Gebäudesanierung per Mausklick

Presseaussendung der TU Wien vom 31.03.2014

Sie wollen Ihr Haus sanieren oder ein neues umweltbewusstes, energiesparendes Gebäude bauen? TU Wien und Xylem Technologies haben ein Computertool entwickelt, das die Planung übernimmt.

Dass sich energiebewusste Sanierung von Gebäuden auszahlt, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Doch viele Leute schrecken vor Sanierungsprojekten ganz einfach deshalb zurück, weil sie nicht recht wissen, wie man eine solche Aufgabe anpacken soll. Wer hat schon einen echten Überblick über bauphysikalische, technische, rechtliche und finanzielle Aspekte von Gebäudesanierung?

Die TU Wien und das TU-Spin-off-Unternehmen Xylem Technologies haben nun ein kostenloses Internettool entwickelt, das ganz eigenständig Sanierungsideen durchrechnet und die besten Varianten genau erklärt. Damit kann man ein Gebäude elektronisch abbilden und berechnen, wie viel Geld man durch bestimmte Maßnahmenpakete sparen kann. In Zukunft wird es auch kostenpflichtige Programme geben, mit denen sich ganze Wohnblocks oder Stadtteile abbilden lassen.

Vom Dämmwert bis zum Förderungsrecht

Der größte Anteil der Energie, die in Gebäuden benötigt wird, muss heute für Heizung und Kühlung aufgewendet werden. Wärmedämmende Maßnahmen zahlen sich also oft aus, sowohl für den Klimaschutz als auch für die eigene Geldbörse.

SEMERGY ist ein Rundum-Beratungspaket: Man gibt alle wichtigen Daten über das eigene Haus ein, danach rechnet SEMERGY mögliche Verbesserungen durch. Das Programm schlägt Baumaßnahmen vor, es errechnet die zu erwartenden langfristigen Einsparungen, es gibt Auskunft über rechtliche Rahmenbedingungen und in Zukunft auch über öffentliche Förderungen, die man für die geplanten Sanierungen beantragen kann. Dabei berücksichtigt SEMERGY auch das zur Verfügung stehende Budget, die Nachhaltigkeit der verwendeten Bauprodukte und ihre Kompatibilität zueinander. Mit dem Programm kann man verschiedene Sanierungsszenarien durchspielen und die geeignetste Variante auswählen.

Der Gratis-Sanierungsexperte im Internet

„Programme, mit denen man den Energiebedarf von Gebäuden berechnen kann, gibt es bereits, doch SEMERGY geht weit darüber hinaus“, sagt Stefan Fenz vom Institut für Softwaretechnik und interaktive Systeme der TU Wien. „Ein Tool, das konkrete Sanierungsvorschläge auf Basis der momentanen Gebäudekonfiguration, des gewünschten Energieverbrauchs und des zur Verfügung stehenden Budgets anbietet, ist am internationalen Markt völlig neu.“ Als Anwender ist man durch SEMERGY nicht mehr ausschließlich vom Urteil der ausführenden Firmen abhängig, man bekommt per Mausklick eine zusätzliche unabhängige Expertenmeinung.

Aus wissenschaftlicher Sicht waren einige große Aufgaben zu lösen, um SEMERGY zu ermöglichen: Ein geeignetes Gebäudedatenmodell wurde entwickelt, das aufwändige, detailreiche Simulationen erlaubt und sogar die Berücksichtigung von Verschattungen zulässt. Wichtige Beiträge dafür kamen vom Bauphysiker Prof. Ardeshir Mahdavi vom Institut für Architekturwissenschaften der TU Wien. Eine umfassende Baumaterialiendatenbank wurde zusammengestellt, die auch Auskunft über zulässige Kombinationen von Materialien ihre möglichen Einsatzgebiete gibt. Wissenschaftlich herausfordernd war auch die Entwicklung des Algorithmus, der aus den beinahe unzähligen Kombinationsmöglichkeiten in nur ein bis zwei Minuten Rechenzeit die besten Sanierungsmaßnahmen ermittelt. Nicht zuletzt musste auch ein einfaches, intuitives User-Interface programmiert werden. Ähnlich wie bei CAD-Programmen gibt man ein dreidimensionales Modell des Hauses ein. Dazu muss man nicht einmal ein Programm installieren: SEMERGY lässt sich vollständig vom Webbrowser aus verwenden.

Gut fürs Klima, gut für die Wirtschaft

SEMERGY kann in einer ersten Phase völlig gratis genutzt werden. In Vorbereitung befinden sich derzeit noch weitere, ausgefeiltere Varianten des Tools, mit denen man dann ganze Siedlungen oder Stadtregionen abbilden können soll. SEMERGY soll beim großen Ziel mithelfen, die österreichischen Klimaziele zu erreichen. Für die CO2-Bilanz wird die Gebäudesanierung eine sehr wesentliche Rolle spielen. Auch die österreichische Bauwirtschaft soll durch vermehrte Investitionstätigkeit im Bereich der Sanierung profitieren. (Florian Aigner)

Externer Link: www.tuwien.ac.at

Virtuelles Untertagelabor hilft bei der Endlager-Suche

Presseinformation (Forschung Kompakt) der Fraunhofer-Gesellschaft vom 04.03.2014

Ein Endlager muss den radioaktiven Abfall eine Million Jahre sicher einschließen – ein Zeitraum, in dem viele komplexe Prozesse ablaufen. Diese untersuchen Forscher derzeit in Untertagelaboren. Ein virtuelles Untertagelabor vereinfacht künftig solche Analysen.

Der Ausstieg aus der Atomenergie ist beschlossene Sache – spätestens im Jahr 2022 soll er in Deutschland beendet sein. Doch wohin mit den entstandenen radioaktiven Abfällen? Geeignete Orte für Endlager müssen schnellstmöglich gefunden werden – kein einfaches Unterfangen: Die Abfälle sollen für eine Million Jahre von der Biosphäre abgeschlossen werden, so die Forderung. Um zu untersuchen, ob ein möglicher Standort auch wirklich zum Endlager taugt, muss dort zunächst eine solche Lagerstätte samt den technischen Einrichtungen konzipiert, geplant und geprüft werden. In einem Endlager laufen verschiedene physikalische und chemische Prozesse ab, die sehr komplex sind und sich gegenseitig beeinflussen – so kann sich etwa das Gestein durch die eingelagerten Abfälle erwärmen und Gase können sich entwickeln. Bislang untersuchen Forscher diese Prozesse in Untertagelaboren, wie es sie momentan in Mont Terri in der Schweiz, in Äspö in Schweden, aber auch in Frankreich und Belgien gibt. Deutsche Wissenschaftler müssen für ihre Experimente also immer wieder ihre Koffer packen und zu den Bergwerken reisen, wo sie beispielsweise prüfen, wie gut Verschlusssysteme dicht halten. Der Untersuchungszeitraum ist jedoch begrenzt: Denn all diese Tests lassen sich nur einige Jahre lang durchführen.

Bergwerke virtuell anlegen und untersuchen

Die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit GRS, die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe BGR und die DBE Technology GmbH als wichtigste Endlager-Forschungsinstitutionen benötigen daher eine Ergänzung zu den realen Untertagelaboren. In ihrem Auftrag entwickeln Forscher am Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF in Magdeburg das weltweit erste virtuelle Untertagelabor VIRTUS. Die VIRTUS-Softwareplattform ist die zentrale Komponente des virtuellen Untertagelabors. Alle Gegebenheiten sind dort realistisch dargestellt – seien es die Gesteinsarten des Untergrunds oder die physikalischen oder chemischen Prozesse, die im Bergwerk ablaufen. An seinem Schreibtisch sitzend, kann der Forscher in einem realistischen Szenario virtuelle Experimente durchführen und die Konzepte und Standorte für Endlager bis ins Kleinste überprüfen.

In einem ersten Schritt stellen die Wissenschaftler die geologischen Formationen am Standort nach. Da es bislang noch keine konkreten Standorte für die Endlager gibt, arbeiten sie mit einem generischen Modell – die Gesteinsformationen sind realistisch aufgebaut, stellen aber keinen wirklichen Standort nach. »Zunächst einmal geht es darum, die Leistungsfähigkeit von VIRTUS an Hand erster Rechnungen zu überprüfen«, sagt Steffen Masik, Ingenieur am IFF. In dieser Gesteinsformation kann der Nutzer das virtuelle Endlager anlegen. Er hat dabei vielfältige Freiheiten: So definiert er, in welcher Tiefe sich das Bergwerk befinden soll: wie groß, hoch und breit es ist. Ebenso kann er ein vorab erstelltes Grubengebäude – also die Gesamtheit aller unterirdischen Hohlräume – hochladen und bestimmen, wo sich die Bohrlöcher oder Strecken befinden sollen, in die die radioaktiven Abfälle eingelagert werden.

Haben sie ein Grubengebäude erstellt, können die Wissenschaftler ihre Untersuchungen starten und einen Bereich des Bergwerks auswählen. Eine spezielle Schnittstelle übermittelt die räumliche Auswahl und die Daten der Grube an einen Simulator. Dieser berechnet etwa, wie sich die Temperatur im Bergwerk durch die radioaktiven Abfälle erhöht. Die Ergebnisse werden in VIRTUS anschaulich dargestellt. Der Nutzer kann sich auch Schnitte durch das Gestein anzeigen lassen, samt der dort herrschenden Temperaturen. Ebenso lassen sich mechanische Spannungen errechnen und damit die Wahrscheinlichkeit für eine Rissbildung. Auch Durchlässigkeiten für Wasser oder andere Flüssigkeiten und Gase können die Forscher genau unter die Lupe nehmen. VIRTUS zeigt alle Berechnungen gemeinsam mit dem geologischen Modell an. »Die Software stellt die berechneten thermischen, hydraulischen und mechanischen Prozesse in einem Endlager visuell dar – ebenso wie ihre komplexen Wechselwirkungen untereinander«, sagt Klaus Wieczorek, der bei der GRS im Bereich der Endlagersicherheitsforschung arbeitet und das Projekt leitet.

Ende April soll ein erster Prototyp von VIRTUS verfügbar sein: Im 360-Grad-Großprojektionssystem des Virtual Development und Training Center VDTC in Magdeburg erhalten Besucher zukünftig Einblicke, was in einem Endlager geschieht und wie die Simulationsergebnisse aussehen. »Für uns ist dies eine gute Gelegenheit, um das Vertrauen der Bürger in unsere Arbeit zu gewinnen und das Verständnis für Entscheidungen zu wecken«, sagt Wieczorek.

Externer Link: www.fraunhofer.de

Wie laut ist Ihre Umgebung?

Presseaussendung der TU Wien vom 29.01.2014

Lärm macht krank. Mit einer Handy-App, entwickelt von Sophisystems und der TU Wien, kann man nun erstmals abschätzen, ob durch den täglichen Lärm langfristig Gefahr besteht.

Lärm ist jedes Geräusch, das wir nicht hören wollen. Dazu gehört die Stereoanlage des Nachbarn ebenso wie Verkehrslärm oder ein Gespräch, an dem wir nicht teilhaben. Langfristig kann uns Lärm krank machen. Um Lärmgefahr zu erkennen, reichen keine Momentaufnahmen, es ist wichtig, den Lärmpegel über einen langen Zeitraum zu beobachten. Nun kann man von der Handy-App „Noise-O-Meter“, entwickelt von Sophisystems und der TU Wien, den Umgebungslärm mitverfolgen lassen und dadurch feststellen, ob man im Alltag gefährlich lärmbelastet ist.

Das Smartphone als Langzeit-Messgerät

Horst Eidenberger vom Institut für Softwaretechnik und interaktive Systeme der TU Wien beschäftigt sich mit interaktiven Medien – dazu gehört auch das Gebiet der Psychoakustik. Er ist selbst als Gutachter tätig und führt Lärmpegelmessungen durch. „Dazu benötigt man geeichte Instrumente, eine verlässliche, exakte Messung kann ein simples Handy natürlich nicht leisten“, sagt Eidenberger. Der Vorteil von Smartphones ist allerdings, dass man sie ständig dabei hat. Sie sind also perfekt geeignet, um über längere Zeiträume hinweg den Lärm-Verlauf zu beobachten.

Apps, die den momentanen Lärmpegel messen, gab es bereits – doch gerade die wichtige Funktion der Langzeit-Messung fehlte bisher. Diese Lücke konnte Horst Eidenberger gemeinsam mit Alexander Schatten, Geschäftsführer von Sophisystems, nun schließen. Die App „Noise-O-Meter“ misst den Lärmpegel permanent und schätzt nach psychoakustischen Berechnungen ab, ob die Umgebung gefährlich laut war. Dabei wird darauf geachtet, im Dauereinsatz möglichst wenig Akku-Leistung zu beanspruchen.

„Oft bemerkt man die Lärmbelastung gar nicht – zum Beispiel im Straßenverkehr, auf dem Weg zur Arbeit“, sagt Horst Eidenberger. Die App soll Bewusstsein schaffen und die User dazu bringen, gewisse schädliche Angewohnheiten zu überdenken.

Erstaunlich präzise Messungen

Auf zwölf verschiedenen Handy-Typen wurde die App getestet und mit Messungen kalibrierter Messgeräte verglichen. „Insgesamt sind die Abweichungen zwischen den Handy-Messungen und dem tatsächlichen Lärmpegel bei allen Handy-Modellen erstaunlich gering“, sagt Horst Eidenberger. Auch wenn das Handy also keine medizinisch verlässlichen Aussagen liefern kann: Für eine grobe Einschätzung, ob der eigene Alltag ausreichend ruhig oder gefährlich lärmbelastet ist, reichen handelsübliche Smartphones allemal. (Florian Aigner)

Externer Link: www.tuwien.ac.at

Weiterspielen für die Wissenschaft

Presseinformation der LMU München vom 02.12.2013

Mit den Onlinespielen Artigo und Metropolitalia sammeln LMU-Wissenschaftler Daten für ihre Forschung. Die Bilanz ist so gut, dass die Webplattformen trotz Projektende weiterlaufen.

Der Erfolg des Spieles Artigo zeigt sich in zwei Zahlen: 180.000 Mitspieler haben seit Start der Webplattform bei dem Spiel mitgemacht. Sieben Millionen Schlagwörter, die Kunstwerke beschreiben, konnten so gesammelt werden.

Damit haben die Wissenschaftler im Projekt „play4science“ ihr Projektziel mehr als erreicht: Mit der Hilfe von Internetnutzern sollten Daten in der Kunstgeschichte und der italienischen Linguistik gesammelt werden. An dem interdisziplinären Projekt unter Federführung von Professor Hubertus Kohle, Inhaber des Lehrstuhls für Mittlere und Neuere Kunstgeschichte an der LMU, waren neben Kunsthistorikern Computer-Linguisten um Professor Klaus Schulz, Informatiker um Professor François Bry und Linguisten um Professor Thomas Krefeld beteiligt. Sie haben mit play4science in Zusammenarbeit mit der IT-Gruppe Geisteswissenschaften (ITG) die Idee des Crowdsourcing auf die Wissenschaft übertragen.

Bei der „Citizen Science“ beteiligen sich Laien freiwillig an der wissenschaftlichen Forschung. „Wir nutzen das Internet, um Menschen spielerisch dazu zu bringen, Aufgaben zu übernehmen, die von Computern allein nicht zu lösen sind“, sagt Hubertus Kohle.

Lernen und gewinnen

Das Spiel Artigo hat allein den Zweck, Bilddatenbanken zu verschlagworten und so eine Kunstsuchmaschine aufzubauen. Dafür werden zwei Spieler online von einer Software zusammengeschaltet. Kommen beide auf denselben Begriff, um ein Kunstwerk zu beschreiben, gibt es dafür Punkte. Der Wettbewerb um die meisten Punkte und Preise soll neben dem Lerneffekt Anreize bieten mitzumachen. 150 Personen täglich beteiligen sich im Durchschnitt beim Aufbau der Kunstsuchmaschine. Inzwischen gibt es verschiedene Spielversionen und ein Quiz auf der Webseite. Mehrere große Museen haben ihre Bildbestände für die Artigo-Suchmaschine zur Verfügung gestellt.

Beim Spiel Metropolitalia sollen die Mitspieler italienische Redewendungen einem sozialen Status und einer Herkunftsregion zuordnen sowie neue Ausdrücke nennen. Davon erwarten sich die Wissenschaftler zum Beispiel Informationen über die regionalspezifische Bedeutung von Redewendungen. Beim Wettbewerb „Prix Ars Electronica“ wurde die Webplattform mit einer „honorary mention“ ausgezeichnet.

Nach dem erfolgreichen Projektverlauf werden beide Spiele nun dauerhaft weitergeführt. Die Wissenschaftler gehen davon aus, noch deutlich mehr Daten sammeln zu können. Zudem soll bei Artigo nun untersucht werden, welches Wissen die gesammelten Schlagworte bergen. Möglicherweise lassen sich so zum Beispiel Hinweise auf die Entstehungszeit von Kunstwerken finden. Auch mehrere Nachfolgeprojekte bieten sich an. So könnten Spieler gemeinsam Werkzusammenstellungen erarbeiten und Kunstausstellungen im Internet verwirklichen. „Mit Artigo und Metropolitalia haben wir einen Ansatz realisiert, der sich auch in anderen empirisch fundierten Geistes- und Sozialwissenschaften anbietet“, sagt Hubertus Kohle. (nh)

Externer Link: www.uni-muenchen.de

Behandlung von Augenkrankheit am Computer simuliert

Pressemitteilung der Universität Tübingen vom 28.11.2013

Eine neue Studie zeigt die Möglichkeiten und Grenzen auf, wie mit Hilfe der Optogenetik verbreitete Formen der Erblindung bekämpft werden können

Die sogenannte Optogenetik gilt seit einigen Jahren als vielversprechender Therapieansatz bei fortschreitender Erblindung, wie sie beispielsweise durch eine Degeneration der Netzhaut ausgelöst wird. Um diesen Therapieansatz weiterentwickeln zu können, haben Marion Mutter und Dr. Thomas Münch vom Werner Reichardt Centrum für Integrative Neurowissenschaften (CIN) und vom Bernstein Zentrum für Computational Neuroscience (BCCN) an der Universität Tübingen nun ein Computermodell entwickelt, mit dem sich das „optogenetische Sehen“ simulieren lässt. Die Studie wurde am 27.11.2013 im Fachmagazin PLOS ONE veröffentlicht.

Die Retinitis pigmentosa ist eine Netzhautdegeneration, bei der die Fotorezeptoren im Auge absterben. Um dem damit einhergehenden Verlust des Augenlichts entgegenzuwirken, werden bei optogenetischen Verfahren lichtempfindliche Eiweißstoffe, sogenannte Kanal-Rhodopsine, in die Netzhaut eingebaut. Jede Zelle, die Kanal-Rhodopsine in sich trägt, kann durch Licht aktiviert werden. Nach optogenetischer Behandlung  können dann benachbarte Zellen im Auge die fehlende Funktion der Fotorezeptoren übernehmen. Tatsächlich konnten damit bereits Erfolge zur Wiederherstellung der Sehfunktion bei blinden Mäusen erzielt werden. In den vergangen Jahren wurde so der Grundstein für die Behandlung von Blindheit mit optogenetischen Ansätzen gelegt.

Allerdings stößt man bei dieser Methode auch an Grenzen. So kommt das menschliche Sehsystem normalerweise problemlos mit extremen Lichtverhältnissen in der Umgebung zurecht: wir können bei schwachem Sternenlicht bis hin zu gleißendem Sonnenschein sehen. Im Gegensatz dazu wäre man zu „optogenetischem Sehen“ mit den bisher im Labor entwickelten Kanal-Rhodopsinen nur bei allerhellstem Sonnenschein in der Lage.

Vor allem in Hinblick auf mögliche künftige Anwendungen beim Menschen wäre es wünschenswert, die Eigenschaften der Kanal-Rhodopsine weiter zu verbessern. Wie diese Verbesserungen erreicht werden könnten, haben die Forscher an dem eigens entwickelten Computermodell untersucht. Dieses Modell ermöglicht es, verschiedene Varianten der Kanal-Rhodopsine daraufhin zu bewerten, wie gut sie die Wiederherstellung der Sehfähigkeit unterstützen. „Wenn ein solches Molekül von Licht angeregt wird“, erklärt Marion Mutter, „dann durchläuft es eine definierte Abfolge von Zuständen, die letztlich die Lichtantwort des behandelten Auges bestimmen.“ In der Vergangenheit wurden Kanal-Rhodopsine hauptsächlich optimiert, um Fragen der neurobiologischen Grundlagenforschung voranzubringen. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass das optogenetische Sehen von ganz anderen Optimierungen profitieren würde, die bisher vernachlässigt wurden“, sagen Marion Mutter und Thomas Münch.

Welche Auswirkungen hätten die beschriebenen Verbesserungen auf das Sehvermögen? „Unseren Berechnungen zufolge ist es möglich, den Empfindlichkeitsbereich des optogenetischen Sehens um mehr als das Hundertfache auszudehnen“, meint der Projektleiter Thomas Münch. In der klinischen Praxis könnte das nach den Berechnungen der Tübinger Wissenschaftler dazu führen, dass Patienten nach einer optogenetischen Behandlung in Zukunft auch bei heller Zimmerbeleuchtung noch etwas sehen können. „Dann sind aber die biophysikalischen Grenzen erreicht“, sagt Münch. „Wir konnten in unserer Studie allerdings auch die Ursachen dieser Grenzen aufzeigen und damit die Richtung für neuartige zukünftige Optimierungen vorgeben.“

Originalpublikation:
Marion Mutter & Thomas A. Münch (2013): Strategies for expanding the operational range of channelrhodopsin in optogenetic vision. PLOS ONE, DOI: 10.1371/journal.pone.0081278

Externer Link: www.uni-tuebingen.de