Batterien: Wichtiges Rätsel der Passivierungsschicht gelöst

Presseinformation des KIT (Karlsruher Institut für Technologie) vom 07.03.2023

Forschende des KIT charakterisieren mithilfe von Simulationen die chemischen Vorgänge an den Elektroden von Lithium-Ionen-Batterien

Lithium-Ionen-Batterien sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Sie funktionieren nur mit einer Passivierungsschicht, die sich beim ersten Ladevorgang an den Elektroden bildet. Wie Forschende am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) nun anhand von Simulationen festgestellt haben, entsteht diese Feststoff-Elektrolyt-Grenzphase nicht direkt an der Elektrode, sondern wächst aus dem Lösungsmittel. Über ihre Studie berichten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Zeitschrift Advanced Energy Materials. Ihre Erkenntnisse ermöglichen, Leistungsfähigkeit und Lebensdauer von zukünftigen Batterien zu optimieren.

Vom Smartphone bis zum Elektroauto – fast überall, wo mobile Stromversorgung gefragt ist, werden Lithium-Ionen-Batterien eingesetzt. Mit entscheidend für den zuverlässigen Betrieb dieser und anderer Flüssigelektrolyt-Batterien ist die Feststoff-Elektrolyt-Grenzphase (solid electrolyte interphase – SEI). Diese Passivierungsschicht bildet sich beim ersten Anlegen einer Spannung. Der Elektrolyt wird in der unmittelbaren Nähe der Oberfläche zersetzt. Bisher war unklar, wie die Bestandteile des Elektrolyten eine bis zu 100 Nanometer dicke und stabile Schicht an der Oberfläche der Elektroden bilden können, wenn die Zersetzungsreaktion nur innerhalb weniger Nanometer von der Oberfläche möglich ist.

Die Passivierungsschicht an der Anodenoberfläche bestimmt die elektrochemische Leistungsfähigkeit und die Lebensdauer einer Lithium-Ionen-Batterie wesentlich mit, weil sie in jedem Lade- und Entladezyklus stark beansprucht wird. Bricht die SEI dabei auf, wird der Elektrolyt weiter zersetzt und die Kapazität der Batterie nimmt stetig ab – ein Prozess, der die Lebensdauer der Batterie bestimmt. Mit dem entsprechenden Wissen über Wachstum und Zusammensetzung der SEI lassen sich Batterieeigenschaften gezielt anpassen. Bisher gelang es allerdings weder mit experimentellen noch mit computergestützten Ansätzen, diese auf ganz unterschiedlichen Größen und Längenskalen ablaufenden komplexen Wachstumsprozesse zu entschlüsseln.

Studie innerhalb der EU-Initiative BATTERY 2030+

Forschende am Institut für Nanotechnologie (INT) des KIT haben es nun geschafft, die Bildung der SEI mit einem multiskaligen Ansatz zu charakterisieren. „Damit haben wir eines der großen Rätsel der wichtigsten Schnittstelle in Flüssigelektrolyt-Batterien gelöst – auch in Lithium-Ionen-Batterien, wie wir alle sie täglich nutzen“, sagt Professor Wolfgang Wenzel, Leiter der Forschungsgruppe „Multiscale Materials Modelling and Virtual Design“ am INT. Über ihre Erkenntnisse berichten die Karlsruher Forschenden in der Zeitschrift Advanced Energy Materials. Die Forschungsgruppe ist an der großangelegten europäischen Forschungsinitiative BATTERY 2030+ beteiligt, die auf sichere, bezahlbare, langlebige und nachhaltige Hochleistungsbatterien für die Zukunft zielt.

Mehr als 50 000 Simulationen für verschiedene Reaktionsbedingungen

Um das Wachstum und die Zusammensetzung der Passivierungsschicht an der Anode von Flüssigelektrolyt-Batterien zu untersuchen, erzeugten die Forschenden am INT einen Satz von mehr als 50 000 Simulationen, die verschiedene Reaktionsbedingungen repräsentieren. Sie stellten fest, dass die Bildung der organischen SEI auf einem lösungsvermittelten Weg erfolgt: Zunächst schließen sich SEI-Vorläufer, die direkt an der Oberfläche gebildet werden, weit entfernt von der Elektrodenoberfläche über Keimbildung zusammen. Anschließend wachsen die Keime so schnell, dass sich eine poröse Schicht bildet, welche schließlich die Elektrodenoberfläche bedeckt. Diese Erkenntnis erklärt die paradox anmutende Situation, dass die SEI sich nur in der Nähe der Oberfläche bilden kann, wo Elektronen verfügbar sind, aber ohne den beobachteten Mechanismus sofort aufhören würde zu wachsen, wenn dieser kleine Bereich nahe der Elektrode aufgefüllt ist. „Wir haben diejenigen Reaktionsparameter identifiziert, die die Dicke der Passivierungsschicht bestimmen“, erklärt Dr. Saibal Jana, Postdoc am INT und einer der Autoren der Studie. „Dies wird es künftig ermöglichen, Elektrolyte und geeignete Zusatzstoffe zu entwickeln, um die Eigenschaften der SEI zu steuern und damit die Leistungsfähigkeit und Lebensdauer der Batterien zu verbessern.“ (or)

Originalpublikation:
Meysam Esmaeilpour, Saibal Jana, Hongjiao Li, Mohammad Soleymanibrojeni, and Wolfgang Wenzel: A Solution-Mediated Pathway for the Growth of the Solid Electrolyte Interphase in Lithium-Ion Batteries. Advanced Energy Materials, 2023. DOI: 10.1002/aenm.202203966

Externer Link: www.kit.edu

Taktile Tattoos sollen virtuelle Welten greifbar machen

Pressemitteilung der Universität des Saarlandes vom 02.03.2023

Was bis vor kurzem noch wie Science-Fiction wirkte, kann schon bald Wirklichkeit werden: virtuelle Welten im wahrsten Sinne des Wortes „begreifbar“ zu machen. Jürgen Steimle, Informatik-Professor der Universität des Saarlandes, möchte dies mittels hauchdünner elektronischer Folien erreichen, die wie Abzieh-Tattoos auf den Körper aufgetragen werden können.

Um die Technologie, die er mit seiner Forschungsgruppe im Rahmen des EU-geförderten Projektes „InteractiveSkin“ entwickelt hat, näher zur Marktreife zu bringen, wird Steimle nun erneut durch den Europäischen Forschungsrat (ERC) mit einem so genannten „Proof-of-Concept-Grant“ unterstützt.

Virtual- und Augmented-Reality (VR und AR), oftmals als „Extended Reality (XR)“ zusammengefasst, bewegen sich immer mehr hinaus aus dem Nischen-Markt hin zum Massenprodukt – man denke nur an das Metaverse, Gaming, oder Anwendungen in der Industrie und innovativen Bereichen der Telemedizin. Die meisten Anwendungen der erweiterten Realität haben eines gemeinsam: Sie sprechen nur oder hauptsächlich den Sehsinn an. „Der Tastsinn bleibt in der Regel außen vor, obwohl er ein ganz entscheidender Faktor dabei ist, wie wir unsere Welt wahrnehmen“, erklärt der Informatik-Professor Jürgen Steimle, der die Forschungsgruppe zu Mensch-Computer-Interaktion an der Universität des Saarlandes am Saarland Informatics Campus leitet. Den Tastsinn zentral in virtuelle Welten zu integrieren, würde erheblich dazu beitragen, dass Nutzer diese immersiv erleben, so der Professor.

Bedingt geht das nämlich schon heute: Eine verbreitete Möglichkeit sind in den Händen gehaltene Controller, die durch bewegliche Teile wie Motoren haptische Eindrücke erzeugen, oder auch Handschuhe, in die ebenfalls vibrierende und anderweitig bewegliche Elemente eingebaut sind. Hier bessere Ansätze zu entwickeln, hat sich Professor Jürgen Steimle zur Aufgabe gemacht.

Herausgekommen ist dabei unter anderem das Projekt „Tacttoo“: Der Name ist ein Kofferwort aus „taktil“, also den Tastsinn betreffend, und „Tattoo“ und beschreibt somit prägnant, was in dem Projekt entwickelt wurde: Eine hauchdünne, nur 35 Mikrometer (= tausendstel Millimeter) dicke elektronische Folie, die wie ein Abzieh-Tattoo auf die Haut aufgetragen werden kann und dort nur durch elektrische Reize, ganz ohne bewegliche Teile, den Tastsinn stimulieren kann. Weil die Folie so dünn ist, können Gegenstände noch wie zuvor wahrgenommen und ertastet werden. Das eröffnet neue Anwendungsmöglichkeiten: Wie auch mit anderen Methoden können durch Tacttoo völlig neue haptische Erfahrungen für rein digitale Objekte erzeugt werden (wenngleich auch wesentlich realistischer dank höherer Auflösung), zusätzlich können aber auch reale Objekte um andere Sinneseindrücke erweitert werden.

So könnte die Technik beispielweise beim Produktdesign zum Einsatz kommen: Mit Hilfe von Augmented Reality und eines physischen Prototyps könnte die Haptik verschiedener Materialien ausprobiert werden, bevor es in die Produktion geht. Oder im Falle eines elektrischen Gerätes könnten verschiedene Positionierungen von Knöpfen und anderen physischen Bedienelementen erprobt werden, indem man diese als künstliche haptische Sinneseindrücke simuliert. Auch in der Ausbildung, beispielsweise von Chirurgen, wäre die Technik denkbar. Denn bereits heute werden hier Virtual-Reality-Umgebungen eingesetzt. Diese könnten mithilfe von Steimles Methode um realistisches haptisches Feedback erweitert werden, ohne die nötige Feinmotorik der auszubildenden Mediziner einzuschränken.

In dem nun vom Europäischen Forschungsrat geförderten Projekt namens „Feel-XR: Feel-through Haptic Feedback for Augmented and Virtual Reality“ geht es Steimle und seinem Team um den Technologie-Transfer, also exakt darum, neue Anwendungsfälle zu identifizieren und bestehende zu verfeinern: „Durch Marktanalysen, Entwicklung von Anwendungen sowie die Zusammenarbeit mit Partnern aus der Wirtschaft wollen wir das kommerzielle Potenzial der Technologie explorieren, um Tacttoo in die Praxis zu bringen“, sagt der Professor. Die Europäische Union hat speziell für diesen Zweck die sogenannten „Proof-of-Concept-Grants“ vorgesehen, die nur an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vergeben werden, die bereits eine höher dotierte EU-Förderung erhalten haben und dabei Grundlagentechnologien mit hohem Anwendungspotenzial entwickelt haben. Das Fördervolumen eines solchen Grants beträgt 150.000 Euro über 18 Monate.

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Chaos auf Nanometer-Skala

Presseaussendung der TU Wien vom 27.02.2023

Manchmal laufen chemische Reaktionen nicht nur stationär in eine Richtung ab, sondern zeigen räumlich-zeitliche Schwankungen. An der TU Wien wurde dabei nun ein Übergang zum chaotischen Verhalten auf der Nanometer-Skala beobachtet.

Chaotisches Verhalten kennt man normalerweise von großen Dingen: Vom Wetter zum Beispiel, von Asteroiden im Weltraum, die von mehreren großen Himmelskörpern gleichzeitig angezogen werden, oder von schwingenden Pendeln, die man miteinander koppelt. Auf atomaren Größenordnungen hingegen stößt man normalerweise nicht auf Chaos – dort überwiegen fast immer andere Effekte. Nun konnte man an der TU Wien allerdings erstmals klare Anzeichen von Chaos auf Nanometer-Skala nachweisen – und zwar bei chemischen Reaktionen auf winzigen Rhodium-Kristallen. Die Ergebnisse wurden nun im Fachjournal „Nature Communications“ publiziert.

Von inaktiv zu aktiv – und wieder zurück

Die chemische Reaktion, die man analysierte, ist eigentlich ganz einfach: mit Hilfe eines Edelmetall-Katalysators reagiert Sauerstoff mit Wasserstoff zu Wasser, das ist auch das Grundprinzip einer Brennstoffzelle. Die Reaktionsgeschwindigkeit hängt dabei von äußeren Bedingungen (Druck, Temperatur) ab. Unter bestimmten Voraussetzungen zeigt diese Reaktion allerdings ein oszillierendes Verhalten, obwohl die äußeren Bedingungen konstant sind. „So ähnlich wie ein Pendel von links nach rechts schwingt und wieder zurück, oszilliert die Reaktionsgeschwindigkeit zwischen kaum wahrnehmbar und hoch und damit das katalytische System zwischen inaktiv und aktiv hin und her“, erklärt Prof. Günther Rupprechter vom Institut für Materialchemie der TU Wien.

Ein Pendel ist ein klassisches Beispiel für etwas Berechenbares – wenn man es ein bisschen stört oder es zweimal auf leicht unterschiedliche Arten in Bewegung setzt, verhält es sich danach im Großen und Ganzen gleich. Es ist in gewissem Sinn das Gegenteil von einem chaotischen System, bei dem minimale Änderungen der Ausgangsbedingungen zu höchst unterschiedlichen Ergebnissen im Langzeitverhalten führen. Ein Paradebeispiel für ein solches chaotisches System sind mehrere Pendel, die mit elastischen Schnüren miteinander verbunden sind.

Zweimal exakt gleiche Anfangsbedingungen sind unmöglich

„Grundsätzlich legen Naturgesetze natürlich immer noch exakt fest, wie sich die Pendel verhalten“, sagt Prof. Yuri Suchorski (TU Wien). „Könnten wir ein solches gekoppeltes System aus Pendeln zweimal exakt auf dieselbe Art starten, würden sich die Pendel beide Male genau gleich bewegen.“ Doch in der Praxis ist das unmöglich: Man wird beim zweiten Mal nie perfekt dieselbe Ausgangssituation herstellen können wie beim ersten mal – und schon ein winziger Unterschied in der Ausgangslage bewirkt, dass sich das System später völlig anders verhält als beim ersten Mal – das ist der berühmte „Schmetterlingseffekt“: Winzige Unterschiede in den Anfangsbedingungen führen zu riesengroßen Unterschieden im Zustand zu einem späteren Zeitpunkt.

Etwas ganz Ähnliches konnte man nun anhand von chemischen Oszillationen auf einem Rhodium-Nanokristall beobachten: „Der Kristall besteht aus vielen verschiedenen winzigen Oberflächen-Facetten, so ähnlich wie ein geschliffener Diamant, allerdings viel kleiner, in einer Größenordnung von Nanometern“, erklären Maximilian Raab und Johannes Zeininger, die die Experimente durchgeführt haben. „Auf jeder dieser Facetten oszilliert die chemische Reaktion, aber die Reaktionen auf benachbarten Facetten sind miteinander gekoppelt.“

Umschalten – von Ordnung zu Chaos

Das Kopplungsverhalten lässt sich nun aber auf bemerkenswerte Art steuern – und zwar, indem man die Menge an Wasserstoff verändert. Zunächst dominiert eine Facette und gibt wie ein Dirigent den Takt vor. Alle anderen Facetten schließen sich an und oszillieren im selben Takt mit. Erhöht man die Wasserstoff-Konzentration, wird die Situation komplizierter. Unterschiedliche Facetten oszillieren mit unterschiedlichen Frequenzen – aber immer noch ist ihr Verhalten periodisch und gut vorhersagbar. Wenn man dann allerdings die Wasserstoff-Konzentration noch weiter erhöht, bricht diese Ordnung plötzlich zusammen. Das Chaos gewinnt, die Oszillationen werden unvorhersehbar, winzige Unterschiede in der Anfangssituation führen zu völlig unterschiedlichen Schwingungsmustern – ein klares Anzeichen von Chaos.

„Das ist bemerkenswert, weil man chaotisches Verhalten in nanometergroßen Strukturen eigentlich nicht erwarten würde“, sagt Yuri Suchorski. Je kleiner das System, desto größer ist der Beitrag des stochastischen Rauschens, eigentlich müsste das Rauschen, das etwas völlig anderes als Chaos ist, das Verhalten des Systems dominieren: umso interessanter, dass es gelungen ist, die Indizien für Chaos „herauszufiltern“. Ein theoretisches Modell, entwickelt von Prof. Keita Tokuda (Universität Tsukuba), hat dabei wesentlich geholfen.

Chaosforschung auf Nano-Chemie übertragen

„An Chaostheorie forscht man seit Jahrzehnten, es ist auch bereits gelungen, diese an chemische Reaktionen in größeren (makroskopischen) Systemen anzuwenden, aber unsere Studie ist der erste Versuch, das umfassende Wissen aus diesem Bereich auf die Nanometer-Skala zu übertragen“, sagt Günther Rupprechter. „Winzige Abweichungen in der Symmetrie des Kristalls können darüber entscheiden, ob sich der Katalysator geordnet und vorhersagbar oder ungeordnet und chaotisch verhält. Das ist für unterschiedliche chemische Reaktionen wichtig – und vielleicht sogar für biologische Systeme.“

Die Arbeiten wurden vom FWF gefördert (P32772-N und SFB TACO F81-P08). (Florian Aigner)

Originalpublikation:
M. Raab et al.: Emergence of chaos in a compartmentalized catalytic reaction nanosystem; Nature Communications, 14, 736 (2023).

Externer Link: www.tuwien.at

KI verbessern: Informatiker spüren Schwächen in Algorithmen des Maschinellen Lernens auf

Pressemitteilung der Universität des Saarlandes vom 08.02.2023

Das Maschinelle Lernen ist die größte Revolution in der Informatik seit Jahrzehnten. Dank lernender Algorithmen können Computer auch bei abstrakten Aufgaben aufsehenerregende Leistungen vollbringen. Aber, wie dem Menschen, unterlaufen den Computern dabei Fehler – und zu verstehen, warum ein Machine-Learning-Algorithmus bestimmte Fehler macht, zählt zu den wesentlichen Herausforderungen der modernen Informatik. Hier setzen Michael Hedderich und Jonas Fischer mit ihrer Forschung an.

Sie haben eine Software entwickelt, mit der Schwächen in hochkomplexen Machine-Learning-Algorithmen aufgespürt und dadurch behoben werden können.

Mithilfe von Algorithmen des Maschinellen Lernens können Computer erstaunliche Leistungen vollbringen, auch in Domänen, die man bisher nur dem Menschen zugeschrieben hat – wie zum Beispiel der Sprache und Bildenden Kunst. Die Rechenverfahren basieren auf sogenannten künstlichen neuronalen Netzen. „Dabei handelt es sich um Netzwerke mathematischer Funktionen, die eine Eingabe anhand bestimmter, anpassbarer Parameter gewichten und daraus einen Output generieren“, erklärt Informatiker Michael Hedderich, der an der Universität des Saarlandes und der Cornell University in den USA forscht. Diese Funktionen, Neuronen genannt, werden hintereinandergeschaltet und mithilfe von Daten trainiert, sodass die Computer beispielsweise in der Lage sind, auf Millionen von Fotos die Katzen herauszufiltern oder täuschend echt wirkende Dialoge mit Menschen zu führen.

„Einer der modernsten und aktuell viel zitierten Textsynthese-Algorithmen der Welt, GPT-3 von OpenAI, verarbeitet Eingaben anhand von 175 Milliarden Parametern, bevor ein Ergebnis ausgegeben wird. Für einen Menschen ist es fast unmöglich, dies nachzuvollziehen und zu verstehen, wo Fehler passieren“, sagt Jonas Fischer, der derzeit Postdoktorand an der Harvard University ist. Bisheriger Stand der Technik war es, die Ausgaben eines Machine-Learning-Algorithmus auf Fehler zu analysieren und diese Fehler einzeln aufzulisten. Dann war es Aufgabe von Experten, in den Datensätzen, die problemlos Tausende von Einträgen enthalten können, Muster zu finden. „In unserer neuen Software ‚PyPremise‘ nutzen wir Techniken des Data Mining, um diese Fehlerdatensätze automatisiert nach bestimmten Merkmalskombinationen zu durchsuchen und diese am Ende gebündelt als verständliche ‚Fehlerkategorien‘ auszugeben. Anstatt also jeden Fehler einzeln aufzuzählen, ist unsere Software in der Lage, Fehler auf einer abstrakteren Ebene zusammenzufassen und Aussagen zu treffen wie: ‚Dein ML-Algorithmus hat Probleme mit Formulierungen, welche die Frage ‚Wie viel‘ beinhalten. Das ist ablesbar an den fehlerhaften Ausgaben in den Fällen X, Y und Z‘“, erläutert Michael Hedderich.

Getestet haben die Saarbrücker Informatiker ihre Software sowohl an synthetischen als auch an echten, in der Praxis eingesetzten Datensätzen. Dabei konnten sie zeigen, dass ihr Verfahren auf sehr große Datensätze mit vielen verschiedenen Eigenschaften der einzelnen Datenpunkte skaliert und verlässliche Ergebnisse liefert. „Die damit gewonnenen Informationen über die Schwachpunkte eines Machine-Learning-Algorithmus können die Betreiber dann verwenden, um beispielsweise ihre Trainingsdaten zu überarbeiten und so Fehler im System zu beheben“, erläutert Jonas Fischer. Das von den beiden Informatikern entwickelte Software-Werkzeug bezieht sich zunächst nur auf Algorithmen im Bereich der Sprachverarbeitung. Ihr Ziel ist aber grundsätzlich, das Tool so zu erweitern, dass es auch auf andere Domänen angewendet werden kann.

Michael Hedderich ist Informatiker und arbeitet an der Cornell University sowie in der Forschungsgruppe „Spoken Language Systems“ von Computerlinguistik-Professor Dietrich Klakow an der Universität des Saarlandes. Jonas Fischer promovierte bis letzten Sommer an der Saar-Universität und forschte am Max-Planck-Institut für Informatik, wo er von Professor Jilles Vreeken vom CISPA Helmholtz-Zentrum für Informationssicherheit betreut wurde. Inzwischen ist er Postdoktorand an der Harvard University. Die wissenschaftlichen Grundlagen der Software stellten die Informatiker erstmalig im Juli 2022 auf der „International Conference on Machine Learning (ICML)“ vor, einer der weltweit größten und renommiertesten Fachkonferenzen in diesem Themenfeld. Dort wird nur etwa ein Fünftel der eingereichten wissenschaftlichen Beiträge akzeptiert.

Externer Link: www.uni-saarland.de

Verschränkte Atome im Innsbrucker Quantennetzwerk

Medieninformation der Universität Innsbruck vom 03.02.2023

Gefangene Ionen wurden bisher nur über kurze Distanz im Labor miteinander verschränkt. Nun haben die Teams um Tracy Northup und Ben Lanyon an der Universität Innsbruck zwei Ionen über eine Distanz von 230 Metern Luftlinie miteinander verschränkt. Die Knoten des Netzwerks waren in zwei Labors am Campus Technik untergebracht. Das Experiment zeigt, dass Ionen eine vielversprechende Plattform für Quantennetzwerke sind, die sich in Zukunft über Städte und schließlich ganze Kontinente erstrecken werden.

Gefangene Ionen sind eines der führenden Systeme für den Bau von Quantencomputern und anderen Quantentechnologien. Um mehrere solcher Quantensysteme miteinander zu verbinden, braucht es Schnittstellen, über die die Quanteninformation übertragen werden kann. Dazu haben Forscher um Tracy Northup und Ben Lanyon am Institut für Experimentalphysik der Universität Innsbruck in den letzten Jahren ein Verfahren entwickelt, bei dem die Atome in optischen Resonatoren gefangen werden, so dass die Quanteninformation effizient auf Lichtteilchen übertragen werden kann. Die Lichtteilchen können dann durch Lichtleiter geschickt werden, um Atome an verschiedenen Orten miteinander zu verbinden. Nun haben deren Forschungsgruppen, gemeinsam mit Theoretikern um Nicolas Sangouard von der Université Paris-Saclay, erstmals zwei Ionen über eine Distanz von mehr als nur wenigen Metern miteinander verschränkt.

Plattform für den Bau von Quantennetzwerken

Die beiden Quantensysteme waren in zwei Laboren aufgebaut, eines im Gebäude des Instituts für Experimentalphysik und eines am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. „Bisher wurden gefangene Ionen nur im gleichen Labor über wenige Meter miteinander verschränkt. Dies wurde auch mit gemeinsamen Kontrollsystemen und Photonen (Lichtteilchen) realisiert, die auf Grund ihrer Wellenlänge nicht dafür geeignet sind, größere Entfernungen zurückzulegen.“, erklärt Ben Lanyon. Nach Jahren der Forschung und Entwicklung haben die Innsbrucker Physiker*innen es nun geschafft, zwei Ionen über den Campus hinweg miteinander zu verschränken. „Wir haben dazu einzelne mit den Ionen verschränkte Photonen über einen 500 Meter langen Lichtleiter geschickt und miteinander überlagert. Dies überträgt die Verschränkung auf die beiden Ionen.“, schildert Tracy Northup das Experiment. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass gefangene Ionen eine vielversprechende Plattform für die Realisierung zukünftiger großflächiger Netzwerke von Quantencomputern, Quantensensoren und Atomuhren sind.“

Die Teams von Ben Lanyon und Tracy Northup sind Teil der Quantum Internet Alliance, einem internationalen Projekt im Rahmen des Quantum Flagship der Europäischen Union. Die aktuellen Ergebnisse wurden im Fachmagazin Physical Review Letters veröffentlicht. Finanziell unterstützt wurden die Forschungen unter anderem durch den österreichischen Wissenschaftsfonds FWF und die Europäische Union.

Originalpublikation:
Entanglement of trapped-ion qubits separated by 230 meters. V. Krutyanskiy, M. Galli, V. Krcmarsky, S. Baier, D. A. Fioretto, Y. Pu, A. Mazloom, P. Sekatski, M. Canteri, M. Teller, J. Schupp, J. Bate, M. Meraner, N. Sangouard, B. P. Lanyon, T. E. Northup . Phys. Rev. Lett. 130, 050803

Externer Link: www.uibk.ac.at