Online-Prozesse – wenn der Avatar verhandelt

Presseinformation (Forschung Kompakt) der Fraunhofer-Gesellschaft vom 03.07.2023

Seit der Corona-Pandemie gehören Videokonferenzen in vielen Berufen zum Alltag. Auch Online-Gerichtsverhandlungen gewinnen weltweit immer mehr an Bedeutung. In großflächigen Staaten wie Kanada und Australien machen virtuelle Gerichtstermine schon seit längerem weite Anreisen überflüssig. Ein Forscherteam von Fraunhofer Austria entwickelt derzeit eine Software, die die digitalen Gerichtsprozesse auf eine neue Stufe heben soll: Virtuelle Avatare repräsentieren künftig die Prozessbeteiligten im Online-Gerichtssaal. Mimik und Augenbewegungen der Verhandelnden werden per Webcam erfasst und auf die Avatare übertragen. Auf diese Weise können alle miteinander in Blickkontakt treten, was eine persönlichere Kommunikation ermöglicht.

Online-Gerichtsverhandlungen gewinnen immer mehr an Bedeutung. Seit der Corona-Krise arbeiten Gerichte zunehmend an der Einführung digitaler Gerichtsprozesse. Die Vorteile: Gerichtsverfahren können zügiger durchgeführt werden und lange Anreisen der Beteiligten entfallen. Neben dem flüssigeren und effizienteren Gerichtsbetrieb sprechen Kosten- und Zeitersparnisse für die virtuellen Prozesse. Kritiker hingegen verweisen auf die noch nicht ausgereifte, notwendige Technik und auf verfahrensrelevante Fragen: Wie lassen sich einwandfreie Video-Übertragungen gewährleisten? Wie kann der Prozess mit seinen detaillierten Verhaltensregeln ins Digitale übertragen werden? Diesen Fragestellungen widmen sich Forschende der Fraunhofer Austria Research GmbH. Unterstützt werden sie dabei unter anderem von Prof. David Tait, Forscher an der Western Sydney University. Mit dem Virtual Court-System entwickeln sie eine Software, mit der sich der Einsatz von Videotechnik in der Ziviljustiz optimieren und ausbauen lassen soll. Vorgesehen ist das Setting in virtuellen Gerichtssälen zunächst für kleinere Delikte wie Nachbarschaftsstreitigkeiten.

Während viele Videokonferenz-Anwendungen den Nutzern mittels VR-Brillen das Gefühl vermitteln, am selben Ort zu sein, setzen die Fraunhofer-Forschenden in diesem Projekt nicht auf VR. Vielmehr erfolgt die Bildausgabe über den Monitor. Die Prozessbeteiligten kommunizieren mit Hilfe von Avataren – 3D-Grafikfiguren, die die reale Person repräsentieren – im virtuellen Raum. Vor dem Start der Verhandlung im virtuellen Gerichtssaal wählen die Beteiligten die für sie entsprechende Rollenspezifikation wie Richter, Verteidiger, Staatsanwalt, Zeuge oder Angeklagter. Eine Webcam nimmt das Gesicht auf. Mittels Eyetracking erfasst die Software, die auf einer 3D-Grafikengine aufsetzt, in welche Richtung der Anwender sieht. Dieser Blick wird in eine Kopfbewegung des Avatars umgesetzt – ein direkter Blickkontakt zwischen den Gesprächspartnern wird simuliert. Dieser Augenkontakt fehlt aktuell noch in Videokonferenzen via MS Teams oder Zoom.

Video-Konferenzen auf Augenhöhe

»Für die virtuellen Gerichtsverhandlungen mit unserem System ist keine komplizierte technische Ausrüstung erforderlich. Die Prozessbeteiligten setzen sich entweder in einem öffentlichen Gebäude, einer Polizeistation oder im Homeoffice vor den Laptop mit Webcam. Das ist ausreichend, um am Virtual Court teilzunehmen«, sagt Dr. Volker Settgast, Wissenschaftler im Geschäftsbereich Visual Computing bei Fraunhofer Austria in Graz. In der virtuellen Repräsentation des Gerichtssaals sehen sich alle Anwender und erkennen dank des Eyetrackings, wer sie gerade ansieht. Die Webcam erfasst nicht nur die Augenbewegungen, sondern auch die Mimik. »Da die Webcam Mundbewegung und Gesichtsausdruck aufnimmt, sind Rückschlüsse auf den Gemütszustand der Teilnehmenden möglich«, so Settgast. »Bei klassischen Videokonferenzen wird das Videobild übertragen, dies entfällt bei unserem System durch den Einsatz der Avatare. Lediglich der Audiostream und die aus dem Eyetracking und der Mimikerkennung resultierenden Daten werden übertragen. Der zu transferierende Datenstrom ist daher reduziert.«

Geplant ist, die virtuellen Gerichtssäle länderspezifisch anzupassen, auch die Avatar-Animation soll verbessert werden. Beispielsweise wollen Settgast und sein Team die Hände der Teilnehmenden in die Gestenerkennung integrieren. Künftig soll die Software auch im Browser laufen. Erste Workshops und Anwendertests der Betaversion fanden bereits am Visualization Research and Teaching Laboratory Harvard University, Department of Earth & Planetary Sciences und an der Université de Montréal’s Cyberjustice Laboratory statt. »Letztendlich wollen wir das Gerichtssetting komplett in den virtuellen Raum verlagern und Video-Konferenzen auf Augenhöhe für Zivilgerichte realisieren. Da Augenbewegungen, Mimik und Gestik erkennbar sind, können künftig Gerichtsprozesse mit persönlichem Charakter auch digital durchgeführt werden«, so der Forscher.

Diese Vorlaufforschung wurde im Rahmen einer Projektförderung des Österreichischen Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft gefördert.

Externer Link: www.fraunhofer.de

Erstklassiger Klang für jedes Ohr

Presseinformation (Forschung Kompakt) der Fraunhofer-Gesellschaft vom 01.06.2023

Ein Audio-Device zu entwickeln, das allen Menschen ein optimales Klangerlebnis bietet, ist nicht einfach. Die große Herausforderung liegt darin, dass jeder Mensch individuelle Hörpräferenzen hat. Daher hat der Institutsteil Hör-, Sprach- und Audiotechnologie HSA des Fraunhofer-Instituts für Digitale Medientechnologie IDMT adaptive Algorithmen sowie intuitive Verfahren zur Einstellung des persönlichen Klangs entwickelt. Mit einem Kunden konnte die Technologie nun auch in Kopfhörer integriert werden.

Jeder Mensch nimmt Klang anders wahr und hat seine eigenen, individuellen Hörvorlieben – auch unabhängig von Alter und Hörvermögen. Die Werkseinstellungen von Audiolösungen können dementsprechend nicht für jeden Hörenden gleichermaßen ansprechend sein. Auch die gängigen Einstellmöglichkeiten stoßen hier an ihre Grenzen. Der Oldenburger Institutsteil HSA des Fraunhofer IDMT hat ein Verfahren und Algorithmen entwickelt, um eine einfache und intuitive Einstellung der Klangvorlieben, abseits von komplexen und starren Equalizern, zu ermöglichen. Nutzerinnen und Nutzer wählen auf einer intuitiv bedienbaren Oberfläche entlang der Instrumentierung eines Beispielmusikstücks spielerisch den favorisierten Sound. Dazu fragt ein virtueller Assistent in wenigen Schritten nach Klangvorlieben für normale und leise Wiedergabelautstärken unterschiedlicher Instrumente. Einmal eingestellt, wirkt sich das Soundprofil positiv auf den Gesamtklang aus. Die Technologie kann sowohl in Geräte mit Audiowiedergabe wie Fernseher, Smartphones, Soundbars oder Infotainment-Systeme im Auto integriert werden, als auch auf Streaming- oder Medienplattformen.

Mehr als technisch perfekter Klang

Bei der Entwicklung der Klangpersonalisierung haben die Fraunhofer-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler insbesondere auf eine nutzerfreundliche Anwendung der Technologie geachtet. »Jeder Mensch hat eine persönliche Klangpräferenz. Gängige Einstellmöglichkeiten für Sound berücksichtigen nicht, wie sich das eigene Lautheitsempfinden auf diese Präferenzen auswirkt – oder sie wirken aufgrund ihrer Komplexität eher abschreckend auf Nutzerinnen und Nutzer und werden daher nicht genutzt. Diese Hürden haben wir reduziert, da unsere Technologie auch ohne Kenntnisse über Pegel und Frequenzen bedient werden kann und darauf abzielt, den individuell besten Klang bei jeder Wiedergabelautstärke herzustellen«, stellt Dr. Jan Rennies-Hochmuth, Gruppenleiter Persönliche Hörsysteme am Fraunhofer IDMT fest.

»Wir sind froh, die von uns auch als YourSound bezeichnete Technologie in der Produktkategorie Kopfhörer umgesetzt zu haben und damit einer breiteren Nutzerschaft zugänglich zu machen. Das technologische Konzept für die schnelle und individuelle Klanganpassung konnten wir zuvor erfolgreich für Multimedia-Systeme von Pkw adaptieren«, resümiert Dr. Jens-E. Appell, Institutsteilleitung Hör-, Sprach- und Audiotechnologie HSA.

Die Technologie zur Personalisierung des Klangs konnte mit der Sonova Holding AG nun erfolgreich in Consumer-Kopfhörer der Marke Sennheiser implementiert werden.

Hör-, Sprach- und Audiotechnologie HSA am Fraunhofer IDMT in Oldenburg

Der im Jahr 2008 unter der Leitung von Prof. Birger Kollmeier und Dr. Jens-E. Appell gegründete Institutsteil Hör-, Sprach- und Audiotechnologie HSA des Fraunhofer-Instituts für Digitale Medientechnologie IDMT steht für marktnahe Forschung und Entwicklung mit Schwerpunkten auf Sprach- und Ereigniserkennung, Klangqualität und Sprachverständlichkeit sowie mobile Neurotechnologie und Systeme für eine vernetzte Gesundheitsversorgung. Mit eigener Kompetenz in der Entwicklung von Hard- und Softwaresystemen für Audiosystemtechnologie und Signalverbesserung setzen die Mitarbeitenden am Standort Oldenburg wissenschaftliche Erkenntnisse in kundengerechte, praxisnahe Lösungen um. Über wissenschaftliche Kooperationen ist der Institutsteil eng mit der Carl von Ossietzky Universität, der Jade Hochschule und der Hochschule Emden/Leer verbunden. Das Fraunhofer IDMT ist Partner im Exzellenzcluster Hearing4all.

Externer Link: www.fraunhofer.de

Beschädigte Kakaobohnen für Kosmetikprodukte

Presseinformation (Forschung Kompakt) der Fraunhofer-Gesellschaft vom 02.05.2023

Kakao ist ein wichtiger Bestandteil der brasilianischen Landwirtschaft. Die Kakaofrucht ist jedoch anfällig für Pilzkrankheiten. Erst in den 1990er Jahren ließ eine Pilzepidemie die Produktion in dem südamerikanischen Land massiv einbrechen. Weltweit sorgt der Schädlingsbefall für Ernteverluste von bis zu 40 Prozent. In Zusammenarbeit mit der Universität Campinas, Brasilien, wollen Forschende des Fraunhofer-Instituts für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV im Projekt »Damaged Beans« neue Verwertungswege für die beschädigten Kakaofrüchte etablieren. Insbesondere für die Herstellung von Kosmetika könnten die von Pilzen befallenen, beschädigten Kakaobohnen einen wertvollen Rohstoff darstellen und potenziell gesundheitsschädliche Stoffe wie Acrylate und mineralölbasierte Rohstoffe ersetzen.

Eine wichtige Säule der Wirtschaft in Mittel- und Südamerika ist der Anbau von Kakao, der vor allem für die Herstellung von Schokolade verwendet wird. Der Kakaoanbau leidet jedoch schwer unter den Folgen der Pilzkrankheiten Hexenbesen und Black Pod Disease, die sich in den 1990er Jahren epidemisch verbreiteten und in Brasilien zu einem drastischen Einbruch der Kakaoproduktion führten. Trotz aller Bemühungen gibt es nach wie vor keinen Erfolg bei der Bekämpfung der Krankheiten. In der Schokoladenproduktion müssen beschädigte Kakaofrüchte daher weggeworfen werden.

Hier setzt das CORNET-Projekt (Collective Research Networking) »Damaged Beans« an. Ziel ist es, Verwertungspfade für kranke Kakaobohnen zu etablieren. Eingesetzt werden könnten die beschädigten Kakaofrüchte z. B. für die Herstellung von Produkten, wie Kosmetika, aber auch für Schmierstoffe und Reinigungsmittel. Das Fraunhofer IVV in Freising entwickelt daher im Projekt Damaged Beans gemeinsam mit der Universität Campinas spezifische Methoden, um unterschiedliche Pilzkontaminationen zu erkennen, zu klassifizieren und neue Anwendungen für minderwertige Kakaobohnen zu identifizieren. Dieser Ansatz hat das Potenzial, die gesamte Kakao-Wertschöpfungskette zu optimieren. Landwirte werden in der Lage sein, einen größeren Anteil ihrer Ernte zu vermarkten. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) fördert das vom Fraunhofer IVV koordinierte Vorhaben. Ein Konsortium aus 19 Industriepartnern begleitet das Projekt.

Kakaobutter kann Acrylate ersetzen

»Aus den Kakaobohnen wird Kakaopulver und Kakaobutter hergestellt. Kakaobutter hat aufgrund der durch die Pilzkrankheiten Hexenbesen und Black Pod Disease verursachten chemischen Veränderungen ein anderes Schmelzverhalten und ist daher bei Raum-/Körpertemperatur weicher. Für kosmetische Anwendungen kann das von Vorteil sein, vor allem für fetthaltige Naturkosmetika wie Lippenstifte, Bodylotions und Cremes«, erläutert Dominic Wimmer, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektleiter am Fraunhofer IVV. Eine veränderte Zusammensetzung der Aminosäuren und Proteine erhöht die Gelier- und Verdickungseigenschaften. Das könnte die Zutaten aus beschädigten Kakaobohnen zu einem idealen Ersatz für gesundheitsschädliche Acrylate machen, die als Gelbildner bzw. Quellmittel in konventioneller Kosmetik eingesetzt werden, aber auf der Haut Allergien auslösen können.

Nachhaltigkeit in der Prozesskette

Doch um die von Pilzen beschädigten Kakaobohnen für einen Einsatz außerhalb der Lebensmittelindustrie zu erschließen, entwickelt die Universität Campinas zunächst Untersuchungsmethoden auf Grundlage von Nahinfrarotspektroskopie (NIR), um den Grad der Schädigung und die physikalisch-chemische Qualität der pilzbefallenen Kakaobohnen zu ermitteln. Anschließend etabliert das Fraunhofer IVV ein mehrstufiges Kaskadenextraktionsverfahren, um so nach der Fettabtrennung Kakaobutter, Proteine und sekundäre Pflanzenstoffe (SPS) wie Polyphenole für Anwendungen in der kosmetischen und chemischen Industrie zu gewinnen. Dabei werden Proteine und sekundäre Pflanzenstoffe mit Hilfe verschiedener Lösungsmittel extrahiert. »Aufgrund des Pilzbefalls sind die Inhaltsstoffe und die sensorischen Eigenschaften der Proteine und der SPS verändert. Neben Kakaobutter eignen sie sich aber trotz ihrer divergenten Struktur ggf. für technische Anwendungen wie biobasierte Reinigungs- und Desinfektionsmittel sowie Schmierstoffe und bieten die Möglichkeit im Sinne der Nachhaltigkeit, mineralölbasierte Ressourcen durch natürliche Inhaltsstoffe zu ersetzen«, so der Forscher.

Um an die wertvollen Inhaltsstoffe der Kakaobohnen zu kommen, sind teils aufwendige Verfahren nötig. Daher prüfen Wimmer und sein Team, inwieweit man im Extraktionsverfahren auf zeit- und energieintensive Fermentations- und Trocknungsprozesse oder die Röstung verzichten kann, wenn das Endprodukt nicht in Lebensmitteln zum Einsatz kommen soll.

Zudem will das Forschendenteam die Kakaobutter nicht durch Abpressen in einer Fettpresse gewinnen, sondern mithilfe von organischen Lösemitteln wie etwa Ethanol und überkritischem CO2 extrahieren – eine besonders schonende Methode. Um Proteine und SPS zu gewinnen, werden die festen Bestandteile mit wässrigen Extraktionen behandelt. Durch Variation von Druck und Temperatur kann die Löslichkeit auf die gewünschten sekundären Pflanzeninhaltsstoffe und Proteine eingestellt und somit eine spezifische Extraktion erreicht werden.

Bessere Lebensgrundlage für kleine Farmen

»Durch unser Kaskadenextraktionsverfahren können beschädigte Bohnen weiterverarbeitet werden; den betroffenen Farmen erschließen sich neue Wertschöpfungswege mit großem finanziellen Potenzial. Weltweit sind 40 bis 50 Millionen Menschen in der Kakaoproduktion beschäftigt, 80 bis 90 Prozent davon in kleinen Betrieben«, resümiert Wimmer. »Darüber hinaus stehen der Schokoladenindustrie dadurch mehr reine lebensmitteltaugliche Rohstoffe zur Verfügung«.

Externer Link: www.fraunhofer.de

Laser fügen leichte Sandwichstrukturen

Presseinformation (Forschung Kompakt) der Fraunhofer-Gesellschaft vom 03.04.2023

Moderner Leichtbau hilft längst im Automobilbau und in der Flugzeugindustrie, Kraftstoff und Material zu sparen und die Umwelt zu entlasten. Forschende des Fraunhofer-Instituts für Werkstoff- und Strahltechnik IWS haben nun einen Weg gefunden, um solche erprobten Konstruktionsprinzipien auf weitere Branchen zu übertragen. Dafür verschweißen sie mit Lasern filigrane Hohlkammerstrukturen mit Deckblechen zu leichten Sandwichplatten. Diese Metallstrukturen lassen sich besonders effizient im Rolle-zu-Rolle-Verfahren des Fraunhofer IWS produzieren. Die neuartige Technologie sorgt für höheres Produktionstempo und mehr Einsatzbreite von Leichtbauplatten. Dadurch eröffnen sich Leichtbauperspektiven etwa für die Konstruktion von Schiffsaufbauten, Eisenbahnen und Fabrikhallen.

Die neue, laserbasierte »Sandwichplattierung« bietet viel technologisches, wirtschaftliches wie auch ökologisches Potenzial für die Industrie: »Mit dieser Technologie lassen sich Leichtbauplatten und -profile deutlich schneller und kostengünstiger herstellen als mit herkömmlichen Methoden wie dem Strangpressen«, betont Andrea Berger, Forscherin am Fraunhofer IWS. »Zudem kommt das neue Verfahren ohne Klebstoffe und andere Zusatzmaterialien aus. Dies erleichtert das Recycling der damit produzierten Leichtbaustrukturen.«

Statt zentimeterdicker schwerer Stahlplatten setzen viele Leichtbauer häufig Sandwichplatten ein. Diese sind trotz ihres bedeutend geringeren Gewichts im Vergleich zu massivem Stahl belastbar genug für Zwischenwände und -decken in Fahrzeugen, Flugzeugen oder Hallen. Solche Sandwichplatten und Profile bestehen aus waben-, trapez-, steg- oder kugelartigen Hohlkammerstrukturen. Typische Ausgangsmaterialien sind dünner Stahl, Aluminium, Kunststoffe oder andere Werkstoffe. Auf diese Innenstrukturen schweißen oder kleben die Hersteller beidseitig dünne Bleche.

Klassisches Strangpressen stößt an Grenzen

Ausgangspunkt für das neue Laser-Walz-Verfahren war eine Herausforderung, mit der ein großes Waggonbau-Unternehmen an das Fraunhofer IWS herangetreten war: Der Konzern verwendete zwar bereits Leichtbauprofile aus Aluminium für seine Fahrzeugtechnik. Das verwendete Strangpressverfahren ermöglichte aber keine beliebig dünnen Innenstege. Etwa 1,5 Millimeter galten hier als technologisch bedingte Untergrenze. Dem stand und steht der Wunsch gegenüber, möglichst viel Material und Gewicht einzusparen beziehungsweise filigrane Innenstrukturen zu verwenden.

Die Forschenden des Fraunhofer IWS lösten diese Herausforderung mit einer Laserschweiß-Walzanlage. Durch diese Anlage führen sie eine flexible Kernlage aus sehr leichten Innenstrukturen zwischen zwei Walzen, über die sich je ein Deckblech oben und unten abrollt. Dabei zielen Scanner-gesteuerte Laser schräg von beiden Seiten in die dünne Spalte zwischen Kernlage und Deckblech. Dort erhitzen sie die Metalloberflächen punktgenau. Dabei entstehen lokal – abhängig vom gewählten Blechmaterial – Temperaturen zwischen 660 und über 1400 Grad. Die Walzen pressen dann die leicht aufgeschmolzenen Oberflächen von Kernlage und Decke so fest zusammen, dass sie sich dauerhaft verbinden.

Laser-Verfahren drückt Energieverbrauch und erleichtert Recycling

Solche besonders leichten Platten lassen sich im rollenden Verfahren in einem Durchlauf herstellen. Im Vergleich zu klassischen Methoden wie etwa dem Strangpressen bei hohen Temperaturen spart das Laserschweißen viel Energie, da das energiereiche Licht die Metalloberflächen nur hauchdünn lokal aufschmelzen muss. Auch eignet es sich für die preisgünstige Massenproduktion. Schon der Laborprototyp kommt auf ein hohes Fertigungstempo. Zum industriellen Maßstab weiterentwickelt könnten derartige Anlagen mehr als zehn laufende Meter Leichtbaublech pro Minute schaffen, schätzt Andrea Berger. Zudem lassen sich solche Maschinen schnell auf neue Profil- oder Plattenstrukturen umrüsten. Strangpressen hingegen benötigen bei jeder Anwendung ein anderes Werkzeug, wenn der Kunde ein neues Plattenmodell bestellt.

Per Laser-Sandwichplattierung lassen sich zudem nur noch wenige Zehntel Millimeter dünne, stabile Strukturen erzeugen. Dies entschärft zum Beispiel das erwähnte Dilemma beim Waggonbau. Da das Laserwalzplattieren preiswerte Leichtbaulösungen aus purem, hitzeresistentem Stahl ermöglicht, lassen sich derartige Platten auch überall dort verbauen, wo viele konventionelle Leichtbaukonstruktionen aus Brandschutzgründen bisher tabu waren – zum Beispiel an bestimmten Stellen im Schiffbau. Solch ein breiterer Leichtbaueinsatz wiederum reduziert den Materialverbrauch in der Zulieferindustrie, kann das Gewicht von Fahrzeugen, Flugzeugen und Schiffen senken und dadurch fossile Brennstoffe oder Strom sparen. Ein weiterer ökologischer Nutzen ergibt sich am Ende des Bauteillebenszyklus: Lasergefügte Sandwichplatten enthalten weder Klebstoff noch Lötmittel oder andere Fremdstoffe, die später in Recyclinganlagen mühsam wieder getrennt werden müssten.

Anwendungen im Schiffs-, Hallen- und Fahrzeugbau absehbar

Marko Seifert, Abteilungsleiter Wärmebehandeln und Plattieren am Fraunhofer IWS, sieht als mögliche frühe Anwender des neuen Verfahrens unter anderem Zulieferbetriebe für Werften und Fahrzeugbauer. Erste Einsatzszenarien könnten zum Beispiel leichte Treppen oder auch Schiffszwischenwände sein, in denen sich dank der hohlen Innenstrukturen der Platten gleich zum Beispiel Stromkabel unsichtbar verlegen lassen. Auch für Lkw-Anhänger und den Hallenbau könnte sich die neue Technologie rasch durchsetzen. Für die nächsten Schritte suchen die Fraunhofer-Forschenden nach Partnern, um die Idee in die Anwendung zu bringen.

Externer Link: www.fraunhofer.de

Neuartiges Radarverfahren analysiert Produktionsprozess von Rotorblättern automatisch

Presseinformation (Forschung Kompakt) der Fraunhofer-Gesellschaft vom 01.03.2023

Defekte in Faserverbundmaterialien schon während des Produktionsprozesses entdecken – dies gelingt künftig mit Hilfe eines neuartigen Radarverfahrens, das die Kontrolle des Fertigungsprozesses von Faserverbundwerkstoffen wie Rotorblättern von Windkraftanlagen zerstörungsfrei und automatisch ermöglicht. Bislang erfolgte das Monitoring manuell per Sichtprüfung. Das Fraunhofer-Institut für Hochfrequenzphysik und Radartechnik FHR hat das innovative Verfahren zusammen mit den Konsortialpartnern Ruhr-Universität Bochum, Fachhochschule Aachen und der Aeroconcept GmbH im Projekt FiberRadar entwickelt.

Bei der Herstellung von glasfaserverstärkten Strukturbauteilen, wie sie etwa in Rotorblättern vorkommen, wird die Faserstruktur mit einer Harzmatrix fixiert. Unregelmäßigkeiten in der Ausrichtung und/oder im Verlauf der Faserverstärkung verändern die Struktureigenschaften und reduzieren somit die Qualität des entstandenen Verbundwerkstoffs. »Bei der Produktion von Rotorblättern werden Glasfaserlagen übereinander in einer Schale ausgelegt. Erfolgt dies nicht akkurat, kann es zu verschiedenen Defekten wie Wellenbildungen bzw. Ondulation kommen. Aber auch die Richtung der Faser kann sich verdrehen und somit die mechanischen Eigenschaften des Bauteils beeinflussen«, erläutert Projektleiter Dr. André Froehly vom Fraunhofer FHR in Wachtberg. Bislang war eine Untersuchung des Faserverlaufs und der Faserschichtung vor dem Einbringen der Harzmatrix nicht zuverlässig möglich, sodass Fehlstellen erst im Nachgang etwa durch Ultraschalluntersuchung gefunden werden konnten. Dies machte eine kontrollierte Prozesskette unmöglich und führte zu kostenintensiver Nacharbeit oder sogar zum Verschrotten von Bauteilen.

Großes Potenzial für die Produktion von Verbundwerkstoffen

Im Projekt FiberRadar haben die Forschenden nun ein Verfahren entwickelt, mit dem sich erstmalig auch die Ausrichtung der unteren Glasfaserschichten überprüfen lässt – zerstörungsfrei und automatisiert. Möglich macht es ein Millimeterwellen-Scansystem, bestehend aus einem Roboter, einem voll-polarimetrischen Radar und zugehöriger Bildgebungssoftware. Dieses nutzt auch die Polarisation (der Begriff kennzeichnet in der Antennentechnik die Richtung der elektrischen Feldkomponente einer elektromagnetischen Welle) der elektromagnetischen Wellen, das heißt, es kann mögliche Defekte auch durch Änderung der Polarisationsrichtung erkennen. Der Roboter scannt das Bauteil, das Radar übernimmt die Messungen, die anschließend von der Software zu einem 3D-Bild zusammengesetzt werden. Das Besondere: Während übliche Radare nur über einen Kanal verfügen und somit eine Polarisation zum Senden als auch zum Empfangen nutzen, schickt das neue Radar Signale in zwei Polarisationen aus – auch empfangen wird in zwei Polarisationen. Damit lassen sich nicht nur Faserstrukturen hochauflösend darstellen, sondern auch Defekte in tieferen Schichten einfach offenlegen. Zusätzlich verbessert die Brechungskompensation die Bildqualität: Sie rechnet Effekte heraus, die durch die Brechung vor allem in tieferen Schichten problematisch sein können. Indem die Forscherinnen und Forscher mit dem Radar die einzelnen Schichten abbilden, können sie auch Abweichungen in der Faserorientierung entdecken und das gesamte Volumen des Materials zerstörungsfrei überprüfen.

Im Projekt FiberRadar wurde die integrierte Radartechnologie der Ruhr-Universität, die Algorithmenexpertise des Fraunhofer FHR und die Robotikkompetenz der FH Aachen genutzt, um ein Messsystem zu realisieren, das die Fertigung von Faserverbundwerkstoffen und Kontrolle der gefertigten Bauteile in bis dato unerreichbarer Präzision ermöglicht. Durch die Erfahrung der Aeroconcept GmbH kann die Technologie damit direkt in den Fertigungs- und Monitoringprozess im Bereich der Windradblattherstellung integriert und eine Schlüsseltechnologie für qualitativ hochwertige Verbundwerkstoffe etabliert werden. »Wir freuen uns sehr über die vielversprechenden Ergebnisse zum Abschluss des Projekts FiberRadar. Wir planen, in Folgeprojekten das System in Richtung Produktreife weiterzuentwickeln, um es im Produktionsprozess einzusetzen. Hier möchten wir neben der Geschwindigkeit auch die Tiefenauflösung verbessern, um in kürzerer Zeit noch mehr mögliche Defekte zu erkennen«, so Froehly zu den nächsten Schritten. Das Projekt wurde aus den Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) gefördert.

Externer Link: www.fraunhofer.de