigenschaften und stehen für umweltfreundliche und nachhaltige Nutzung von Ressourcen. In den Zeitschriften „ChemElectroChem“ und „Advanced Energy Materials“ stellen Forscher des Helmholtz-Instituts Ulm des Karlsruher Instituts für Technologie die neuen Materialien vor.

Natrium-Ionen-Batterien sind nicht nur deutlich leistungsstärker als Systeme wie Nickel-Metallhydrid- oder Bleisäure-Akkumulatoren, sondern repräsentieren auch eine Alternative zur Lithium-Ionen-Technologie, da ihre Ausgangsrohstoffe weit verbreitet, einfach zugänglich und kostengünstig sind. Daher sind Natrium-Ionen-Batterien eine äußerst vielversprechende Technologie für stationäre Energiespeicher, welche eine zentrale Rolle in der Energiewende einnehmen und damit einen äußerst attraktiven Markt in der Zukunft darstellen.

In der Entwicklung von Aktivmaterialien für Natrium-basierte Energiespeichersysteme ist dem Team um Professor Stefano Passerini und Dr. Daniel Buchholz am Helmholtz-Institut Ulm des Karlsruher Instituts für Technologie nun ein bedeutender Schritt gelungen. Für die negative Elektrode wurde ein kohlenstoffbasiertes Material entwickelt, welches aus Apfelabfällen gewonnen werden kann und exzellente elektrochemische Eigenschaften besitzt. Über 1000 Lade- und Entladezyklen mit hoher Zyklenstabilität und hoher Kapazität konnten bisher demonstriert werden. Diese Entdeckung stellt einen wichtigen Schritt zur nachhaltigen Nutzung und Verwertung von Ressourcen wie beispielsweise biologischer Abfälle dar.

Für die positive Elektrode wurde ein Material entwickelt, welches aus verschiedenen Schichten von Natriumoxiden besteht. Dieses Aktivmaterial kommt völlig ohne das teure und umweltschädliche Element Cobalt aus, welches heutzutage häufig noch immer ein wichtiger Bestandteil in Aktivmaterialien von kommerziellen Lithium-Ionen-Batterien ist. Das neue Aktivmaterial, in dem die eigentliche elektrochemische Speicherung von Energie stattfindet, kann im Labor ohne Kobalt über Hunderte Zyklen die gleichen Leistungsdaten erreichen, wenn es um Effizienz, Zyklenstabilität, Kapazität sowie Spannung geht.

Mit diesen Materialien ist nun ein wichtiger Schritt hin zur Entwicklung kostengünstiger und umweltfreundlicher Natrium-Ionen-Batterien gemacht worden. (dm)

Publikationen:

„Apple Biowaste-Derived Hard Carbon as a Powerful Anode Material for Na-Ion Batteries“ ChemElectroChem, doi: 10.1002/celc.201500437

“Layered Na-Ion Cathodes with Outstanding Performance Resulting from the Synergetic Effect of Mixed P- and O-type Phases” Advanced Energy Materials, doi: 10.1002/aenm.201501555

Externer Link: www.kit.edu

Für Flüchtlinge stellen Saarbrücker Informatik-Studenten soziales Netzwerk zum Sprachenlernen bereit

Pressemitteilung der Universität des Saarlandes vom 18.01.2016

Rund eine Millionen Asylsuchende sind nach aktuellen Zahlen im vergangenen Jahr nach Deutschland gekommen. Dass sie Deutsch lernen, gilt als Voraussetzung, um sie erfolgreich in die Gesellschaft zu integrieren. Oft bleiben die Asylbewerber und Einwanderer jedoch außerhalb der Unterrichtsstunden unter sich und haben wenig Gelegenheit und Anreiz, das Gelernte anzuwenden.  Das wollen nun zwei Informatik-Studenten der Universität des Saarlandes ändern. Zusammen mit dem Verein „Wir helfen jetzt“ bieten sie deutschen Muttersprachlern und Ausländern ein soziales Netzwerk zum gemeinsamen, kostenlosen Sprachenlernen an.

Laut dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge können Asylbewerber und andere Personen mit Bleibeperspektive Integrationskurse besuchen. Diese bestehen aus einem Sprach- und Orientierungskurs, in privaten und öffentlichen Sprachschulen, gehalten von speziellen Lehrkräften. Jedoch bleiben die Asylsuchenden beim Lernen und beim Üben meist unter sich und haben wenig Kontakt zu deutschen Muttersprachlern. „Genau hier setzen wir an“, sagt Patrick Carroll, der gerade den Masterstudiengang „Language Science and Technology“ an der Universität des Saarlandes abschließt. Zusammen mit Christian Faber, Informatik-Student an der Saar-Uni, hat er die Online-Plattform „SpeaQwith.me for Refugees“ realisiert. Mit dieser adaptieren sie die bekannte Sprachlernmethode „Tandem“ – zwei Personen mit unterschiedlicher Muttersprache bringen sich gegenseitig die jeweilig fremde Sprache bei – für das Online-Lernen und die Belange von Asylsuchenden und Einwanderern. Diese und deutsche Muttersprachler können sich auf der Online-Plattform anmelden und per Textnachrichten in Echtzeit (Chat) oder über Videokonferenz miteinander reden. „So steht nicht nur das Erlernen der deutschen Sprache im Vordergrund“, sagt Christian Faber, „sondern auch der kulturelle Aspekt“. Damit strebe „SpeaQwith.me for Refugees“ die gleichen Ziele wie die Integrationskurse der Bundesregierung an, allerdings sei der Zugang einfacher und das Betreuungsverhältnis besser, so Faber.

Um sicherzustellen, dass auch jeder Teilnehmer seinen virtuellen Tandempartner findet, kann man auf der Plattform seine Interessen angeben. Ähnlich wie bei Partnerbörsen bringt die Plattform dann gezielt Muttersprachler und Sprachschüler mit den gleichen Vorlieben zusammen. Dieses „Matching“ wird auf die Personen angewandt, die gerade online sind. Spontane Hilfe ist so möglich. „Wir versuchen damit, die Hürde für ein Ehrenamt zu senken. Wenn ich abends eine Stunde Zeit habe, dann helfe ich eben mal, indem ich online als Konversationspartner oder gar Sprachlehrer auftrete“, erklärt Faber. Nach einer Chat-Session oder einem Videogespräch kann jeder Teilnehmer das Gespräch bewerten und auch Beleidigungen und „unangemessene Darstellungen“ melden. „So etwas gehört zum Standard bei Videochats seit den negativen Erfahrungen etwa bei der 2009 ins Leben gerufenen Seite Chatroulette“, berichtet Faber.

Die Idee zu der Plattform stammt von Patrick Carroll, der als eingewanderter US-Amerikaner die Lernproblematik am eigenen Leib spürte. „Damals habe ich mich aufgrund der klassenzimmer-ähnlichen Paukerei nach einer lockeren, natürlichen Konversation geradezu gesehnt“, so Carroll. Auf dem „Startup Weekend“, das der Saarbrücker IT-Inkubator im Mai 2015 federführend organisierte, hatte er deswegen seine Idee vorgestellt und Christan Faber als Mitstreiter gewonnen. Nach dem Wochenende standen nicht nur ein erster Prototyp und ein grober Geschäftsplan fest, sondern es gab auch lobende Rückmeldungen von den Juroren. Dadurch bestärkt haben die beiden Informatik-Studenten sich auch für das von der Bundesregierung finanzierte Gründerstipendium „Exist“ beworben. „Eigentlich wollten wir dafür bis kommenden August ganz entspannt den Prototyp entwickeln, aber dann wurde die Flüchtlingskrise offenbar “, erklärt Carroll.

An der Gründung werden die beiden Informatik-Studenten der Saar-Uni festhalten. Allerdings werde man dazu den derzeitigen Prototypen erheblich weiterentwickeln. So soll nicht nur das Matching zwischen den Gesprächspartnern mit Hilfe von Ansätzen aus der Künstlichen Intelligenz wesentlich verbessert werden, sondern auch ein intelligentes Tutorensystem die Gesprächsqualität verbessern. Das Geschäftsmodell für die künftige Version der Plattform existiert schon: Als Lernender muss man nichts bezahlen, solange man dafür im Austausch selber in die Lehrer-Rolle schlüpft und sich sogenannte Credits erarbeitet. „Wer jedoch dazu keine Zeit oder keine Lust hat, kann sich die Credits und andere Features einfach kaufen“, so Carroll.

Technischer Hintergrund zu „SpeaQwith.me for Refugees“

SpeaQwith.me ist als eine „reponsive Web-App“ konzipiert. Sie ist daher auf allen Geräten (PC, Smartphone, Laptop, Tablet-Rechner) unabhängig vom Betriebssystem verfügbar. Für den Video-Chat verwendet es „Web-RTC“. Dies ist ein neuartiger Webstandard zur Kommunikation in Echtzeit. Er erlaubt es, den Video-Chat im Browser zwischen den einzelnen Gesprächspartnern herzustellen. Auf diese Weise wird auch die Privatsphäre der einzelnen Personen geschützt. Um den Gesprächsfluss zu unterstützen, verwendet SpeaQwith.me ein automatisches Tutorensystem, das Themen vorschlägt und eine Übersetzungshilfe anbietet.

Externer Link: www.uni-saarland.de

Was das Mäuseauge dem Mäusegehirn erzählt

Pressemitteilung der Universität Tübingen vom 06.01.2016

Tübinger Neurowissenschaftler zeigen, wie die Netzhaut Informationen ans Gehirn sendet: Bilder werden bereits im Auge ausführlicher interpretiert als bislang angenommen

Bilder werden im Auge wesentlich umfassender verarbeitet und interpretiert als bisher bekannt. Tübinger Wissenschaftler haben in einer Studie die Kanäle untersucht, über die Informationen aus dem Auge ins Gehirn geleitet werden. Dabei identifizierten sie zahlreiche neue Zelltypen und stellten zudem fest, dass die Netzhaut über bis zu 40 verschiedene Kanäle ins Gehirn verfügen dürfte – doppelt so viele wie bislang angenommen. Die Ergebnisse werden im renommierten Fachjournal „Nature“ veröffentlicht. DOI: 10.1038/nature16468

„Was das Froschauge dem Froschgehirn erzählt“ überschrieb 1959 der Kognitionswissenschaftler Jerome Lettvin einen bahnbrechenden Aufsatz. Seine Annahme: Das Gesehene wird nicht erst im Gehirn, sondern bereits im Auge verarbeitet. Lettvin konnte zeigen, dass das Auge nicht nur wie eine Kamera Bilder aufnimmt und ungefiltert ins Gehirn weiterleitet. Vielmehr werden bereits im Auge wichtige Informationen gewonnen, beispielsweise im Falle des Frosches: „Dort ist etwas Kleines, Dunkles, vielleicht eine Fliege“. Seine Thesen waren so revolutionär, dass Lettvin zunächst ausgelacht wurde. Mittlerweile aber gilt sein vielzitierter Aufsatz als Meilenstein, die damals gestellten Fragen beschäftigen die Wissenschaft noch heute.

So auch das Tübinger Forscherteam um Professor Thomas Euler und Professor Matthias Bethge vom Werner Reichardt Centrum für Integrative Neurowissenschaften der Universität Tübingen, dem Bernstein Center for Computational Neuroscience und dem Forschungsinstitut für Augenheilkunde des Universitätsklinikums Tübingen: Die Neurowissenschaftler wollten wissen, welche Informationen über die Welt die Retina (Netzhaut) vom Auge ins Gehirn sendet. Dazu untersuchten sie in einer großangelegten Studie über 11.000 einzelne Netzhaut-Zellen in Mäusen. Die bisher größte Studie dieser Art hatte ca. 450 Zellen umfasst.

Durch eine Kombination modernster experimenteller Methoden untersuchten die Forscher sogenannte retinale Ganglienzellen (retinal ganglion cells, RGCs): Sie nutzten Elektroporation, eine Färbetechnik, durch die man ganze Populationen von Nervenzellen unter dem Mikroskop sichtbar machen und dann einzelnen Zellen in Echtzeit „bei der Arbeit“ zusehen kann. Dazu kamen neue Verfahren zur Analyse der großen Datenmengen. Die Wissenschaftler interessierten sich dabei vor allem für die verschiedenen Funktionen der Zellen: Unterschiedliche Ganglienzellen reagieren auf unterschiedliche Eigenschaften der gesehenen Bilder und schicken diese Informationen über getrennte Kanäle ans Gehirn, die jeweils für Kontrast, Farbe, Bewegungsrichtung, die Lage von Kanten und ihrer Orientierung etc. zuständig sind. Aus diesen Informationskanälen baut das Gehirn dann unser Bild von der Welt. Die Wissenschaftler testeten Nervenzellreaktionen auf verschiedene einfache Bilder und bewegte optische Reize.

Das Forscherteam konnte anhand dieser funktionalen Unterscheidung bis zu 40 verschiedene Typen von Ganglienzellen in der Netzhaut zuordnen, die sehr wahrscheinlich ebenso viele Informationskanäle repräsentieren. Bislang war man von maximal 20 Typen ausgegangen. Die Ergebnisse aus dem Mausmodell lassen sich zwar nicht eins zu eins auf den Menschen übertragen – die Retina ist aber bei allen Säugetieren sehr ähnlich aufgebaut.

Die Vielzahl an Informationskanälen weist darauf hin, dass die Netzhaut die aufgenommenen Lichtsignale nicht nur in Nervenzellsignale umwandelt, sondern bereits wichtige Interpretationsarbeit leistet. Mit ihrer grundlegenden Arbeit sind die Tübinger Wissenschaftler dem Verständnis, wie die Interpretation von Bildern im Gehirn erfolgt, einen Schritt näher gekommen. Da viele Erkrankungen, die den Sehsinn einschränken, nur bestimmte Zelltypen in der Retina oder bestimmte Informationskanäle betreffen, können die Erkenntnisse auch dazu beitragen, gezielte Therapien zu entwickeln. Auch die – gerade in Tübingen – seit einigen Jahren voranschreitende Forschung an prothetischer Implantattechnologie (Retina-Implantat), die eines Tages Blinde sehend machen könnte, kann derartige Beobachtungen nutzen. Bisherige Modelle stimulieren die Netzhaut relativ unspezifisch, mit Hilfe der neuen Erkenntnisse könnten künftige Versionen gezielt visuelle Informationen in die passenden Kanäle einspeisen.

Publikation:
Tom Baden, Philipp Berens, Katrin Franke, Miroslav Román Rosón, Matthias Bethge, Thomas Euler: “The Functional Diversity of Retinal Ganglion Cells in the Mouse.” Nature (im Druck). Januar 2016. DOI: 10.1038/nature16468

Externer Link: www.uni-tuebingen.de

technologiewerte.de – MOOCblick Januar 2016

Spannende Themen, herausragende Dozenten und flexible Lernmöglichkeiten tragen zum wachsenden Erfolg der Massively Open Online Courses (MOOCs) bei – offene, internetgestützte Kurse mit einer Vielzahl an Teilnehmern rund um den Globus.

Folgender Kurs – zu finden auf der MOOC-Plattform edX – sollte einen Blick wert sein:

Becoming an Entrepreneur
Laurie Stach (MIT)
Start: 25.01.2016 / Arbeitsaufwand: 6-18 Stunden

Externer Link: www.edx.org

Werkzeuge für den Trinkwasserschutz

Presseinformation (Forschung Kompakt) der Fraunhofer-Gesellschaft vom 04.01.2016

An die Qualität des Trinkwassers stellen wir hohe Anforderungen: Würden Krankheitserreger und Giftstoffe ins Leitungsnetz gelangen, könnten sie rasch viele Menschen infizieren und schädigen. Daher muss dieses Risiko gering gehalten werden. Experten haben Technologien für ein umfassendes Monitoring, Frühwarn- und Notfallmanagement-System entwickelt.

Trinkwasser ist für jeden Menschen unverzichtbar. Stadtwerke und Wasserbetriebe müssen die Versorgungsnetze vor Verunreinigungen, aber auch vor möglichen Manipulationen schützen. Täglich entnehmen sie Proben und untersuchen die Qualität des Trinkwassers. Doch die Analyse im Labor ist zeitaufwendig. Für die fortlaufende Überwachung sind Methoden und Tools erforderlich, die vorbeugen, Kontaminationen schnell erkennen und auch unerwartete toxische Substanzen erfassen. Schon wenige Tropfen können verheerende Folgen haben: Giftstoffe, die ins Trinkwasser gelangen, erreichen innerhalb weniger Stunden Millionen Verbraucher. »Um die Bevölkerung zu schützen, muss man die Gefahrenstoffe möglichst schnell entdecken und wissen, wie sie sich ausbreiten«, erklärt Dr. Thomas Bernard, Spezialist für Strömungsmodelle am Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB in Karlsruhe. Im deutsch-französischen Projekt »SMaRT-OnlineWDN« (Online Security Management and Reliability Toolkit for Water Distribution Networks) haben der Wissenschaftler und sein Team gemeinsam mit Partnern aus Industrie und Forschung Werkzeuge entwickelt, die Wasserversorger in die Lage versetzen, rasch zu reagieren und im Notfall Gegenmaßnahmen zum Schutz der Bevölkerung einzuleiten. Das Vorhaben wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung BMBF und der französischen L‘Agence Nationale de la Recherche ANR gefördert. Koordinator waren die Berliner Wasserbetriebe.

Online-Simulation berechnet Weg des Wassers

Ein mathematisches Modell zur Simulation der Hydraulik des Trinkwasserversorgungsnetzes und der Ausbreitung von Qualitätsparametern im Rohrleitungssystem übernimmt gleich mehrere Aufgaben: Auf Basis zahlreicher Simulationen lässt sich ermitteln, wo Sensoren optimalerweise platziert werden, um Verschmutzungen frühzeitig zu erkennen. Darüber hinaus hilft das Online-Simulationsmodell bei einem Alarm, die die Quelle der Verunreinigung einzugrenzen. Hierfür entwickelten die Forscher einen Algorithmus, der die Quelle der Kontamination lokalisiert und ermittelt, wohin sich die Verunreinigung in den nächsten Stunden ausbreiten wird. Doch den Weg des Wassers und somit den Weg der toxischen Stoffe zu berechnen und vorherzusagen, war auch für den Fraunhofer-Experten Bernard eine diffizile Aufgabe: In einem Trinkwassernetz ist die Strömung nicht überall gleich: »Sie ändert sich abhängig vom Druck in den Leitungen, dem Durchmesser und der Geometrie der Rohre sowie der Zahl der Verbraucher. Dort, wo sich das Leitungssystem verzweigt, bilden sich häufig Turbulenzen und chaotische Strömungen.«

Tests im Technologiezentrum Wasser TZW in Dresden, wo ein komplexes Leitungsnetz aus Plexiglas aufgebaut ist, halfen Bernard und seinen französischen Partnern, ein lernfähiges Detektionsmodul zu etablieren. Im Dresdner Zentrum registrieren Sensoren die Bewegung des Wassers. Mit Hilfe der Messwerte konnte der Physiker seine Computersimulationen optimieren. Das Ziel: die Bewegung des Wassers im Leitungssystem ganzer Städte zu berechnen – in Echtzeit. »Nur wenn solche Simulationen präzise und schnell genug sind, helfen sie den Versorgungsunternehmen, im Notfall die richtigen Entscheidungen zu treffen«, so der Leiter der Gruppe.

Alarm nur im Notfall

Eine lernfähige Software berücksichtigt aktuelle Messwerte wie die Trübung, die Temperatur, den Druck, den Chlor- und Sauerstoffgehalt, den pH-Wert und die bakterielle Belastung des Wassers. Werden kritische Werte erreicht, schlägt das System nicht sofort Alarm, sondern sucht zuerst nach möglichen Ursachen: Wurde gerade eine andere Wasserquelle angezapft? Eine Pumpe geöffnet oder heruntergefahren? »Mehr als 90 Prozent aller Anomalien gehen auf veränderte Betriebszustände zurück und sind kein Grund zur Beunruhigung«, erläutert Bernard.

Das neue System ist in Straßburg bereits im Einsatz und überwacht in Echtzeit die Wasserqualität im Netz. Die Datenbasis liefern hydraulische und Wasserqualitätssensoren im Leitungsnetz, die erfassten Daten werden an ein Leitsystem gesendet. Im Notfall lassen sich Gegenmaßnahmen ableiten, wie das Ausspülen von kontaminiertem Wasser oder das Absperren von Teilen des Versorgungsnetzes.

Kontrolle durch Monitoring-Plattform

Künftige Modelle sollen noch mehr können: Im deutsch-französichen Projekt »ResiWater« arbeiten die Forscher vom IOSB an einer besseren IT-Sicherheit von Trinkwassersystemen und an einem verbesserten Alarmgenerierungs-Modul. Künftig soll es neben den Straßburger auch die Pariser Trinkwasserleitungen kontrollieren. Den Fokus legen die Projektpartner darüber hinaus auf eine Monitoring-Plattform, die die unzähligen Sensordaten übersichtlich darstellt, visualisiert, speichert und automatisierte Reports generiert, sodass beispielsweise Schwankungen der Wasserqualität regelmäßig zusammengefasst werden.

Auch die Weiterentwicklung von Sensoren treiben die Partner im Projekt ResiWater voran. Hier bringt etwa das Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB sein Know-how ein: Die Stuttgarter Forscher arbeiten seit vielen Jahren an einem Biosensor AquaBioTox aus lebenden Zellen, die fluoreszieren. Bei Kontakt mit toxischen Stoffen verringern die Bakterien die Intensität der Fluoreszenz. Im Projekt ResiWater soll der AquaBioTox-Prototyp vollautomatisiert werden.

Externer Link: www.fraunhofer.de