Einzelne Atome verankern

Presseaussendung der TU Wien vom 31.08.2021

Wie lassen sich Einzelatome für die Katalyse verwenden? Forschende aus Wien entwickeln eine neue Methode, um Einzelatome auf Trägermaterialien zu verankern.

Oft heißt es „never change a running system“. Dabei können neue Methoden den alten weit überlegen sein. Während chemische Reaktionen bislang vor allem mit größeren Materialmengen, bestehend aus mehreren hundert Atomen, beschleunigt werden, liefern Einzelatome einen neuen Ansatz für die Katalyse.

Ein internationales Forschungsteam fand nun unter Führung der TU Wien eine Möglichkeit, einzelne Atome kontrolliert und stabil auf einer Oberfläche zu verankern. Dies ist ein wichtiger Schritt zur Katalyse mit Einzelatomen. Die neue Methode präsentierten die Forschenden um Bernhard C. Bayer in der Fachzeitschrift ACS Nano.

Einzelatome lösen Nanopartikel ab

Moderne Katalysatoren bestehen bereits aus Nanopartikeln und sind somit sehr klein. Betrachtete man ihre Größe jedoch auf atomarer Skala, sind sie mit mehreren hundert Atomen weit größer als Katalysatoren, die aus nur einem Einzelatom bestehen. Gelingt es, chemische Reaktionen mit weit kleineren als den bislang eingesetzten Materialmengen zu beschleunigen, eröffnet dies gänzlich neue Möglichkeiten. Denn die Katalyse mit Einzelatomen ist nicht nur nachhaltiger und energieeffizienter, sie ist auch selektiver und erzielt eine bessere Ausbeute.

Bei der neu entwickelten Methode dienen Siliziumatome als „Anker“ für metallische Einzelatome. Siliziumatome selbst kommen oft als Verunreinigung im Trägermaterial aus Kohlenstoff vor. An das Silizium werden Indiumatome gebunden, die als Katalysator fungieren können. „Die Indiumatome binden gezielt an die Silizium-Anker im Kohlenstoff-Kristallgitter“, sagt Bernhard C. Bayer vom Institut für Materialchemie an der TU Wien. „Damit verbleiben die Indium-Einzelatome stabil an ihren Plätzen und verklumpen nicht“, fährt der Leiter der Forschungsarbeiten fort. „Was die neue Technologie besonders spannend macht, ist, dass die Verankerung der Indiumatome durch die Siliziumatomen im Kohlenstoff selbstständig passiert, wenn die Reaktionsbedingungen stimmen. Dies macht den Prozess potenziell skalierbar“, ergänzt Kenan Elibol von der Universität Wien und dem Trinity College Dublin sowie Erstautor der Studie.

Das Verfahren bringt aber auch Herausforderforderungen mit sich, denen das Forschungsteam erfolgreich begegnete. Besonders das Aufbringen von Einzelatomen auf festen Trägeroberflächen gestaltet sich schwierig. Der Grund: Einzelne Atome entfernen sich schnell von ihren Plätzen und fügen sich zu größeren Partikeln zusammen. Atomar feines Indium zum Beispiel verklumpt sich normalerweise auf Kohlenstoffoberflächen schnell zu großen Nanopartikeln – die Vorteile der Einzelatom-Katalyse werden folglich aufgehoben.

Weitere Testungen folgen

Mit einem hochauflösenden Elektronenmikroskop an der Universität Wien konnte das Forschungsteam die Herstellungsmechanismen der Silizium-verankerten Indium-Einzelatome schließlich beobachten. „Wir konnten damit nachweisen, wie die Verankerung der Indiumatome davon abhängt, wie die Silizium-Anker im Kohlenstoff-Kristallgitter eingebaut sind“, sagt Toma Susi von der Universität Wien, der die Anker-Strukturen mittels modernster Computermethoden weiter entschlüsseln konnte. „Solch kontrollierte und bei Raumtemperatur stabile Verankerung von Einzelatomen auf festen Oberflächen wurde noch nicht in diesem Detail berichtet und eröffnet spannende Perspektiven für katalytische Anwendungen im Bereich Energie und Umwelt“, ergänzt Dominik Eder von der TU Wien und Experte für Katalyse.

Damit die Methode der Wiener Forschenden auch industriell eingesetzt werden kann, folgen weitere Experimente: „Die mit der neuen Methode platzierten Einzelatome sollen nun ausführlich als Katalysatoren für verschiedene chemische Reaktionen getestet werden“, so Bernhard C. Bayer.

Die beschriebene Forschung wurde unter anderem durch die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) unter Projekt 860382-VISION und vom Europäischen Forschungsrat (ERC) im Rahmen des Forschungs- und Innovationsprogramms Horizon 2020 der Europäischen Union (756277-ATMEN) gefördert. (Sarah Link)

Originalpublikation:
K. Elibol et al., Single Indium Atoms and Few-Atom Indium Clusters Anchored onto Graphene via Silicon Heteroatoms, ACS Nano, 2021

Externer Link: www.tuwien.at

Von Spieleentwicklern lernen: Produktentwicklung mit Extended Reality

Presseinformation des KIT (Karlsruher Institut für Technologie) vom 26.08.2021

Forschende am KIT machen physisch-virtuelle Modelle für Ingenieure nutzbar – Neue Möglichkeiten für kontaktfreies standortübergreifendes Arbeiten

Kann mein Produkt was es können soll – und werden es die Kunden kaufen? Die Antwort auf diese Frage entscheidet über Erfolg oder Misserfolg einer Markteinführung. Das Problem: Vor dem Produktstart kennen wir sie nicht. Die Lösung: Statt sofort teure Prototypen von Autos, Geräten oder Maschinenkomponenten zu bauen, können Unternehmen durch virtuelle Modelle in sehr frühen Entwicklungsphasen feststellen, ob ein neues Produkt in Anmutung und Bedienung für die Kunden attraktiv ist. Forschende des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) entwickeln dafür neue Methoden und Prozesse, die praxisnah in Entwicklung und Lehre angewendet werden.

„In der Automobilindustrie gehen nicht selten zehn Prozent des gesamten Entwicklungsbudgets in die Produktion von Prototypen“, sagt Marc Etri Leiter des XR-Lab am Institut für Produktentwicklung (IPEK) des KIT. „Da können leicht viele Millionen Euro zusammenkommen.“ Diesen Aufwand wollen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am IPEK reduzieren: mit Extended Reality (XR), also Computertechnologien, welche die physische Umgebung um virtuelle Komponenten erweitern (Augmented Reality, AR), oder diese auch gänzlich ersetzen (Virtual Reality, VR).

„XR-Technologien erleichtern es uns in allen Entwicklungsphasen – Produktprofile finden, Konzepte erstellen, präzisieren und realisieren – Produkte an Kundenwünsche und Marktanforderungen anzupassen“, erläutert Etri. „Physisch-virtuelle Prototypen können sowohl Entwicklungszeit und -kosten sparen als auch Fehlern vorbeugen, die oft erst in späteren Phasen der Entwicklung erkannt werden.“ Als Beispiel zeigt er das fotorealistische dreidimensionale Modell eines Rennrades, das sich auf einem Tablet bearbeiten lässt. „Das Design von Laufrädern, Rahmen oder Sattel kann ich mit einem Click verändern.“ Auch Feinheiten wie Farbe und Glanzgrad der Sattelstütze oder Struktur des Sitzbezuges wechseln mit wenigen Klicks auf dem Bildschirm. Die mögliche Detailschärfe des Programms zeigt Etri am Beispiel einer Armbanduhr: Sogar Fotophänomene wie Reflektion auf dem Gehäuseglas ändern sich über verschiedene Designvarianten hinweg und angepasst an die reale Raumbeleuchtung.

„Viele Ingenieurinnen und Ingenieure in der Praxis wissen gar nicht, was mit AR und VR bereits möglich ist“, konstatiert Professor Albert Albers, Leiter des IPEK. „Dabei haben es uns die Spieleentwickler längst vorgemacht“, ergänzt Etri mit Blick auf die populären bildmächtigen Blockbuster-Titel aus dem Gaming-Bereich. Oft scheitere eine zeitgemäße kundennahe Produktentwicklung noch an einem uneinheitlichen Datenmanagement in den beteiligten Abteilungen oder Partnerunternehmen und der daraus resultierenden mangelnden Durchgängigkeit, sagt Albers. „Wir können nicht mit Methoden des 20. Jahrhunderts die Lösungen des 21. Jahrhunderts entwickeln.“ Von den neuen Technologien und Methoden könne das Ingenieurwesen deutlich profitieren – natürlich auch in der aktuellen Pandemiesituation: „Denn sie machen auch ein kontaktfreies standortübergreifendes Arbeiten möglich“, so Albers weiter.

Das Extended Reality Lab in der Lehre am KIT

Deswegen kommt das XR-Lab neben Forschungsprojekten in der Grundlagenforschung und mit Unternehmen auch in der Lehre zum Einsatz: „Wir haben im vergangenen Wintersemester erstmals Virtual Reality-Aufgaben in die Maschinenkonstruktionslehre integriert“, sagt Etri. „Rund 400 Erstsemester aus den Bereichen Maschinenbau, Bio- und Chemieingenieurwesen sowie Mechatronik konnten so schon früh im Studium die Potenziale der XR-Technologien in der Produktentwicklung einschätzen lernen.“ Als digitale Natives falle den Studierenden der Umgang mit diesen Technologien leicht, glaubt Etri. „Das kann sich im künftigen Berufsleben massiv auf die Wahl ihrer präferierten Ingenieurtools auswirken.“

Im XR-Lab wird die VR-Software Cross Connected des Karlsruher Start-ups R3DT, einer Ausgründung aus dem KIT, eingesetzt. (mex)

Externer Link: www.kit.edu

Suprasolid in eine neue Dimension

Medieninformation der Universität Innsbruck vom 18.08.2021

Quantenmaterie kann gleichzeitig fest und flüssig, also suprasolid sein. Forscher um Francesca Ferlaino haben diese faszinierende Eigenschaft nun erstmals entlang zweier Dimensionen eines ultrakalten Quantengases erzeugt. Sie berichten darüber in der Fachzeitschrift Nature. Das Experiment bietet vielfältige Möglichkeiten zur weiteren Untersuchung dieses außergewöhnlichen Materiezustands.

Quantengase eignen sich sehr gut, um Eigenschaften der Materie im Detail zu untersuchen. Wissenschaftler können heute im Labor einzelne Teilchen in extrem stark gekühlten Gaswolken exakt kontrollieren und auf diese Weise Effekte sichtbar machen, die in der Alltagswelt nicht beobachtet werden können. So sind die einzelnen Atome in einem Bose-Einstein-Kondensat vollständig delokalisiert. Das bedeutet, dass das gleiche Atom zu jedem Zeitpunkt an jedem Punkt innerhalb des Kondensats vorhanden ist. Vor zwei Jahren ist es der Forschungsgruppe um Francesca Ferlaino vom Institut für Experimentalphysik der Universität Innsbruck und dem Institut für Quantenoptik und Quanteninformation der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Innsbruck gelungen, in ultrakalten Quantengasen aus magnetischen Atomen erstmals suprasolide Zustände zu erzeugen. Die magnetische Wechselwirkung bringt die Atome dazu, sich selbst zu Tröpfchen zu organisieren und in einem regelmäßigen Muster anzuordnen. „Normalerweise würde man denken, dass jedes Atom in einem bestimmten Tröpfchen zu finden ist, ohne Möglichkeit den Ort zu tauschen“, sagt Matthew Norcia aus dem Team von Francesca Ferlaino. „Im suprasoliden Zustand ist jedoch jedes Teilchen über alle Tröpfchen hinweg delokalisiert, existiert also gleichzeitig in jedem Tröpfchen. Im Grunde hat man also ein System mit einer Reihe von Regionen hoher Dichte (die Tröpfchen), die sich alle die gleichen delokalisierten Atome teilen.“ Diese bizarre Formation ermöglicht Effekte wie das reibungsfreie Strömen trotz der Existenz einer räumlichen Ordnung (Suprafluidität).

Neue Dimensionen fördern neue Phänomene zutage

Bisher wurden suprasolide Zustände in Quantengasen immer nur als Aneinanderreihung von Tröpfchen (entlang einer Dimension) beobachtet. „In Kooperation mit den beiden Theoretikern Luis Santos von der Uni Hannover und Russell Bisset in Innsbruck haben wir nun dieses Phänomen auf zwei Dimensionen erweitert, wodurch Systeme mit zwei oder mehr Reihen von Tröpfchen entstehen“, erläutert Matthew Norcia. Dies ist nicht nur ein quantitativer Unterschied, sondern erweitert auch die Forschungsperspektiven entscheidend. In einem zweidimensionalen suprasoliden System kann man zum Beispiel untersuchen, wie sich in der Öffnung zwischen mehrerer beieinanderliegenden Tröpfchen Wirbel bilden. „Diese in der Theorie beschriebenen Wirbel sind bisher noch nicht nachgewiesen worden, stellen aber eine wichtige Folge von Suprafluidität dar“, blickt Francesca Ferlaino bereits in die Zukunft. Das nun in der Fachzeitschrift Nature präsentierte Experiment schafft neue Möglichkeiten, die grundlegende Physik dieses faszinierenden Materiezustands weiter zu untersuchen.

Neues Forschungsfeld Suprafestkörper

Vor 50 Jahren vorhergesagt, wurde bisher versucht, Suprasolidität mit seinen überraschenden Eigenschaften in supraflüssigem Helium nachzuweisen. Nach jahrzehntelanger theoretischer und experimenteller Forschung fehlte jedoch noch ein eindeutiger Nachweis von Suprasolidität in diesem System. Vor zwei Jahren war es Forschungsgruppen in Pisa, Stuttgart und Innsbruck unabhängig voneinander erstmals gelungen, mit ultrakalten Quantengasen aus magnetischen Atomen sogenannte Suprafestkörper zu erzeugen. Grundlage für das neue, wachsende Forschungsfeld der Suprafestkörper ist die starke Polarität magnetischer Atome, deren Wechselwirkungseigenschaften die Erzeugung dieses paradoxen quantenmechanischen Materiezustandes im Labor ermöglicht.

Die Forschungen wurden unter anderem vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF, dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung und der Europäischen Union finanziell gefördert.

Originalpublikation:
Two-dimensional supersolidity in a dipolar quantum gas. Matthew A. Norcia, Claudia Politi, Lauritz Klaus, Elena Poli, Maximilian Sohmen, Manfred J. Mark, Russell Bisset, Luis Santos, and Francesca Ferlaino. Nature 2021

Externer Link: www.uibk.ac.at

Mangan statt Edelmetalle: Nachhaltigere Leuchtstoffe und Sonnenlicht-Nutzung

Medienmitteilung der Universität Basel vom 02.08.2021

Forschenden der Universität Basel ist ein wichtiger Schritt gelungen, um nachhaltigere Leuchtstoffe und Katalysatoren für die Umwandlung von Sonnenlicht in andere Energieformen zu produzieren. Auf der Basis von kostengünstigem Mangan entwickelten sie eine neue Verbindungsklasse mit vielversprechenden Eigenschaften, die es bis jetzt vor allem bei Edelmetallverbindungen gab.

Bildschirme von Smartphones und Katalysatoren für künstliche Fotosynthese, um mithilfe von Sonnenlicht beispielsweise Brennstoffe herzustellen, enthalten oft sehr seltene Metalle. Iridium etwa, das in organischen lichtemittierenden Dioden (OLEDs) zum Einsatz kommt, ist seltener als Gold und Platin. Auch Ruthenium, das in Solarzellen Verwendung findet, gehört zu den seltensten stabilen Elementen. Nicht nur sind diese Metalle durch ihre Seltenheit sehr teuer, sie sind in vielen Verbindungen auch toxisch.

Einem Forschungsteam um Prof. Dr. Oliver Wenger und seinem Doktoranden Patrick Herr von der Universität Basel ist es erstmals gelungen, leuchtende Mangan-Komplexe herzustellen, in denen unter Bestrahlung mit Licht die gleichen Reaktionen ablaufen wie in Ruthenium- oder Iridium-Verbindungen. Davon berichten die Forschenden in der Fachzeitschrift «Nature Chemistry». Der Vorteil von Mangan: Es kommt in der Erdkruste 900’000-mal häufiger vor als Iridium, ist deutlich weniger giftig und um ein Vielfaches kostengünstiger.

Schnelle Photochemie

Die Leuchteffizienz der neuen Mangan-Komplexe liegt gegenüber derjenigen von Iridium-Verbindungen derzeit noch zurück. Anders liegt der Fall bei den lichtgetriebenen Reaktionen, die für die künstliche Fotosynthese nötig sind. Diese Energietransfer- und Elektronenübertragungs-Reaktionen liefen mit hohen Geschwindigkeiten ab. Möglich wird dies durch die besondere Bauweise der neuen Komplexe, die bei Anregung mit Licht sofort zu einem Ladungstransfer vom Mangan in Richtung seiner unmittelbaren Verbindungspartner führt. Dieses Bauprinzip von Komplexen wird in bestimmten Typen von Solarzellen bereits genutzt, allerdings bisher meist mit Edelmetall-Verbindungen, manchmal auch mit Komplexen basierend auf dem Halbedelmetall Kupfer.

Unerwünschte Schwingungen verhindert

Durch die Aufnahme von Lichtenergie verzerren sich Komplexe aus kostengünstigen Metallen normalerweise stärker als Edelmetall-Verbindungen. Dadurch beginnen die Komplexe zu schwingen und ein Grossteil der aufgenommenen Lichtenergie geht verloren. Solche Verzerrungen und Schwingungen konnten die Forschenden unterdrücken, indem sie massgeschneiderte Molekülbestandteile in die Komplexe einbauten, um das Mangan in eine steife Umgebung zu zwingen. Dieses Bauprinzip erhöht zudem die Stabilität der resultierenden Verbindungen und macht sie gegenüber Zersetzungsprozessen robuster.

Bisher sei es noch niemandem gelungen, molekulare Komplexe mit Mangan zu schaffen, die bei Raumtemperatur in Lösung leuchten können und diese speziellen Reaktionseigenschaften hätten, so Wenger. «Patrick Herr und die beteiligten Postdoktoranden haben damit wirklich einen Durchbruch geschafft, der neue Möglichkeiten ausserhalb des Bereichs der Edelmetalle und Halbedelmetalle eröffnet.» In zukünftigen Forschungsarbeiten wollen Wenger und seine Forschungsgruppe die Leuchteigenschaften der neuen Mangan-Komplexe verbessern und sie auf geeigneten Halbleitermaterialien für Solarzellen verankern. Andere mögliche Weiterentwicklungen wären wasserlösliche Varianten der Mangan-Komplexe, die möglicherweise anstelle von Ruthenium- oder Iridium-Verbindungen in der photodynamischen Therapie zur Behandlung von Krebs eingesetzt werden könnten.

Originalpublikation:
Patrick Herr, Christoph Kerzig, Christopher B. Larsen, Daniel Häussinger, Oliver S. Wenger
Manganese(I) complexes with metal-to-ligand charge transfer luminescence and photoreactivity
Nature Chemistry (2021)

Externer Link: www.unibas.ch

Leistungsverlust im Alter kann mithilfe Künstlicher Intelligenz präziser prognostiziert werden

Pressemitteilung der Universität des Saarlandes vom 16.08.2021

Wie stark fällt der Leistungsabfall von Sportlern aus, wenn sie älter werden? Nicht nur für Sportler, die bis ins Seniorenalter aktiv bleiben wollen, ist diese Frage von Bedeutung. Bergita Ganse, Stiftungsprofessorin für innovative Implantatentwicklung (Frakturheilung) an der Saar-Uni, hat mit Kolleginnen und Kollegen der TU Darmstadt und der RWTH Aachen ein Berechnungsmodell entwickelt, das genauer ist als bisherige Modelle. Die Studie haben sie im Fachjournal „GeroScience“ veröffentlicht.

Die Meldungen über die erstaunlichsten körperlichen Leistungen alter Menschen sind fast schon alltäglich geworden. Es gibt 80-Jährige, die den Mount Everest erklimmen, ein 83-Jähriger ist ältester Teilnehmer beim Ironman auf Hawaii, wo es rund 226 Kilometer auf dem Rad, laufend und schwimmend zurückzulegen gilt. Und der älteste Marathonläufer der Welt kam mit sage und schreibe 101 Jahren ins Ziel – bisher.

Natürlich sind die Seniorensportler nicht so leistungsfähig wie junge Sportlerinnen und Sportler, die im Zenit ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit stehen. Zwischen dem Höchststand ihrer Leistungsfähigkeit und ihrem – immer noch erstaunlichen – Potenzial im hohen Alter liegen einige Jahrzehnte. Wie der Verlust in den dazwischenliegenden Jahrzehnten verläuft und wie schnell er vonstattengeht, hängt von vielen, sehr individuellen Faktoren ab. „Wir haben uns gefragt, ob es uns gelingen kann, die Leistungsfähigkeit eines Sportlers bis ins Seniorenalter hinein prognostizieren zu können, und zwar mit einer einzigen Messung“, erläutert Bergita Ganse, die an der Universität des Saarlandes die Werner Siemens-Stiftungsprofessur für innovative Implantatentwicklung (Frakturheilung) innehat. „Sind beispielsweise Sportler, die in jüngeren Jahren bessere Leistungen als andere erbrachten, auch im Alter leistungsstärker?“, nennt die Medizinerin einen Faktor, den man bisher nur schwer prognostizieren konnte. Für die Unfallchirurgin spielt der Leistungsabfall im Alterungsprozess deshalb eine so wichtige Rolle, weil eine große Zahl an Patienten im hohen Alter kaum noch Muskelmasse und Kraft aufweisen, und dadurch nicht nur im Alltag eingeschränkt sind, sondern sich auch viel schlechter von Verletzungen wie Knochenbrüchen erholen können. Es wäre wichtig, Menschen mit einem hohen Risiko dafür besser frühzeitig identifizieren und beraten zu können.

Mithilfe des Maschinellen Lernens, einem Teilgebiet der Künstlichen Intelligenz, haben Bergita Ganse sowie Christoph Hoog Antink (TU Darmstadt; Biomedizinisches Engineering) und Anne K. Braczynski (Neurologie; RWTH Aachen) ihre Ausgangshypothese überprüft, die tatsächlich bestätigt werden konnte. „Wir haben gezeigt, dass es möglich ist, die zukünftige Leistungsabnahme eines Sportlers auf der Grundlage Maschinellen Lernens mit nur einem Ausgangspunkt präziser vorherzusagen als mit bisherigen Methoden“, so Medizinerin Bergita Ganse.

Um ihre Hypothesen zu überprüfen, haben die Wissenschaftlerinnen aus dem Saarland und Aachen sowie ihr Kollege aus Darmstadt die Daten von fast 5.500 schwedischen Leichtathleten untersucht, deren sportliche Leistungen zwischen 1901 und 2021 in der „Swedish Veteran Athletics“-Datenbank sehr detailliert dokumentiert sind. Insgesamt rund 21.000 Datenpunkte haben sie in ihre Untersuchung einfließen lassen. Das heißt, jeder Leichtathlet hat im Mittel rund vier Ergebnisse in der Datenbank hinterlassen. Aufgrund des seit gut 100 Jahren fast unveränderten Reglements hat sich das Team um Bergita Ganse dazu entschlossen, ausschließlich Laufdisziplinen zu berücksichtigen. Wurfgeräte wie beim Speer- oder Diskuswurf beispielsweise werden in unterschiedlichen Gewichtsklassen verwendet; jüngere Athleten müssen meist etwas schwerere Geräte werfen, so dass sich damit die Vergleichbarkeit erschwert und eine Prognose des Leistungsabfalls schwieriger wird. Läufer hingegen laufen 100, 200, 800 Meter, egal, ob sie 23, 40 oder 70 Jahre alt sind.

Das zentrale Ergebnis der Studie ist nun, dass der Computer anhand der zehntausenden Daten ein Modell entwickeln konnte, das den Leistungsverlust eines individuellen Sportlers bis ins Seniorenalter hinein präziser vorhersagen kann als bisherige Modelle, die in etwa von einer linearen Abnahme der Leistungsfähigkeit ausgehen.

„Überrascht hat uns dabei die Feststellung, dass Athleten, die sehr leistungsstark und jung waren, relativ gesehen am meisten Leistungsabfall zu verzeichnen hatten, was auch auf ältere Athleten mit geringerer Ausgangsleistung zutrifft. Die niedrigste Abnahmerate haben wir bei leistungsstarken Athleten mit hohem Ausgangsalter festgestellt“, so Bergita Ganse. Ihre Erklärung: „Eine hohe Leistung bei hohem Ausgangsalter kann aus einem kontinuierlichen, lebenslangen Engagement in anderen Sportarten oder auch aus einer Kombination von gesunder Ernährung und guter genetischer Konstitution herrühren. Allerdings liegen uns dazu keine weiteren Daten vor, so dass dies im Bereich der Spekulation bleiben muss.“ Die zentrale Erkenntnis hingegen lautet sicher: Wer noch in fortgeschrittenerem Alter eine Top-Zeit in seiner Disziplin läuft, bleibt auch in noch höherem Alter leistungsfähiger als seine Altersgenossen. Es lohnt sich also auch im fortgeschrittenen Alter noch, mit dem Sporttreiben anzufangen.

Interessant sind diese Erkenntnisse insbesondere für die Altersforschung, die (alternden) Sportler selbst und die Sportverbände sowie die Versicherungswirtschaft, die mithilfe präziserer Prognosen der sportlichen Leistungsfähigkeit zum Beispiel bessere Präventionsangebote für die Versicherten entwickeln kann.

Originalpublikation:
Hoog Antink, C., Braczynski, A.K. & Ganse, B. Learning from machine learning: prediction of age-related athletic performance decline trajectories. GeroScience (2021).

Externer Link: www.uni-saarland.de