Neuartiger Rollstuhl: Besserer Antrieb durch Kurbeln

Presseaussendung der TU Wien vom 12.02.2019

An der Technischen Universität Wien wurde mit Hilfe biomechanischer Modelle ein völlig neuartiger Rollstuhl entwickelt. Kurbeln machen den Antrieb effizienter und ergonomischer.

Wer Rollstühle für ganz einfache Geräte hält, an denen es nichts mehr zu verbessern gibt, hat sich geirrt. Das Forschungsteam für Biomechanik und Rehabilitationstechnik der TU Wien hat nun ein völlig neues Antriebssystem entwickelt, bei dem der Rollstuhl nicht durch einen Greifring am Rad bewegt wird, sondern mit Hilfe von Kurbeln. Das ist ergonomischer und entspricht viel besser den natürlichen Bewegungsmustern des Oberkörpers. Der neue Rollstuhltyp wurde nun zum Patent angemeldet, jetzt wird nach Industriepartnern gesucht.

Die Gelenke sind nicht für den Rollstuhl gemacht

„Der Bewegungsablauf beim Rollstuhlfahren ist normalerweise recht unnatürlich“, erklärt Prof. Margit Gföhler (Institut für Konstruktionswissenschaften und Produktentwicklung, TU Wien). „Wenn man den Rollstuhl an einem gewöhnlichen Greifring bewegt, kommt es zu extremen Gelenkstellungen, für die unser Körper einfach nicht gemacht ist.“ Die Folge davon ist, dass viele Menschen Gelenksverletzungen und -schmerzen haben, die durch das Rollstuhlfahren ausgelöst werden.

Um das zu ändern, entwickelte Margit Gföhler und ihr Forschungsteam ein biomechanisches Computermodell, mit dem verschiedene Bewegungsabläufe des Oberkörpers analysiert werden können. „Wir haben überlegt: Was wäre der optimale Bewegungsablauf? Welche Bewegungen kommen der Funktion von Schultern und Armen am ehesten entgegen?“ sagt Gföhler.

Der Bewegungsablauf, der sich in der biomechanischen Simulation als besonders geeignet herausstellte, wurde dann in einen mechanischen Antrieb umgesetzt. Das Ergebnis war ein Rollstuhl, der von zwei Kurbeln angetrieben wird. Während jeder Umdrehung ändert die Kurbel ihre Länge, sodass keine kreisrunde, sondern eine eher eierförmige Bewegung entsteht. Die Kurbeln werden an den Armlehnen des Rollstuhls montiert, sie treiben dann über einen Zahnriemen die Hinterräder an, die dann etwas kleiner gestaltet werden können als normalerweise üblich. Durch die kompakten Abmessungen wird der Rollstuhl weder breiter noch länger, und ist daher auch mit dem neuen Antrieb für die Verwendung im Alltag und auch in Innenräumen geeignet.

Bessere Winkel, weniger Anstrengung

Die neue Rollstuhltechnik wurde in verschiedenen Tests untersucht, auch in Zusammenarbeit mit dem Rehabilitationszentrum „Weißer Hof“ in Klosterneuburg. „Die Rückmeldungen waren sehr positiv, es wird als angenehm empfunden, dass sich die Gelenke nun nur noch im natürlichen Winkelbereich bewegen müssen und eine durchgängige Bewegung ohne Unterbrechungen möglich ist“, berichtet Margit Gföhler. Außerdem wurden spirometrische Untersuchungen durchgeführt: Durch Analyse der Atemluft lässt sich messen, wie anstrengend eine bestimmte Tätigkeit ist. Mit Hilfe der neuen Antriebstechnik lässt sich dieselbe Geschwindigkeit wie bisher mit deutlich weniger Anstrengung erreichen.

„Unser neues Rollstuhlkonzept könnte sicher für viele Menschen eine echte Verbesserung der Lebensqualität sein“, ist Margit Gföhler optimistisch. „Wir hoffen, bald einen Industriepartner zu finden, der unsere Entwicklung in einem kommerziellen Produkt umsetzt. Mit Unterstützung des Forschungs- und Transfersupports der TU Wien wurde der Rollstuhlantrieb bereits zum Patent angemeldet. (Florian Aigner)

Externer Link: www.tuwien.ac.at

Fluktuationen machen den Weg frei

Presseinformation der LMU München vom 15.02.2019

LMU-Chemiker haben einen Mechanismus identifiziert, mit dessen Hilfe sich Moleküle schnell über eine voll besetzte Katalysatoroberfläche bewegen können – besonders unter industriellen Bedingungen ein wichtiger Prozess.

Katalysatoren machen viele technische Verfahren überhaupt erst möglich. Allein in der chemischen Industrie beruhen mehr als 80 Prozent aller Erzeugnisse auf katalytischen Verfahren. Ein Katalysator ist ein Festkörper, an dessen Oberfläche eine Reaktion zwischen Molekülen stattfindet. Er ermöglicht oder beschleunigt diese Reaktion, bleibt selbst aber unverändert. Essenziell ist dabei, dass die Moleküle auf dem Katalysator diffundieren können, damit sie für eine Reaktion aufeinandertreffen. Unter industriellen Bedingungen ist die Katalysatoroberfläche allerdings fast vollständig mit adsorbierten Teilchen bedeckt und dadurch blockiert – wie die Moleküle sich trotzdem bewegen können, war bisher unklar. Chemiker um Professor Joost Wintterlin vom Department Chemie der LMU zeigen nun, dass die Moleküle in der Oberflächenmatrix des Katalysators sich nur kleinräumig bewegen können, bis ihnen lokale Fluktuationen in der Matrix sozusagen die Tür für schnelle Positionswechsel öffnen. Über ihre Ergebnisse berichten die Wissenschaftler im renommierten Fachmagazin Science.

Um sich ein Bild von den Prozessen auf der Katalysatoroberfläche zu machen, untersuchten die Wissenschaftler mithilfe der Rastertunnelmikroskopie, wie Sauerstoffatome sich auf einer Rutheniumoberfläche bewegen, die von einer dichtgepackten Schicht aus Kohlenmonoxidmolekülen bedeckt ist. „Dieses System haben wir gewählt, weil die Oxidation von Kohlenmonoxid an Metallen der sogenannten Platingruppe ein gut untersuchtes Modell für die Katalyse ist“, sagt Wintterlin. Allerdings ist die Standard-Rastertunnelmikroskopie für die Oberflächendynamik dieses Systems viel zu langsam. Deshalb entwickelten die Wissenschaftler die Methode weiter und erreichten schließlich Bildraten von bis zu 50 Bildern pro Sekunde – schnell genug, um Videos der Teilchenbewegungen machen zu können.

In dem untersuchten System sind die Sauerstoffatome vollständig von Kohlenmonoxid-Molekülen umgeben und zwischen diesen Molekülen wie in einem Käfig gefangen. Wie die Analyse der Videos zeigte, springt das Sauerstoffatom innerhalb dieses Käfigs „im Dreieck“, da es zwischen drei Positionen wechseln kann. „Überraschenderweise fanden wir aber, dass es den Käfig wieder verlässt und sich fast genauso schnell wie auf einer komplett freien Oberfläche durch die Kohlenmonoxid-Matrix bewegen kann“, sagt Ann-Kathrin Henß, die Erstautorin der Arbeit. Die Münchner Wissenschaftler konnten – in Zusammenarbeit mit Professor Axel Groß von Institut für Theoretische Chemie der Universität Ulm – dieses Phänomen mit Fluktuationen in der Kohlenmonoxid-Matrix erklären, durch die die Moleküle manchmal dichter, manchmal weniger dicht gepackt sind. Wenn eine solche Fluktuation in der Nähe eines Sauerstoffatoms stattfindet, kann dieses seinen Kohlenmonoxid-Käfig verlassen und auf eine neue Position springen. Dieser „Türöffnungs-Mechanismus“ findet so schnell statt, dass die Bewegung der Sauerstoffatome durch die Matrix von den „Käfigen“ nur wenig beeinträchtigt wird. Das ist die Voraussetzung dafür, dass die Moleküle tatsächlich auf einen Bindungspartner für die vom Katalysator geförderte chemische Reaktion stoßen.

Publikation:
Science 2019

Externer Link: www.uni-muenchen.de

Ungewöhnlicher Zucker aus Cyanobakterien wirkt als natürliches Herbizid

Pressemitteilung der Universität Tübingen vom 01.02.2019

Chemiker und Mikrobiologen der Universität Tübingen entdecken Zuckermolekül, das Pflanzen und Mikroorganismen hemmt und für menschliche Zellen ungefährlich ist ‒ Eine Alternative für das umstrittene Glyphosat?

Forscherinnen und Forscher der Universität Tübingen haben einen Naturstoff entdeckt, der dem umstrittenen Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat Konkurrenz machen könnte: Das neu gefundene Zuckermolekül aus Cyanobakterien hemmt das Wachstum verschiedener Mikroorganismen und Pflanzen, ist aber für Menschen und Tiere ungefährlich. Die gemeinsame Studie wurde unter Leitung von Dr. Klaus Brilisauer, Professorin Stephanie Grond (Institut für Organische Chemie) sowie Professor Karl Forchhammer (Interfakultäres Institut für Mikrobiologie und Infektionsmedizin) durchgeführt. Sie ist am Freitag im Fachjournal Nature Communications erschienen.

Wirkstoffe für den pharmazeutischen oder landwirtschaftlichen Gebrauch haben ihren Ursprung oft in Naturstoffen. Diese können aus komplexen chemischen Strukturen bestehen, aber auch verhältnismäßig einfach aufgebaut sein. Oft liegt die Genialität solcher Wirkstoffe in ihrer Einfachheit: Sogenannte „Antimetabolite“ (von Metabolimus=Stoffwechsel) treten in Wechselwirkung mit lebenswichtigen Prozessen in der Zelle, indem sie Stoffwechselprodukte nachahmen. Das Ergebnis ist eine Störung des betroffenen biologischen Prozesses, was zur Wachstumshemmung oder gar zum Tod der betroffenen Zelle führen kann.

Das Tübinger Forschungsteam aus der Chemie und Mikrobiologie stieß nun auf einen sehr ungewöhnlichen Antimetaboliten mit bestechend einfacher chemischer Struktur: Ein Zuckermolekül mit dem wissenschaftlichen Namen „7-desoxy-Sedoheptulose (7dSh)“. Anders als gewöhnliche Kohlenhydrate, die in der Regel als Energiequelle für Wachstum dienen, hemmt diese Substanz das Wachstum verschiedener Pflanzen und Mikroorganismen, wie zum Beispiel Bakterien und Hefen. Der Zucker blockiert dabei ein Enzym des sogenannten Shikimatwegs, eines Stoffwechselweges, der nur in Mikroorganismen und Pflanzen vorkommt. Aus diesem Grund stufen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Wirkstoff als unbedenklich für Menschen und Tiere ein und wiesen dies auch bereits in ersten Untersuchungen nach.

Der seltene Desoxy-Zucker wurde aus Kulturen des Süßwasser-Cyanobakteriums Synechococcus elongatus isoliert, das in der Lage ist, das Wachstum verwandter Bakterienstämme zu hemmen. Auf der Suche nach der Ursache für diese Wachstumshemmung gelang es den Forschern, die Struktur des Naturstoffes zu entschlüsseln. Dank einer neu entwickelten Methode zur Herstellung von 7dSh, einer sogenannten chemoenzymatischen Synthese, konnten umfangreiche Studien zur Aufklärung des molekularen Wirkprinzips durchgeführt werden.

Im Detail lieferte eine moderne Technik, die sogenannte gekoppelte hochauflösende Massenspekt-rometrie, genaue Einblicke in die Wirkweise des entdeckten Hemmstoffes (Inhibitors): 7dSh blockiert die DHQS (Dehydrochinatsynthase), ein Enzym des Shikimatwegs. Einer der bislang bekanntesten Inhibitoren dieses Stoffwechselwegs ist das umstrittene Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat. „Anders als bei Glyphosat handelt es sich bei dem neu entdeckten Desoxy-Zucker um ein reines Naturprodukt. Wir erwarten für 7dSh eine gute Abbaubarkeit und eine geringe Ökotoxizität“, sagt Dr. Klaus Brilisauer. 7dSh hemme das Pflanzenwachstum vielversprechend. „Wir sehen hier eine hervorragende Chance, es als natürliches Herbizid einzusetzen.“

Langfristiges Ziel sei, umstrittene Herbizide und damit auch deren gesundheitlich bedenklichen Abbauprodukte langfristig ersetzen zu können, so die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Die Wirksamkeit im Feld, Abbaubarkeit im Boden und Unbedenklichkeit gegenüber Nutztieren und Mensch müssten für 7dSh jedoch in umfassenden Langzeitstudien weiter erforscht werden.

Publikation:
Klaus Brilisauer, Johanna Rapp, Pascal Rath, Anna Schöllhorn, Lisa Bleul, Elisabeth Weiß, Mark Stahl, Stephanie Grond, Karl Forchhammer. Cyanobacterial antimetabolite 7-deoxy-sedoheptulose blocks the shikimate pathway to inhibit the growth of prototrophic organisms. Published in Nature Communications (February 1st, 2019). DOI: 10.1038/s41467-019-08476-8

Externer Link: www.uni-tuebingen.de

Gesichtserkennung für Münzen

Presseinformation (Forschung Kompakt) der Fraunhofer-Gesellschaft vom 01.02.2019

In deutschen Landesmuseen lagern unzählige historische Münzen, die sich nur im Detail voneinander unterscheiden. Anders als Gemälde lassen sich diese archäologischen Fundstücke nicht beschriften oder durch Barcodes kennzeichnen. Forscherinnen und Forscher des Fraunhofer-Instituts für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF haben in Kooperation mit dem Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt einen Scanner und eine Auswertesoftware entwickelt, die die optischen Merkmale von Münzen in Sekundenschnelle digital erfassen und eindeutig beschreiben. Mithilfe des Messsystems können Münzfunde identifiziert und wiedererkannt werden.

Fälschung oder Original? Selbst Experten mit geschultem Auge tun sich schwer, diese Frage in Bezug auf historische Münzen zu beantworten. Wie können Fälschungen von Münzen erkannt werden, wenn sie beispielsweise von einer Verleihung an eine externe Ausstellung ins Museum zurückkommen? Wie lassen sich Vertauschungen und Verwechslungen beim Verleih der Exponate zwischen Museen vermeiden? Antworten auf diese Fragen suchten auch die Mitarbeiter des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt. Rund 20 000 Münzen – oftmals mehrere Jahrhunderte alt – lagern in den Archiven und Tresoren des Amts, der Bestand wächst ständig. Die eindeutige Erfassung und Dokumentation der historischen Münzen, die in einer unüberschaubaren Form- und Variantenvielfalt vorliegen, ist mühsam und wird bislang manuell vorgenommen. Anders als Gemälde können die Münzen nicht beklebt und beschriftet oder mit einem Barcode versehen werden. Auf der Suche nach einer Lösung des Problems und im Rahmen einer Digitalisierungsoffensive des Landes Sachsen-Anhalt, die die Digitalisierung von Kulturgütern, archäologischen Funden und historischen Münzen umfasst, wandte sich das Landesamt an das Fraunhofer IFF in Magdeburg.

Digitaler Fingerabdruck für archäologische Funde

»Ziel des Landesamts war es, den kompletten Münzbestand zu digitalisieren. Dabei entstand die Idee, einen digitalen Fingerabdruck zu erstellen, mit dem man die einzelnen Münzen wiedererkennen und klassifizieren kann – ähnlich der Gesichtserkennung beim Menschen. Der Fingerabdruck ersetzt quasi den Barcode«, beschreibt Dr. Christian Teutsch, Wissenschaftler am Fraunhofer IFF, den ersten Kontakt mit dem Landesamt für Denkmalpflege. Um dies zu realisieren und eine eindeutige Signatur der Münzen zu ermöglichen, konzipierten die Projektpartner in enger Zusammenarbeit im Projekt »Digitaler Fingerabdruck für archäologische Funde – Prototyp für die Individualisierung und Wiedererkennung von Fundstücken« ein optisches Datenerfassungssystem und Softwareanalyseverfahren, das die alten Münzen digital erfasst und eindeutig beschreibt. Das Messsystem sollte eine Wiedererkennungsrate von über 98 Prozent erzielen, berührungslos arbeiten und die beidseitige Datenerfassung gewährleisten. Geprüft werden sollen Gold-, Silber-, Bronze- und Kupfermünzen mit einem Durchmesser von fünf bis 75 Millimeter.

Fälschungen aufspüren

Der neuartige Scanner O.S.C.A.R. – kurz für Optical System for Coin Analysis and Recognition – erfasst nicht nur die optischen Merkmale der Münzen, sondern auch feinste Gebrauchsspuren wie Kratzer, Abbrüche, Konturen, Ecken, Vertiefungen und Dellen, die ein Objekt einzigartig machen. Dies ist unabdingbar, um viele Münzen des gleichen Typs identifizieren zu können. »Es ist naheliegend, dass man Veränderungen feststellen kann, wenn man eine Münze zweimal scannt. Hat man Münzen verliehen, kann man somit bei der Zurücknahme prüfen, ob beispielsweise Kratzer hinzugekommen sind, ob das Fundstück beschädigt wurde oder ob es sich gar um ein Plagiat handelt«, sagt der Ingenieur, Mitarbeiter der Abteilung »Mess- und Prüftechnik«.

Variable Lichtquellenverschiebung auf den digitalisierten Münzen

Der Scanner umfasst mehrere Kameras sowie mehrere Lichtquellen, die die Münzen aus unterschiedlichen Richtungen beleuchten und hochgenaue Auflösungen und Vergrößerungen erlauben. So können Teutsch und sein Team alle Merkmale hervorheben und erfassen, ohne dass Spiegelungen und Reflektionen auftreten. »Die Lichtquellen lassen sich am Bildschirm virtuell drehen und beliebig über die Münzoberflächen ziehen. Das ist ein großer Vorteil für Numismatiker, die nun nur sehr schlecht zu erkennende Ober- und Unterseiten schneller und exakter identifizieren können«, betont Teutsch.

Der Digitalisierungsvorgang selbst ist einfach: Die Münzen werden einzeln unter den Scanner gelegt, nachdem zuvor ein Barcode gescannt wurde, der sich auf der zugehörigen Tüte befindet. Ein Knopfdruck genügt, um das Gerät zu starten. Mithilfe eines eigens entwickelten optischen Analyseverfahrens werden die Farb- und Oberflächeneigenschaften der historischen Fundstücke rekonstruiert. Der Scanner erfasst mehr als 1000 optische Merkmale pro Münze. Die aufgenommenen Bilder werden als Messdaten interpretiert. Referenzmuster und Farbtafeln sorgen dafür, dass alle Bilder normiert und der Farbraum vergleichbar ist. Somit ist gesichert, dass sich die Bilddaten zwischen verschiedenen Institutionen vergleichen lassen. Im nächsten Schritt werden sämtliche Messdaten an die Auswertesoftware übertragen, die die Daten nutzt, um den digitalen Fingerabdruck zu berechnen. »Die Software nimmt den Münzvergleich mit der Datenbank vor, sprich sie sucht nach der Signatur. Bisher gab es die Möglichkeit der Identifizierung nicht. Fiel eine Tüte zu Boden und die Münze aus der Tüte, so waren das Wissen um den Fundort und andere Informationen verloren«, so Teutsch. Jetzt sind die Landesämter und -museen der Bundesländer zusätzlich in der Lage, die Münzfunde der Öffentlichkeit zugänglich machen. Darüber hinaus ist die Vergleichbarkeit der Münzdatenbanken aller Bundesländer gegeben. Auch die Zusammenarbeit mit der KENOM-Datenbank, einer länderübergreifenden Datenbank für Münzen, wird auf eine neue Ebene gehoben. Anhand der digitalen Daten können Numismatiker die Beziehungen zwischen verschiedenen Münzen oder Fundorten und damit historische Nutzungszusammenhänge herstellen.

Bereits 10 000 Münzen digitalisiert

Das neue Messsystem ermöglicht die automatische Digitalisierung und Dokumentation des Münzbestands, die bislang mühselige Arbeit wird enorm beschleunigt. Die Projektpartner haben bereits 10 000 Münzen eingescannt, bald soll der komplette Bestand von 20 000 Exemplaren digitalisiert sein.

Münzforscher zeigten sich nach einer ersten Präsentation des Prototyps begeistert. »Das neue Messsystem wird die Münzforschung in Europa revolutionieren«, resümiert Teutsch. Der Clou: Mit der Anwendung lassen sich potenziell auch Gemälde analysieren, da das System auch Pinselstriche erfasst. Farben kann man fälschen, die exakte Pinselführung jedoch nicht. »Wir erkennen mit unserer Lösung garantiert jeden Van Gogh. Ein Plagiat ließe sich aufgrund der Unterschiede in den Details der Farbaufträge und Erhebungen durch die Pinselhaare sofort identifizieren.«

Externer Link: www.fraunhofer.de